veröffentlicht auf ZEIT Online, Juni 2010
Für die Rubrik „Das ist mir heilig“ verfasst
Ich habe mich in der Kirche, und in Kirchen, nie wohlgefühlt. Das lag nicht nur an unserem wenig beeindruckenden Pfarrer Herrn Pfahlbusch, den wir Kinder hinter seinem Rücken Herrn Katastrophalbusch nannten. Das Öffentliche und Vorgefertigte (Vater unser statt eigenen Gebets), das gewissermaßen Un-Intime einer eigentlich so privaten Angelegenheit wie des Glaubens, wurde nur aus der Distanz vermittelt – hier ging es um Tradition, aber nicht wirklich um mich selber. Ich glaube, meine Wendung hin von der Kirche zur Kunst ist typisch für meine Generation. Nicht ohne Grund haben viele Museen eine sakrale Ausstrahlung, sie haben etwas von Kathedralen, mit ihrem Licht, das von der Decke her matt in den Raum fällt, mit ihrer Stille und der Ehrfurcht, die die Besucher beim Eintritt erfasst.
Ich musste mich von der festgelegten Formsprache der katholischen Kirche befreien, um einen individuelleren Zugang zu »heiligen Dingen« zu bekommen. Ohne Kunst würde ich nur sehr ungern leben. Zu den Gemälden, die mir heilig sind, zählen vor allem Werke von Barnett Newman. Seine Abstraktionen im Stil eines meditativen Expressionismus sind große, fast monochrome Flächen. Sie sollen wie Ausschnitte aus der Unendlichkeit wirken. Die Farben und die feinen vertikalen Farbstreifen, die »Boden« und »Himmel« miteinander verbinden, scheinen über den Bildrand hinauszudrängen. Newman forderte seine Besucher auf, so nah wie möglich an die meist riesigen Formate heranzutreten: damit er von der Farbfläche überwältig werden und seelisch in ihr versinken kann.
Der Künstler trug die Farben nie mit einer Walze oder Rolle auf, sondern immer mit dem Pinsel. Deshalb erkennt man in der scheinbaren Farb-Homogenität unterschiedliche Pinselstrichführungen – Spuren der Bewegtheit des Menschen, in der angedeuteten Unendlichkeit aufgehoben.
Schon manches Mal war ich unglücklich darüber, dass ich relativ früh, mit Mitte zwanzig, Newmans Malerei für mich entdeckt habe. Denn seine Gemälde sind, wie alles Heilige, emotional absolut und so ergreifend, dass einem so schnell nichts anderes heilig wird. Gegen einen Newman wirkt alles profan.
Ich habe lange gebraucht, um zu begreifen, dass das Heilige keine Treue fordert: Du darfst auch andere Gemälde neben meinen lieben.
© Tanja Dückers, Juni 2010