Schwarz-Gelb will die deutsche Sprache im Grundgesetz verankern – reine Symbolpolitik. Viel wichtiger wäre es, die Sprachvermittlung nicht nur bei Migrantenkindern zu verstärken.
Wenn Politiker Mühe haben, sich auf konkrete Vorhaben zu einigen, greifen sie gerne zu Symbolen. So auch die künftigen Koalitionäre von Union und FDP: Feierlich soll die deutsche Sprache im Grundgesetz verankert werden. Ein nutzloser, aufgeblasener Akt, ein Paradebeispiel für „Als-ob-Politik“, wenn nicht konkrete Ziele zur Verbesserung des Bildungswesens folgen und die entsprechenden Gelder dafür bereitgestellt werden. Denn an der Tatsache, dass Zehntausende Kinder der deutschen Sprache kaum mächtig sind, ändert die pompöse Bemühung des Grundgesetzes gar nichts.
Dabei gibt es keine andere Industrienation, in der die soziale Herkunft so stark über die Bildungschancen eines Kindes bestimmt; ein Aspekt davon ist der zufriedenstellende Spracherwerb. Bereits eine OECD-Studie aus dem Jahr 2006 belegte, dass in Deutschland die Zahl der Kinder, die ohne Abschluss die Schule verlassen, höher, die Zahl der Studenten niedriger ist als in den meisten anderen Industrienationen. Das trifft in besonderem Maße auf Migranten zu, wie nun eine Studie der OECD zur Integration zeigt, die vergangene Woche veröffentlicht wurde: Selbst wenn sie über den gleichen sozialen Hintergrund verfügen wie ihre deutschen Mitschüler, gelingt ihnen seltener der Umstieg auf höhere Bildungseinrichtungen.
Selbst hochqualifizierte Migrantenkinder haben deutlich schlechtere Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt als ihre einheimischen Altersgenossen. Besonders groß ist der Rückstand bei Akademikern und Absolventen höherer beruflicher Bildung, heißt es in der aktuellen Studie der OECD. Möglicher Grund dafür sei, dass auf dem Arbeitsmarkt das Vorurteil herrsche, Migranten verfügten nur über eine geringe Qualifizierung. „Bildungserfolge von Migranten und deren Nachkommen werden entsprechend noch nicht ausreichend honoriert.“
Das hat unter anderem mit mangelnder Durchlässigkeit der sozialen Schichten zu tun. Sie rekrutieren ihren Nachwuchs hierzulande in aller Regel aus der eigenen Schicht. Salopp formuliert: In keinem anderen Land in der EU (außer Lettland) stammen zum Beispiel so viele angehende junge Ärzte aus einer Arztfamilie. Dieses Beispiel lässt sich auf viele Berufsfelder übertragen. Eine andere Studie kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass Kinder mit Vornamen, die in der sogenannten Unterschicht beliebt sind – wie Kevin oder Mandy – bei Bewerbungsgesprächen deutlich schlechtere Chancen haben.
Vor allem der Umstand, dass Migranten der zweiten Generation schlechtere Bildungschancen haben als ihre Eltern, stellt ein ausgesprochenes Armutszeugnis für das deutsche Bildungssystem dar. „In den meisten Industriestaaten verläuft die Entwicklung genau umgekehrt: Die Schüler und Schülerinnen, die in dem jeweiligen Land geboren wurden, haben bessere Bildungschancen als solche, die erst eingewandert sind“, heißt es dazu in einer Stellungnahme des Deutschen Kinderhilfswerks.
Die OECD hat zudem festgestellt, dass in Ländern mit klar strukturierten Sprachprogrammen der Leistungsunterschied geringer ausfällt. Das alles kostet Geld. Doch gemessen am Bruttoinlandsprodukt sanken in den vergangenen Jahren die Bildungsausgaben.
In manchen Vierteln, besonders in den Großstädten, weist bereits jedes zweite Kind im Grundschulalter einen Migrationshintergrund und oft genug sprachliche Defizite auf. Man kann diesen Umstand beklagen und die schwierige Integration auf den fehlenden Willen der Migranten zurückführen, wie es kürzlich Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin getan hat.
Die OECD-Studie aus dem Jahr 2006 kommt jedoch zu einem anderen Ergebnis: Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund sind im Allgemeinen lernmotiviert und haben eine positive Einstellung zur Schule – im Durchschnitt positiver als ihre deutschen Altersgenossen. Dennoch erzielen sie häufig deutlich niedrigere Ergebnisse als diese. Nicht die Integrationsleistungen der Zuwanderer also sind per se nicht ausreichend, sondern das Integrationsangebot an die jungen Migranten. Die zufriedenstellendere Situation in anderen Ländern beweise, dass man dieser Herausforderung mit einer gezielten Sprachförderung erfolgreich begegnen könne.
Nach Aussage der OECD belegen die statistischen Ergebnisse, dass sich ein hohes Zuwanderungsniveau nicht zwingend negativ auf den Integrationserfolg auswirkt. So seien etwa in den klassischen Einwanderungsländern Australien, Kanada und Neuseeland die Leistungen der Schüler aus Migrantenfamilien mit denen einheimischer Schüler vergleichbar.
Es gibt viele Wege, die mangelnde Beherrschung der deutschen Sprache zu beheben (die sich im Übrigen keinesfalls nur auf Migranten beschränkt). Die deutsche Sprache ins Grundgesetz einzutragen, gehört sicher nicht dazu.
Sie ist politisch betrachtet ein Akt der Faulheit. Denn der unbequemen, kleinteiligen Arbeit an Kitas, Schulen und anderen Ausbildungsstätten, die zur Verbesserung des deutschen Sprachverständnisses dringend nötig wäre, wird so mit großer Geste ausgewichen.