Katalog zur Ausstellung „Wege“ von Frank Mädler, Galerie J.J. Heckenhauer, Berlin 2005
Auf den ersten Blick lesen sich Frank Mädlers Landschaftsaufnahmen wie auf minimale Strukturen reduzierte Abstraktionen von „Landschaft“. Der Blick der Kamera zielt oft auf kompositorische Aspekte: Eine Straßenkreuzung inmitten karger Landschaft tritt dem Betrachter als Gefüge von hellen Diagonalen auf braunem Grund entgegen. Für diese Art von Entspezifizierung von Landschaft finden sich viele Beispiele in Mädlers Fotografie. Doch das ist nicht alles: Fotografie, die versucht, in komplexen Gefügen wie der Natur sich wiederholende Formen und Segmente, quasi naturale Module, sichtbar zu machen, im Multiplen das Einzelne herauszustellen und eine Art Mathematik der Erscheinungen artistisch herunterzudeklinieren, hat es immer wieder gegeben. Mädler hat jedoch etwas anderes gemacht: Er hat eine Art Schwebezustand eingefangen – vielleicht wie ein Aufwachender oder Träumender, der einen hellblauen Streifen noch nicht als Himmel, weiße Punkte noch nicht als Schafe und eine weitläufige Hügellandschaft nicht als Wiese erkennt. Man meint, es hier mit einer Art Traum-Standbilder zu tun zu haben. Vögel scheinen in der Luft stillzustehen, Autos an Kreuzungen für die Ewigkeit abgestellt.
Über Mädlers Fotografie wurde unter anderem geschrieben, sie würde sich der Geschwindigkeitsspirale unserer Gegenwart verweigern, das „verkürzte Zeitmaß unserer Spaßgesellschaft“ durch die ihr anhaftenden Momente von Kontemplation und Langsamkeit negieren. Doch sie suggeriert nicht nur Zeitlosigkeit, sondern ebenso Ort- und Orientierungslosigkeit. Denn Mädlers Bilder, die zweifellos stark der abstrakten Malerei entlehnte Aspekte (Monochromie, Asymmetrie und ähnliche formale Mittel) aufweisen, sind unbedingt nicht-narrativ, sie verweigern die Erzählung eines Bildinhalts: Die Vögel über dem Wasser, das Haus in der Landschaft oder der Grasbüschel auf dem Feld sind irritierend klein, unscharf und verschwommen – und spotten damit dem Wunsch des Betrachters, bildbeherrschende Bedeutung in sie hineinzulesen. Mädler läßt eine kunstvolle Irritation entstehen zwischen dem, was wir in einem Bild für wichtig und für unwichtig erachten. Der Himmel, die Horizontlinie, Wellenbewegungen auf dem Wasser – üblicherweise nur rahmengebend – fungieren als eigentlich dominante Elemente; die Vögel, die Schafherde, das Auto dagegen als eher zufällige Bild-Passanten. Somit wird ein Blickwinkel gewählt, der etwas Staunendes, Kindliches offenbart: eine Perspektive, die anarchistisch, anti-hierarchisch und voraussetzungslos ist. Mädlers Bilder provozieren nicht, sie produzieren Gefühle, die irgendwo zwischen Verführung und Irritation liegen: Die auf den ersten Blick „friedlichen“ Bildinhalte, die matte Farbigkeit, die Ruhe, die von der meist strengen formalen Struktur ausgeht, lösen zunächst wohlige Zufriedenheit beim Betrachter aus. Das „Eintauchen“ in diese Welt geschieht mühelos. Doch dann verliert sich der Blick, die Orientierung schwindet, Horizonte fehlen, das Dreidimensionale gaukelt Zweidimensionalität vor: Mädlers Bilder fügen sich am Ende nie in die Komposition oder Narration, die man erwartet. Alles und nichts könnte eine Fata Morgana in dieser Fotografie sein. Jedes Bildobjekt scheint greifbar in seiner Faktizität, seiner Benennbarkeit: Haus, Schaf, Wiese, Feld – doch „fehlt“ allem die kontextuelle Eingliederung in das, was wir Realität nennen, jedes Bildelement flimmert vor uns auf oder breitet sich in unermeßlicher Leere aus – sein eigentlicher Aggregatzustand, seine geographische Lokalität, seine wirkliche Existenz erscheint uns unbestimmbar oder fraglich. Reale Orte, Dinge und Vorkommnisse werden bei Mädler fiktionalisiert.
Weder bedient Mädler kühlen Formalismus (der im Himmel lediglich einen Streifen und im Horizont eine Linie sieht) noch glaubt er an die Abbildbarkeit der Realität. Bei aller formalen Schönheit thematisiert diese Fotografie nicht die Linie oder den Streifen an sich, sondern der Blick des Staunenden, Träumenden, Unvoreingenommenen, Kindlichen, Extraterrestischen auf die Welt. Wenn diese Fotos von etwas erzählen, dann davon, wie man die Dinge auch sehen könnte.
„Wege“, Fotografie von Frank Mädler
Ausstellungsdauer: bis 28. Mai 2006
Galerie J. J. Heckenhauer
Brunnenstraße 153
10115 Berlin
Öffnungszeiten: Di – Sa, 12-18 Uhr
© Tanja