Wir Deutschen sind Weltmeister im Moralisieren. Aber wenn uns jemand die Wurst vom Brot nehmen will, versiegt der Eifer. Ein Plädoyer für einen Veggie Day.
Die Aufregung um den Veggie-Day, um einen einzigen fleischlosen Tag in der Woche in den Kantinen und Mensen der Bundesrepublik, markiert ein Dilemma in der deutschen Befindlichkeit. Einerseits ist man wohlstandsverwöhnt und behäbig, andererseits möchte man die Welt verbessern und hat hohe moralische Ansprüche. Allerorten sind Floskeln und Phrasen zu lesen wie „Neue Wege gehen“, „Mut zur Veränderung“, „Zukunft gestalten“. Aber wenn es um das Essen auf dem eigenen Teller geht: bitte nicht!
Sobald jemand einen vernünftigen Vorschlag macht, um unser Leben auch nur einen Funken nachhaltiger zu gestalten, lautet der kollektive Aufschrei: Unsere Freiheit wird bedroht! Dass die Deutschen noch nie so viel Fleisch wie in den vergangenen Jahrzehnten verzehrt haben, dass die industrielle Massentierhaltung eine irrsinnige Entwicklung nach sich gezogen hat, wird nicht reflektiert. Die Deutschen essen heute viermal so viel Fleisch wie Mitte des 19. Jahrhunderts und doppelt so viel wie vor hundert Jahren. Aber alles, was sich einmal etabliert hat, darf nicht mehr geändert werden.
Die Debatte der vergangenen Tage zeigt, dass zumindest ein Teil der Deutschen für sich beansprucht, jeden einzelnen Tag Fleisch essen zu müssen, im Durchschnitt 61 Kilo pro Kopf pro Jahr, egal, welche Folgen das für Menschen, Tiere und Ökosysteme anderswo auf der Welt hat. Jeder Versuch, Fehlentwicklungen auch nur in homöopathischen Dosen zu korrigieren, wird als Freiheitsentzug abgelehnt. Mit dieser Haltung, die ein spätkapitalistisches Anything-goes als Dauerzustand statuieren will, können wir uns von der Hoffnung, in Zukunft etwas zu verändern, verabschieden.
Verändern müssen sich nur die anderen
Rücksicht nehmen, auf etwas Verzichten sollen immer nur die Anderen. Man schimpft gern über „die Chinesen“, die bessere Umweltmaßnahmen ergreifen sollten, während wir in Massen Produkte Made in China kaufen. Und die Südamerikaner, die sollen doch endlich mal zur Räson kommen, was die Rodung ihres Regenwalds angeht! Wir jedoch essen sehr gern weiterhin argentinisches Rindersteak. Wir reden unablässig über den Klimawandel, aber mit uns persönlich haben die Veränderungen nichts zu tun. Uns etwas abverlangen, gar den Verzicht auf etwas, dürfen sie nicht.
Jeder, der über den Veggie Day gepeinigt aufgeschrien hat, sollte im Wahlprogramm der Grünen einmal nachlesen, was Renate Künast sich darunter vorstellt. Sie möchte eine Empfehlung dafür aussprechen, dass in Kantinen einmal in der Woche ein fleischloser Tag eingeführt wird. Von einem flächendeckenden Gesetz auf Bundesebene ist nicht die Rede, es geht lediglich um eine Empfehlung. Und nur um einen Tag. Im Übrigen sind die Grünen nicht die Urheber dieser Idee.
Hierzulande hat beispielsweise der Sportartikelhersteller Puma schon 2009 denMeat-free Monday eingeführt. Siemens praktiziert einmal im Monat den sogenannten Terra-Tag, an dem in den 50 Konzernkantinen vegetarische Gerichte auf dem Speiseplan stehen. Bislang sind weder Puma noch Siemens als esoterisch-randständige Unternehmen in Erscheinung getreten.
Eigentlich muss man sich wundern, dass erst jetzt, im Jahr 2013, eine renommierte Politikerin einen konkreten Vorschlag zur Reduzierung des Fleischkonsums unterbreitet hat. Denn die Argumente dafür sind hinlänglich bekannt. Für Viehfutter müssen riesige Soja-Monokulturen angelegt werden, die den Platz zum Anbau von Getreide zur Ernährung der Bevölkerung einnehmen. Es besteht ein klarer Zusammenhang zwischen Hunger und Viehfutteranbau.
Hinzu kommt die Rodung enormer Waldflächen, allen voran des Regenwaldes. Was nicht den Monokulturen weicht, weicht den Weideflächen für weltweit mehr als 1,5 Milliarden Rinder. Weideland und für Futtermittelanbau genutztes Ackerland machen fast 80 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche aus. Die Umweltbilanz unseres Fleischverzehrs sieht so aus: Für die Herstellung eines einzigen Kilogramms Rindfleisch schlagen 335 Kilogramm Kohlendioxid (das entspricht einer Autofahrt von Hamburg nach Rom) und der Verbrauch von15.500 Liter Wasser zu Buche. In der Viehmast eingesetzte Antibiotika und Hormone verschmutzen das Grundwasser.
Auch wenn Fleisch bei uns ganz selbstverständlich stets verfügbar in der Kühltheke liegt – es ist ein enormer Luxus, Fleisch zu essen. Doch wie sagte der Schriftsteller Moritz Heimann schon vor hundert Jahren: Nichts lernt sich so leicht wie der Luxus.
Um das Mögliche zu erreichen, müssen Politiker manchmal das Unmögliche fordern. Es wird keinen fleischfreien Donnerstag oder Freitag in Deutschland geben, aber vielleicht einige Menschen mehr, die freiwillig darauf verzichten, jeden Tag Fleisch zu essen.