Jungle World, 19. Juni 2008
Mit Peter Rühmkorf ist einer der letzten großen Autoren gestorben, denen es gelungen ist, sich vom »Großschriftstellertum« fernzuhalten.
Ähnlich wie der im vergangenen Jahr verstorbene Walter Kempowski war Peter Rühmkorf ein Einzelgänger, einer, der in keine Schublade passte und Literaturkritiker aller Couleur verwirrte – dementsprechend wurde er erst spät mit Preisen geehrt. Man hatte »immer Kummer mit ihm«, stellte Marcel Reich-Ranicki unlängst fest, »denn er fiel aus dem Rahmen«. Vor allem war Rühmkorf, der auch im Alter noch mit Jeansjacke und Schiebermütze herumlief, ein Dichter »der Gasse und der Masse« (Reich-Ranicki), was wir ihm hoch anrechnen.
Rühmkorfs Gedichte sind keine autistischen Spielereien, die nach Jandl eh kaum einem noch richtig geglückt sind, sondern oft komische bis groteske Verdichtungen der Realität. Am Tag seines Todes wurde bekannt, dass er den Kasseler Literaturpreis für groteske Literatur erhalten sollte.
Meist vermischte er das Groteske mit dem Schockierenden. In seinem Gedicht »Ästhetik des Schreckens« ließ er einen Atompilz auftauchen (»ein Gehirn am Stengel, dem Millennium eingebrannt als Kultfigur«), was kein anderer deutschsprachiger Poet vor ihm getan hat. Er schrieb über die »fetten Zeiten«, die vorbei sind, lange bevor es einen Film mit ähnlichem Titel gab, und fand den »Mensch, als Mitgeschöpf nicht gerade angenehm«.
Rühmkorf lehnte die branchenübliche Bildungshuberei ab und beschrieb sein an der Realität orientiertes Dichten unumwunden als Prozess, in dem man »aus Scheiße Gold« macht.
Rühmkorfs erster Gedichtband hieß, ganz hedonistisch, »Irdisches Vergnügen in g«, sein letzter »Paradiesvogelschiss«.
In einem Interview mit der Zeit (14/2008) antwortete er auf die Frage, ob es sich mit Rotwein besser schreibt: »Es kommen auch Einfälle, wenn man nichts genommen hat. Aber manchmal häufen sie sich, wenn man Alkohol genossen oder Hanf gezogen hat. Wenn man in eine bestimmte Stimmung kommt, knattert es. Es passiert, dass der Strich gar nicht schnell genug folgen kann. Weil die Gedanken schneller abgesaust sind, als man sie festhalten kann.«
Auf die Frage, ob er – 73jährig – manchmal Angst habe, keine Einfälle mehr zu haben, gab er zurück: »Mich treibt eher die Angst um, dass ich von Einfällen erdrückt werde.«
Diesen Schriftsteller wird man vermissen.