ZEIT Online, 2. November 2008
Die SPD verteufelt die Linkspartei – und schadet sich selbst damit am meisten. Ein Kommentar
Glaubt man den Aussagen vieler SPD-Politiker, dann handelt es sich bei der Linkspartei um eine Ansammlung von Demagogen, Volksverhetzern und Hasardeuren. Oder doch gleich von antidemokratischen Betrügern. Die Vertreter dieser Partei geben haltlose Versprechen, treten populistisch auf und wollen den Bürgern Geschenke machen, die der Staat nie und nimmer bezahlen kann, heißt es.
Man muss die Linkspartei nicht mögen. Schon gar nicht wählen. Aber die derzeitige Dämonisierung der Linkspartei ist nicht nur überzogen, sie schadet vor allem der SPD selber. So zu tun, als ob eine Koalition mit der Linkspartei in etwa so außerhalb des menschlichen Vorstellungsvermögens wie eine Koalition mit der NPD läge, kann man einfach nur als hysterisch bezeichnen.
Kurt Beck nannte Lafontaine „einen Durchgedrehten“, Sigmar Gabriel bezeichnete ihn als „Scheinriesen der deutschen Politik“, gar als „Helfershelfer der Taliban“, weil der Linksparteichef das Engagement der Bundeswehr in Afghanistan kritisiert. In seinen schlimmsten Träumen malt sich Steinbrück wahrscheinlich aus, wie Lafontaine eine Zwangssteuer für Reiche einführt, die Grenzen zur Schweiz schließen lässt und Schulden bis zum Mond auftürmt.
Aber wenn man zum Beispiel einen Blick auf Berlin wirft, staunt man, wie staatstragend, reformfreudig und finanzpolitisch konservativ die Linkspartei auftritt, wenn sie in Bündnishaft genommen wurde: Als in Berlin nach der Bankenkrise die Stadt kurz vor dem Bankrott stand, übernahm bekanntlich Rot-Rot die Regierung. Und statt populistischer Versprechen und endlosen Schuldenbergen setzte Rot-Rot einen derart rigiden Sparkurs durch, den, wie viele unken, wohl nicht einmal eine konservative Koalition durchgehalten hätte. Entsprechend hat Berlin derweil massiv Schulden abbauen können.
Die Linkspartei im Bündnis mit den Sozialdemokraten stieg aus dem Tarifvertrag aus, privatisierte Krankenhäuser und andere öffentliche Einrichtungen, schloss Schwimmbäder, Kitas und Jugendcafés, fuhr aber gleichzeitig unverdrossen mit ihrer Sozialrhetorik fort. Man muss nicht viel Fantasie aufbringen, um behaupten zu können, dass es wohl keiner anderen Regierungskonstellation gelungen wäre, solche rigide Maßnamen durchzusetzen, ohne dabei in einer rebellionsfreudigen Stadt wie Berlin auf nennenswerte Proteste zu stoßen. Die Linkspartei schaffte in Berlin das bigotte Kunststück, einerseits die Wut und die Empörung über die zunehmende soziale Ungleichheit in ihre Rhetorik aufzunehmen und sich andererseits als staatstragende Partei pragmatisch und wirtschaftspolitisch konservativ zu präsentieren.
Auch stellt sich mit nüchternem Blick auf die jeweiligen Parteiprogramme die Frage, ob die FDP oder die CDU der SPD wirklich so viel näher als die Linkspartei stehen, als dass man rechtfertigen kann, die einen zu umgarnen und die anderen zu verteufeln.
Trotz der großen Turbulenzen ist es in den letzten Wochen auffällig still geworden um die Linkspartei. Denn jetzt, wo quer durch alle Parteien Forderungen von ihr übernommen werden – selbst von der FDP -, unterscheidet sich ihr Programm gar nicht mehr so groß von den Maßnahmen, die auch von den Sozialdemokraten zu erwarten wären.
Die Linkspartei bemüht das soziale Ticket: Mindestlohn, Konjunkturprogramm, Bankenregulierung, stärkere staatliche Intervention der Wirtschaft – all diese Vorstellungen kann man nicht mehr als bedrohlich anarchisch oder revolutionär bezeichnen. In vielerlei Hinsicht unterschieden sich diese Forderungen nicht mehr allzu sehr von den Überlegungen des konservativen französischen Staatspräsidenten Sarkozy. Und selbst bei den sozialpolitischen Vorstellungen von Seehofers CSU gibt es manche Übereinstimmung wie beispielsweise bei der Pendlerpauschale. Und vergessen wir nicht, wie sich die etablierten Parteien vor 30 Jahren vor den Grünen gefürchtet haben – heute buhlt gar die CDU um ihre Gunst.
Anstatt auf die Linkspartei phobisch zu reagieren, täte die SPD besser daran, freundliche Übernahme zu betreiben und diese Partei für ihre Zwecke einzubinden. Für die SPD ist das lebenswichtig, denn sie behielte so auch Einfluss auf einen nicht mehr kleinen Teil der Wählerschaft.