veröffentlicht in Jungle World, April 2005
Anne Hahns Roman »Dreizehn Sommer«
Drei Frauen, drei Biografien, die kaum unterschiedlicher verlaufen könnten: Anne Hahn beschreibt, wie die Lebenswege von drei ehemaligen Schulfreundinnen aus Magdeburg in den Jahren von 1986 bis 1998 auseinanderdriften. Da gibt es Katrin, die in Kiew studiert und sich fragt, was es zu bedeuten hat, dass sie und ihre Kommilitoninnen nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl zum Frauenarzt geschickt werden. Das Studium in Kiew aufzugeben, daran denkt das ehrgeizige, auf die Parteilinie bedachte Mädchen nicht.
Nina stammt aus einer brav-angepassten Familie mit Kakteen auf der Fensterbank, die beim Vorbeifahren der Straßenbahn sanft zittern. Sie beginnt, Punkkonzerte zu organisieren, und zieht in ein leer stehendes Haus. Die Beschreibungen der Underground-Szene in Magdeburg gehören zu den Höhepunkten des Buchs. Man merkt, dass die Autorin weiß, worüber sie schreibt. Sehr spannend wird auch Ninas abenteuerlicher Fluchtversuch über Aserbaidschan in den Iran geschildert – die Flucht misslingt, und bald sitzt Nina mit ihrem Kumpanen, von KGB-Beamten begleitet, im Flugzeug zurück in die DDR. Dort wird sie zu knapp zwei Jahren Haft verurteilt, die Wende erlebt sie im Gefängnis. Auch die Begegnungen im Knast sind sehr lebendig und mit Liebe zum Detail geschildert, z.B. wer beim Besuch von Angehörigen Kuchen essen darf und wer nicht. Da werden die Unterschiede zwischen politischen und kriminellen Häftlingen genau beschrieben und nichts wird ostalgisch beschönigt.
Simone, »Mo« genannt, die Dritte im Bunde, steht politisch zwischen Katrin, der Ja-Sagerin, und Nina, der Rebellin. Sie ist vornehmlich mit sich selbst beschäftigt, mit Fragen wie: »Verschrecke ich Männer?« Es macht den Roman glaubhaft, dass nicht alle Figuren eine eindeutige Haltung zur DDR haben. Allerdings ist der Leser etwas überrascht zu erfahren, dass Mo schon drei Selbstmordversuche hinter sich hat. So genau die Autorin die Punkszene in Magdeburg und die Repressionen gegen dieses Milieu beschreibt, so wenig erfährt man über die Hintergründe der Selbstmorde. Vielleicht wäre hier eine »normalere« Biografie überzeugender gewesen. Das Augenmerk der Autorin liegt auf Nina, der sie auch den größten Platz einräumt. Sehr gelungen ist die Beschreibung der Eltern von Nina: Zu DDR-Zeiten reagieren sie empört auf den Lebensstil ihrer Tochter und deren Verhaftung, nach der Wende heißt es dann plötzlich, Nina sei ja so mutig gewesen und man sei ja so stolz auf sie.
Nina fällt auch noch ein anderer unerwarteter Triumph zu: Der Mann ihrer früheren Freundin Katrin, die seit der Wende als gut bezahlte Architektin arbeitet und möglichst alle Baulücken in Magdeburg lieber heute als morgen schließen möchte, begehrt sie.
»Dreizehn Sommer« ist ein guter, lesenswerter Roman, der jedoch von einem kritischeren Lektorat profitiert hätte: »Pforte« und »Pförtner« finden sich in einer Zeile, Menschen, die »Fotze« sagen, sprechen im nächsten Satz von einer »illuminierten Stadt«. Das Tempo der Handlung lässt einen solche sprachlichen Patzer jedoch schnell vergessen.
Anne Hahn: Dreizehn Sommer. Schirmergraf, München 2005, 327 Seiten, 19,80 Euro