taz, 15. November 2006
Ein sonnenbeschienener Zeppelin schwebt am Himmel, ein riesiger Globus steht verwaist in einer leeren Eingangshalle, holzgetäfelte Schränke verbergen etwas.
Claudio Hils (Jahrgang 1962) zeigt in seiner neuen Ausstellung „Industrie_Zeit_Raum“ Aufnahmen aus Friedrichshafen – einer Stadt, deren Name einst mit Markennamen wie Zeppelin, Maybach (Maybach-Automobile) und Dornier (Dornier-Werke GmbH, ursprünglich Dornier-Metallbauten GmbH, deutscher Flugzeughersteller im Bereich der zivilen und der militärischen Luftfahrt) – verknüpft ist. Wegen der Präsenz vieler kriegswichtiger Industriezweige war Friedrichshafen Ziel der alliierten Streitkräfte im Zweiten Weltkrieg. Trotz der Bomben finden sich noch viele visuelle Erinnerungen an die Vorkriegs- und Kriegszeit, die in der Gegenwart gespenstisch, traurig und deplaziert wirken. Auf dem alten Globus finden sich abgesteckte Zeppelinflugrouten, LZ 127 „Graf Zeppelin“ fliegt nur noch – sonnenbeschienen – auf einer alten Schwarz-Weiß-Wandfotografie, die Schränke verbergen in erster Linie Dinge, die aus heutiger Sicht obsolet sind. Mit seinen fotografischen Inthronisierungen hat Claudio Hils nicht nur den Aufstiegswillen Deutschlands in der Zwischenkriegsära ironisiert, er hat auch die Gegenwart der Stadt Friedrichshafen mit ihren neuen Hochtechnologien ins Visier genommen.
Die Firmen EADS (European Aeronautic Defence and Space Company), MTU (Motoren- und Turbinen-Union Friedrichshafen GmbH) und ZF (Zahnradfabrik Friedrichshafen AG) sind hier ansässig; viele Kontinuitäten aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg lassen sich hier finden.
Dornier hatte die Luftwaffe im Dritten Reich mit Transport-, Aufklärungs- und Kampfflugzeugen sowie Flugbooten ausgestattet. Berühmt wurde die Do 17, der „Fliegende Bleistift“, die in großen Stückzahlen angefertigt wurden. Nach dem Krieg konnte Dornier mit Kurzstartflugzeugen und Senkrechtstartern wieder an frühere wirtschaftliche Erfolge anknüpfen, später unter anderem mit NATO Awacs und im Bereich der neuen Technologien. Nach dem Ende des Kalten Krieges schlossen sich in einem Klima politischer Entspannung große Teile der europäischen Luftfahrt-, Raumfahrt- und Verteidigungsindustrie zur EADS zusammen. Die Dornier-Werke als eigene operative Gesellschaft gibt es seitdem nicht mehr, doch viele der von Dornier aufgebauten Geschäftsfelder bilden heute Tätigkeitsschwerpunkte in den Werken der EADS.
Nicht weniger erhaben und auratisch als einst die Zeppeline sieht die Dreh- und Hebevorrichtung für Satellitenbau der EADS oder die hohe Montagehalle der Zahnradfabrik Friedrichshafen heutzutage aus. Sie verbreiten ungebrochene technologische Selbstgewißheit in der Boomregion Bodensee. Der mannsgroße Globus mit den alten Zeppelinrouten wirkt nicht paradox-utopistischer als eine Wandfotografie mit verschneitem Säntis unter riesigem pink-purple kitschig-besterntem Himmel im Besucher-Atrium der EADS im 21. Jahrhundert. Feine Milchglasscheiben verwehren dem Unbefugten den Blick auf einen eleganten Präsentationsraum der ZF. Die Geheimnisse dauern an. Die alten Holzschränke wirken dagegen geradezu gutmütig in ihrer so offensichtlichen Funktion, zu verbergen.
Claudio Hils hat auch schon in anderen Arbeiten wie „Neuland“, einer fotografischen Bestandaufnahme Deutschlands direkt nach der Wende oder „Dream City. Zur Zukunft der Stadträume“, einer Annäherung an die Städte Tokio, Bangkok, Sao Paulo, Los Angeles und Las Vegas, seine Form von dokumentarischer Betrachtung architektonischer und urbaner Agglomerationen dargelegt. Im Lager der Dokumentaristen vertritt Hils eine subjektiv-inszenatorische Spielart, die bisweilen Einzelelement symbolisch überhöht, isoliert und dramatisiert. Claudio Hils bezieht „das Sehen selbst, den Blick, der auf die Dinge der Außenwelt fällt, als konstituierendes Element in die Vergegenwärtigung seiner Bildwelt ein, so daß die Wahrnehmung ein gleichermaßen beherrschendes Motiv seiner fotografischen Aufnahmen ist wie die Gegenstände, die sie veranschaulichen“ (Klaus Honnef).
Der kühl-akuraten Abbildhaftigkeit der Becherschen Serien steht Hils Verfahren diametral gegenüber, in dem er den Blick des Betrachters, sein Staunen, seine Ignoranz, sein Mißtrauen oder sein Gefühl von Beklommenheit in die Wahl des Bildausschnitts und die Präsentation desselbigen miteinfließen läßt.
Es gelingt Hils, sowohl politische und ökonomische Zusammenhänge präzise darzulegen, als auch, jenseits dieser Narrativen, ästhetisch überzeugende fotografische Kompositionen zu kreieren. Linienführung und Flächigkeit verweisen immer wieder auf die abstrakte Malerei und führen somit Technologie und Kunst zu einer neuen Bild-Einheit zusammen.
Zur Ausstellung ist ein gleichnamiger Katalog erschienen, der in die short list für den Deutschen Fotobuchpreis (2006) aufgenommen wurde.
Ausstellung: Claudio Hils „Industrie_Zeit_Raum“
Galerie J. J. Heckenhauer
Brunnenstraße 153
D – 10115 Berlin
www.heckenhauer.de
bis 10. Januar 2007
Katalog
„Industrie_Zeit_Raum“, mit einem Text von Christoph Schaden, Tübingen / Berlin, Edition J. J. Heckenhauer
48 Seiten, gebunden, zahlreiche Farbfotografien