Berliner Zeitung, 27. Januar 2004
Fotografie aus Griechenland ist hierzulande wenig bekannt. Die Fotografin Nelly aus den Zwanziger Jahren ist vielleicht manchem noch ein Begriff, aber vom „Thessaloniki Museum of Photography“ oder dem Fotofestival „Photosynkyria“ nimmt kaum jemand Kenntnis. Mit „griechischer Kunst“ verbindet man in erster Linie nach wie vor die klassische Antike. Der Neue Berliner Kunstverein setzt mit „Zeitgenössische Fotokunst aus Griechenland“ eine Ausstellungsreihe mit Länderschwerpunkten fort, um dem deutschen Publikum mit einem repräsentativen Überblick jeweils die aktuelle Fotokunst eines Landes zugänglich zu machen.
Das verbindende Thema der meist großformatigen griechischen Fotografien scheinen topographische Erkundigungen bzw. das Anlitz von Land- und Stadt-Räumen zu sein. Von Fotos, die an Aufnahmen aus Luftbildatlanten erinnern (Yiannis Konstaninou: „Sehnsucht nach Atlantis“) bis hin zu im Gras spielenden Kindern mit „Barbie-Landschaften“ – Häuser, Autos, Figuren aus der Barbie-Welt – (Panos Vardopoulos: „Die Barbopoulos-Familie“), von nüchternen Großaufnahmen von Tresoren und Bank-Automaten (Manolis Baboussis: „Pleite“) bis hin zu intimen Blicken in Schlafzimmer mit Blümchentapete oder in Kühlschränke hinein (Panos Kokkinias: „Interieurs“) werden hier Innen- und Außenräume dokumentiert und untersucht oder auch nur erahnt oder geträumt.
In „Attische Landschaften“ von Epaminondas Schizas wird ein vertikaler Schnitt vom Meeresboden bis zum Himmel vorgenommen, wobei die verschiedenen Wasserschichten und der meist mit Unrat übersäte Meeresgrund den jeweils größten Teil des Fotos einnehmen. Mit dieser Bloßlegung des üblicherweise Nicht-Sichtbaren wird zum einen die Landschaftsfotografie, die in Griechenland eine lange Tradition besitzt, bestätigt und konsequent fortgeführt, zum anderen aber auch ihre Unzulänglichkeit und Begrenztheit angedeutet.
Sehr eindrucksvoll sind die vielen fotografischen Postulate von Umweltverunreinigungen oder städtebaulichen Fehlentscheidungen: Betonklötze und Toilettenhäuser am Meer, eine riesige Werbetafel auf einem verödeteten Feld, ein urbanes Durcheinander aus Autobahnzuläufern, Bussen und Tankstellen – ein sehr „gelungenes“ Durcheinander, das seinen Chaos-Effekt nicht nur aus der Motivik bezieht, sondern auch aus dem sicheren Blick des Fotografens für den fürs Auge des Betrachters irritierendsten Standort innerhalb des Spektakels. Dabei bleiben die Fotografien jedoch nie in einer illustrativen Ästhetik gefangen – die Barbie-Welten zum Beispiel evozieren nie eine „Heile Welt“-Fassade: Die Puppen, mit denen die Kinder spielen, wirken aufgrund der gewählten Perspektive überraschend groß und lebendig – beinahe wie Spielkameraden aus Fleisch und Blut. Die Kinder erscheinen nicht als Dirigenten ihrer Dingwelten, sondern untergeordnet als sprachlos-staunende Parzipienten. Somit wird keine Werbeästhetik bedient, sondern eher ein futuristisches Trauma in Pink vorgestellt. Nicht weniger verstörend sind die großformatigen Portraits aus der Serie „Wunden“ von Vassalis Polychronakis. – Alles in allem hoch interessante Bilder, die nichts mit der Urlaubsidylle gemein haben, die die meisten Deutschen wohl beim Klang von „Griechenland“ assoziieren.
„Zeitgenössische Fotokunst aus Griechenland“ Neuer Berliner Kunstverein