Kinderwünsche sollen nach Ministerin Schröder nicht mehr an Geld und veralteten Bestimmungen scheitern. Tanja Dückers über das neue Mutterbild und ungewollte Kinderlosigkeit.
Wenn gesellschaftspolitische Visionen fehlen, kann manchmal das Privatleben Impulse setzen: Bisher hat sich Bundesfamilienministerin Kristina Schröder nicht besonders um das Wohl der Kinderlosen gekümmert. Plötzlich äußert die werdende Mutter das Bedürfnis, etwas für sie tun zu wollen. Sie sagt nun Dinge wie: „Ich finde es unerträglich, wenn Kinderwünsche am Geld scheitern“ in Bezug auf die immens gewordenen Kosten einer künstlichen Befruchtung und macht sich Gedanken, wie das überalterte deutsche Adoptionsrecht zu vereinfachen wäre.
Doch ist es fraglich, ob es nicht nur vage bei „gutem Willen“ bleibt: Es ist gerade erst drei Jahre her, dass der Vorstoß der Bundesländer Hessen, Sachsen und Thüringen abgelehnt wurde, die Krankenkassen wieder stärker an den horrenden Kosten der künstlichen Befruchtung zu beteiligen. Es handelt sich nicht um lapidare Beträge für die betroffenen Paare: Die Kosten liegen bei 3000 bis 5000 Euro pro Versuch. Meist sind mehrere Versuche notwendig. Die drei Bundesländer begründeten den Antrag mit dem Leidensdruck der ungewollt kinderlosen Paare sowie mit den Folgen des demographischen Wandels für das Steuer- und Sozialabgabensystem, doch das interessierte niemanden. Die Krankenkassen kommen für Operationen bei abstehenden Ohren und bei der Vergabe von Viagra auf – aber nicht für die Kosten für Hormonbehandlungen bei Unfruchtbarkeit. Und das, obwohl Infertilität von der WHO längst als Krankheit klassifiziert wurde.
Auch vor sieben Jahren war die CDU fröhlich mit dabei gewesen, als sie sich – als Oppositionspartei – mit der SPD-geführten Bundesregierung darauf verständigte, im Zuge des „Bundesgesundheitsmodernisierungsgesetzes“ die Hilfen für künstliche Befruchtungen drastisch zu kürzen, obwohl Jahr für Jahr immer mehr Kinder auf diesem Weg geboren wurden. Im Jahr 2003 waren drei Prozent aller Neugeborenen in Deutschland auf dem Weg der In-Vitro-Fertilisation gezeugt worden. Doch seit der Gesetzesänderung vor sieben Jahren ist ihre Zahl rapide gesunken, denn für Normalverdiener sind die Kosten nicht mehr tragbar. Ergebnis der Gynäkologen und Reproduktionsmediziner in Deutschland: Mindestens 15.000 Kinder weniger pro Jahr seit dem 1. Januar 2004.
Bis zur damaligen Gesundheitsreform hatten die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für vier Versuche im Rahmen der künstlichen Befruchtung komplett übernommen, seither werden von den Krankenkassen für maximal drei Versuche die Hälfte der Kosten getragen – jedoch nur bei Frauen unter 40 und bei Männern unter 50 Jahren – und nur, wenn sie verheiratet sind, was einen Anachronismus sondergleichen darstellt. Schließlich wächst mittlerweile in Deutschland jedes dritte bis vierte Kind mit nicht-verheirateten Eltern heran.
Es wird angenommen, dass in Deutschland jedes siebte Paar ungewollt kinderlos ist. Wer Betroffene kennt, weiß, wie groß der Leidensdruck und das Gefühl sozialer Ausgrenzung bei diesen Menschen oft ist. Ungewollt Kinderlose können ein Lied singen von den vielen Fragen, die mit entweder unverhohlen aggressiven oder aber mitleidigem Unterton an sie gerichtet werden: „Wollt ihr – etwa – keine Kinder“?
Zumal sich der Zeitgeist gedreht hat: Zwar gibt es zweifellos auch ein Mütter- und ein Elternbashing – wie überhaupt in Deutschland sehr gern Kollektive als Sündenbock für irgendetwas herhalten müssen und das Bashing (ob es um sogenannte „Altachtundsechziger“, um angeblich in Saus und Braus lebende Hartz-IVler oder um „integrationsunwillige Migranten“ geht) zum Volksport verkommen ist. Eine Gruppe, die zumindest noch vor 20 oder 30 Jahren vom Bashing verschont geblieben ist, jetzt aber zunehmend ins Aggressionsvisier der Restbevölkerung geraten ist, sind die Kinderlosen: Mit dem medialen Ausruf der neuen Gebärfreudigkeit werden sie nun landauf, landab als „kinderfeindliche Egoisten“, „verantwortungslose Hedonisten“ oder doch gleich als „gefühlskalte Materialisten“ angeprangert.
Mit seinem Sachbuchbestseller „Deutschland schafft sich ab“ hat Thilo Sarrazin dem Argwohn gegenüber Kinderlosen (so fern es nicht Migranten sind!) Vorschub geleistet. Die Ansicht hat sich weit verbreitet, dass Kinderlose unsolidarisch handeln, weil sie sich der „Reproduktion des Volks“ widersetzen. Noch vor einigen Jahren, vor allem im Zuge von ’68, wurde es der Freiheit des Einzelnen zugeschrieben, ob er sich für Kinder entscheidet oder dagegen. Überdurchschnittlich viele Kinder haben übrigens die Vorstandsvorsitzenden der 30 größten deutschen DAX-Unternehmen – natürlich kümmert sich der Herr Vorstand nicht vornehmlich um die lieben Kleinen, aber „haben“ tut er sie schon gern, als fotogene Visitenkarte seines soliden bürgerlichen Hintergrunds. Kinder sind Statussymbole geworden: Man zeigt, was man sich leisten kann. Während Kinder früher einfach „passierten“, werden sie heute als geplante „Leistung“ der Eltern angesehen – an der Art, wie manche Menschen die schiere Anzahl ihrer Kinder aussprechen, als wären mehr Kinder per se besser als weniger, lässt etwas von diesem merkwürdigen, für Kinderlose oft kränkenden Stolz spüren.
Im Zuge des Zeitgeists ist mittlerweile die „verbissene“ Karrierefrau in Nadelstreifen ebenso vom Sockel der „idealen Frau“ abgelöst worden, wie zuvor schon die ausschließlich fürsorgliche Mutter der Vorkriegs- und Kriegszeit. Beiden gegenüber steht das neue Ideal der liebevollen Mutter und beruflich engagierten erfolgreichen Frau. Das Idealbild ist die Mutter, über die gesagt wird, dass sie neben Haushalt und Beruf auch noch ihre wohlgeratenen, begabten Kinder „wuppt“ und die, wenn sie den Zwillingsbuggy und vier Einkaufstaschen vor sich her schiebt, einem fröhlich „Alles im grünen Bereich!“ zuwirft. Und natürlich hat sie einen atemberaubenden „Afterbaby-Body“. Von ihrer Therapie wegen „Burnouts“ erfährt ja niemand etwas.
Während es früher noch verschiedene Lebensmodelle gab, alternative und konservative Milieus ihre jeweils eigenen hervorbrachten, herrscht heute flächendeckend das Modell des beruflich, familiär, freizeitmäßig und privat interessanten, erfolgreichen, engagierten, immer informierten Zeitgeistmenschen vor. Auch Männer können sich nicht mehr auf die Bürohengstrolle zurückziehen. Auch ihnen droht heute – wenngleich nicht zu Unrecht – der Vorwurf, die Hälfte des Lebens zu verpassen, wenn sie keine Kinder haben wollen oder sich nicht ausreichend um diese kümmern. Völlig außer Acht gelassen wird derzeit, dass es Menschen geben soll, die sich – vielleicht aus guten Gründen – die Aufzucht von Kindern nicht zutrauen oder eben anders als die Majorität leben wollen.
Außerdem ist „Familie“ derzeit – als kleinster regionaler Rückzugsort – auch eine Antwort auf die Globalisierung. Man beruft sich wieder auf das Verwandte in einer zunehmend entrückten, ungreifbaren Welt. Doch nur, weil „Familie“ und „Kinder“ plötzlich zur Entscheidungssache geworden sind, konnten sie zu neuen Sehnsuchtsschablonen von Bürgerlichkeit und Behaglichkeit sowie zum Leistungsnachweis werden – und mit dieser Neu-Auratisierung gerieten die Nicht-familiär-Eingebundenen, ob nun ungewollt oder gewollt kinderlos, ins Abseits.
Immerhin: Am kommenden Montag wird der Rechteausschuss des Bundestags über eine Anhebung des Adoptionsalters debattieren. Bislang war es für Frauen über 40 Jahre kaum möglich, Kinder zu adoptieren. Die Zunahme von Erstgebärenden um die 40 – so auch die Autorin dieses Beitrags – scheint ein Umdenken anzuregen. Vielleicht ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Warten wir ab, ob Frau Schröders bald eintretende Mutterschaft der Politik die derzeit noch fehlenden konkreten Vorschläge liefern wird, mit Kinderlosigkeit – und mit Kinderlosen – anders umzugehen.