veröffentlicht in Amnesty Journal, Oktober 2008
“Du zahlst einen hohen Preis für Deine Arbeit.“ Zeynel Abidin Kizilyaprak
Zeynel Abidin Kızılyaprak (Jahrgang 1960) ist einer der wichtigsten kurdischen Gegenwartsschriftsteller und -publizisten. Doch wegen seines literarischen und journalistischen Werks ist er in der Türkei immer wieder Opfer politischer Verfolgung geworden. Viele Jahre seines Lebens hat Zeynel Abidin Kızılyaprak in Gefängnissen und im Untergrund verbracht – seine Vita liest sich wie ein ständiger Wechsel zwischen Gefangen- und Freisein, zwischen Untergrund, Flucht und höchst aktiver schriftstellerischer und publizistischer Tätigkeit, für die er auch mittlerweile international viel Anerkennung erfahren hat.
Kızılyaprak, der Fremden schnell das „Du“ anbietet, um ihnen „die Mühe mit meinem Nachnamen zu ersparen“, ist ein Kosmopolit, der von Berlin bis Los Angeles schon an vielen Orten zuhause war und einen großen weitverstreuten Freundeskreis hat. Gerade hat ein dänisches Filmteam eine Dokumentation über sein Leben gedreht. Wenn man ihn kennenlernt, macht der kleine Mann mit Schnauzbart und Brille eher Scherze als dass er gleich über „die Situation der Kurden“ zu sprechen kommt. Nationalistische Töne hört man nicht von ihm. Seine offene, zugewandte Art hat er sich trotz jahrelanger Verfolgung, trotz Gefängnisaufenthalten und Folter bewahren können.
Zeynel, wie ich nun folgerichtig schreibe, wurde 1960 in Adiyaman (einer mittelgroßen kurdischen Stadt in der Türkei) geboren; er studierte Pädagogik, konnte aber aus politischen Gründen seinen Wunschberuf – Lehrer – ausüben. Nach dem Militärputsch vom 12. September 1980 wurde gleich er verhaftet und mehr als hundert Tage im berüchtigten „PIRIN-Folterzentrum“ verhört. Er hatte politisch unliebsame Essays und Zeitungsartikel veröffentlicht. Das Urteil: fünfeinhalb Jahre Gefängnis. Nach seiner Entlassung zog Zeynel nach Istanbul, arbeitete dort als Journalist für verschiedene inländische Zeitungen und gründete den PELE SOR-Verlag. Das von ihm herausgegebene Buch „Die Erinnerungen eines Soldaten“, dessen Autor über die Greueltaten des türkischen Militärs in Nord-Kurdistan authentisch berichtete, wurde beschlagnahmt und Zeynel erneut angeklagt. Vor Gericht verteidigte er sich mit den Worten: „Als Gericht sollten Sie nicht mich, sondern die Offiziere oder die Verantwortlichen dieser Brutalität verurteilen.“ Er wurde zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt, doch dieses Mal entzog er sich der Haftstrafe durch Flucht in den Untergrund.
Schließlich wurde aufgrund einer Gesetzesänderung in der Türkei Zeynels Strafe unter der Bedingung ausgesetzt, dass es zu keiner weiteren Verurteilung in den nächsten fünf Jahren kommen würde. Doch Zeynel konnte keine zwei Jahre unbehelligt als Redakteur und arbeiten, da wurde er wieder aus politischen Gründen verhaftet.
Als Zeynel Anfang Mai in Berliner „Literaturhaus“ eine Lesung gibt, spricht er auch über seine Erfahrungen in der Türkei. „Es gibt drei Dinge, die Du niemals tun solltest“, sagt Zeynel: „Erstens: Sage oder schreibe niemals das Wort Kurdistan. Wenn Du, zum Beispiel, Nord-Kurdistan schreibst, gehst Du direkt ins Gefängnis. Zweitens: Kritisiere niemals Ataturk oder das System, das ihn eingesetzt hat. Drittens: Es ist möglich, die Regierung zu kritisieren, aber kritisiere niemals den türkischen Staat.“ Hinweise auf Kurdistan, erklärt Zeynel, deuten eine Unterstützung der kurdischen Nation an. Es gibt nach wie vor kaum Radio- noch Fernsehprogramme in kurdischer Sprache – in Regierungsgebäuden, Schulen oder offiziellen Bekanntmachungen ist die Sprache verboten. In der Öffentlichkeit dürfen Rot, Grün und Gelb nicht kombiniert werden, da dies die Farben der kurdischen Flagge sind.
Die Erzählung, die Zeynel im „Literaturhaus“ las, beschrieb die Erfahrungen eines kurdischen Jungen mit dem türkischen Schulsystem auf der einen Seite und dem kurdischen Elternhaus, der kurdischen Gemeinde auf der anderen Seite. Es ist eine schizophrene Welt, in der der Junge heranwächst: Zuhause werden kurdische Lieder gesungen und kurdische Speisen gekocht, die älteren Familienmitglieder versuchen dem Kind die kurdische Kultur und Sprache nahezubringen – in der Schule darf es von all dem nichts erzählen, darf nicht einmal mit anderen kurdischen Kindern in Kurdisch sprechen, muss gleichsam eine andere Identität an den Tag legen.
Anfang der 90er Jahre war Zeynel Mitglied des Parteivorstandes der prokurdischen Demokratie-Partei (DEP). Nach dem Verbot der DEP gehörte er zu den Gründern der Partei des Volkes (HADEP) und wirkte in deren Parteivorstand mit. Er war Mitbegründer der Kurdischen Nachrichtenagentur und ist Mitglied des Menschenrechtsvereins (IHD) sowie der deutschen Industriegewerkschaft Medien (IG Medien) und des Internationalen Journalisten-Bundes.
Zeynels bisher letzte Verurteilung erfolgte aufgrund der Veröffentlichung seiner Chronik Die Kurden von 1900 bis 2000, die er im Jahr 2000 publizierte. Für dieses Werk musste er für 16 Monate ins Gefängnis gehen. Nach der Freilassung ging er wieder in den Untergrund – für einen auf Öffentlichkeit angewiesenen Schriftsteller und Publizisten eine fatale Situation.
Amnesty International war auf das Schicksal des kurdischen Intellektuellen aufmerksam geworden und unterstützte ihn mit Urgent Actions. Die Deutsche Journalisten-Union in der IG Medien, später auch ver.di, sprachen ebenfalls Solidaritätsappelle mit Zeynel Abidin Kızılyaprak.
Drei Jahre später gelang Zeynel mit Hilfe des Internationalen P.E.N. die Ausreise nach Deutschland. Die Anzahl der Preise und Stipendien, die ihm nun zuteil kam, ist eigentlich nur mit der seiner Gefängnisaufenthalte vorher zu vergleichen. Unter anderem erhielt Zeynel ein Stipendium der Heinrich-Böll-Stiftung und der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte. Human Rights Watch verlieh ihm den Hellman/Hammett Preis. Im Jahr 2006 erhielt Zeynel von der berühmten Villa Aurora in Los Angeles ein Aufenthaltsstipendium als „Writer-in-Exile“. Die Villa Aurora ist ein ganz besonderer Ort: Die Villa war in den Vierziger Jahren der Wohnsitz von Lion und Martha Feuchtwanger im Exil. Sie fungierte als regelmäßiger Treffpunkt fast aller aus dem Dritten Reich nach Amerika geflohenen Geistesgrößen. Thomas Mann traf Arnold Schönberg in der Villa Aurora und ließ sich von dessen musiktheoretischen Ausführungen zu „Doktor Faustus“ inspirieren – wenn er nicht gerade mit Brecht stritt. Kulturwissenschaftler sprechen im Nachhinein von einem „New Weimar an der Westküste“, dessen Herz die Villa Aurora war.
Der Verein Villa Aurora vergibt, neben weiteren Stipendien, jedes Jahr ein Aufenthaltsstipendium an einen heutzutage politisch verfolgten Autor – in Erinnerung an das Leid, aber auch die Hilfe, die dem deutsch-jüdischen Schriftsteller Lion Feuchtwanger und seiner Frau widerfahren sind. Politisch verfolgte Schriftsteller wie Mary Ayubi aus Afghanistan, Zineb Laouedj aus Algerien, Tin Tin Win aus Birma, Akinwumi Adesokan aus Nigeria oder – dies ist der diesjährige „Writer-in-Exile“ – Xu Xing auch China sind schon Gäste gewesen.
Während seines Aufenthalts in der Villa Aurora wertete Zeynel eine Umfrage aus, die er selbst geleitet hatte und mittels derer er herausfinden wollte, wie die Lebenssituation und das Lebensgefühl sehr junger Kurden zu beurteilen ist. Er befragte dazu Jugendliche in Diyabakir und Istanbul, aber auch in Hamburg und Berlin. Diese Umfrage und ihre Ergebnisse sind derweil in Buchform in Istanbul erschienen.
Zeynel schwärmt noch im „Literaturhaus“ von seinem Aufenthalt in Kalifornien, von der multikulturellen Gesellschaft dort. Sicher war die Zeit damals für ihn auch eine von Zuversicht und Optimismus geprägte, denn aufgrund der EU-Beitrittsbestrebungen war in der eine Gesetzesänderung in Kraft getreten – nun erlaubten die türkischen Behörden Zeynel die Rückkehr in seine Heimat.
Zeynel lebt heute wieder in Istanbul und arbeitet an einem neuen Buch. In Berlin ist er jedoch oft und gern. Er ist Mitarbeiter des International Correspondents Media-Network in Berlin, schreibt für Zeitungen wie die Tageszeitung oder das Neue Deutschland und verfasst für hiesige Radiosender Beiträge über kurdische Fragen.
In Istanbul erschien Überblickswerk Die Anatomie eines türkischen Albtraums von gestern bis heute: das irakische Kurdistan und sein Einfluss. Diesmal folgten kein Verbot und keine Verhaftung. Doch weist Zeynel darauf hin, dass es blauäugig sei, anzunehmen, die EU-Aspirationen würden aus der Türkei ein kurdenfreundliches Land machen. „Die Erzählung, die ich las, spielte in den Sechziger Jahren, aber vieles davon trifft auch noch heute zu, leider“, beschließt er den Abend.
© Tanja Dückers, im September 2008