Gegen die Alten. Thomas Krafts „Schwarz auf Weiß. Warum die deutschsprachige Literatur besser ist als ihr Ruf“ (Jungle World, März 2005)

veröffentlicht in Jungle World, März 2005

Thomas Kraft versucht in einem Buch klar zu machen, dass aktuelle deutsche Literatur besser als ihr Ruf ist.

Lange Zeit wurde die deutschsprachige Literatur international wenig wahrgenommen, und auch die einheimischen Leser bevorzugten angelsächsische oder skandinavische Literatur. Die deutschsprachige Literatur galt als zu hermetisch, artistisch und unzugänglich. Zu Recht. Je unlesbarer ein Buch, desto wertvoller, war die unausgesprochene Devise. Einzelne Figuren wie Peter Handke oder Hans Magnus Enzensberger bestachen schon immer durch erratischen Eigensinn und rhetorische Brillanz, viele andere verklausulierten jedoch im Grunde nur Therapiebedürftigkeit.

Mitte der neunziger Jahre wendete sich das Blatt, und viele Autoren – keineswegs nur Jüngere, wie es das Medienklischee unterstellt – fanden zurück zu einer Literatur, die man als ernstgemeintes Kommunikationsangebot auffassen konnte. Dass dabei, wie bei jeder literarischen Strömung, qualitativ unterschiedliche Texte zwischen den Buchdeckeln landeten, versteht sich von selbst.

Thomas Kraft nun, seines Zeichens Literaturkritiker und Herausgeber aus München, hat sich mit Elan und einer gehörigen Portion Kenntnis und Sachverstand dazu aufgeschwungen, die Vorzüge dieses »neuen deutschen Erzählens« oder der »Neuen Lesbarkeit«, wie es gerne genannt wird, anzupreisen. Darum der leicht – aber wirklich nur leicht – ironische Untertitel: »Eine Werbeschrift«. Zunächst einmal schreibt er recht amüsant über das Phänomen des Literaturbooms der neunziger Jahre. Da gab es einen Autor, der mit einem Roman namens »Horst der Held« von Café zu Café schlenderte, auf diese Art allen Ernstes 1 000 Exemplare los wurde und dann tatsächlich bei dtv unter Vertrag kam und satte 15 000 Bücher verkaufen konnte. Das entspricht so ungefähr den Grunge-Karrieren zu Beginn der Neunziger in Seattle.

Dann schimpft Kraft ein wenig über bornierte und lesefaule Kollegen, die ihrerseits Essays über den Zustand der neuen deutschsprachigen Literatur verfasst haben und dabei zu dem Ergebnis kamen, dass keine anderen Autoren außer Günter Grass, Christa Wolf, Günter de Bruyn und Robert Gernhardt (immerhin) literarische Existenzberechtigung hätten. In diesem Zusammenhang stellt Kraft die berechtigte Frage, warum die Kulturbetriebsonkels, die ständig das mangelnde öffentliche Interesse an Literatur weinerlich beklagen, der neuen Popularität von Romanen und Erzählungen nicht auch etwas Positives abgewinnen können. »Bei der Unterhaltung hört der Spaß auf«, konstatiert er grimmig. Als wären Erfolg oder ein humorvoller Unterton sofort ein Beweis für künstlerisches Versagen.

Nun geht Kraft dazu über, einige seiner persönlichen Lieblingsromane aus den vergangenen 15 Jahren dem geneigten Leser vorzustellen. Er stellt sie unter verschiedenen Rubriken vor, die wirklich neugierig machen und einen Überblick über die Vielseitigkeit der neuen deutschen Literatur geben. Denn der Begriff »neues Erzählen«, der ein scheinbar ohne Mühe verfasstes, flüssiges, handlungs-lineares, entspanntes, im Realismus verhaftetes Geschichten-Erzählen nahelegt, entpuppt sich zunehmend als viel zu eng gefasst.

Mit dem Vorurteil vieler, seit Jahrzehnten komatös vor sich hindämmernden Literaturkritiker, das »neue deutsche Erzählen« sei eine einheitliche, durch »Markenzeichen« erkennbare Modeströmung, räumt er auf diese Weise gründlich auf. Die Überschriften, unter denen Kraft verschiedene Autoren bzw. deren Romane zusammenfasst (auf Lyrik und Drama bezieht er sich explizit nicht) lauten zum Beispiel:

»Schwarze Romantik«, »Pop eats itself«, »Nach dem Krieg ist vor dem Krieg«.

Das alles klingt verheißungsvoll. Tatsächlich gelingt es Kraft, beim Leser wirklich Interesse für einige Titel zu wecken. Gemäß seinem Sujet und der Stoßrichtung seines Essays hat er eine Sprache gefunden, die direkt, pointiert und klar verständlich ist. Aber nun kommt das Problem: Kraft kann sich nicht entscheiden, ob er Lieblingsromane vorgestellt oder ein Kompendium der deutschsprachigen Literatur nach ’89 geschrieben haben will.

Im Nachwort pocht er auf die Unvollständigkeit seines Essays, um sich, was die sehr subjektive Auswahl an Autoren und Büchern angeht, aus der Verantwortung zu ziehen. Allein der Titel seines Buches »schwarz auf weiß« und der ganze Gestus des Autors weisen jedoch nicht auf solch eine subjektive Haltung hin, sondern eher auf eine lexikalische Absicht.

Vor zwei Jahren brachte Kraft ein »Lexikon der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seit 1945« heraus. Das hatte das gleiche Problem, was schon Florian Illies »Generation Golf« und das Ost-Gegenstück, Jana Hensels »Zonenkinder«, wenig genießbar gemacht hat: den vereinnahmenden und scheinbar objektiven Gestus.

In »schwarz auf weiß« stellt Kraft in der Rubrik »Vor dem Krieg ist nach dem Krieg« ausschließlich alte, etablierte Autoren vor, die sich mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzen, womit er sich nicht gerade als Mentor des »neuen deutschen Erzählens« ausweist. In dem Kapitel »Der wilde und der zahme Osten« erwähnt er statt nobelpreiswürdiger Schriftsteller wie Christa Wolf oder Christoph Hein von Ostlern selber meist nicht ganz ernstgenommene Titel wie »Zonenkinder«, »Schweinöde« und »Ostblöckchen«. Christoph Hein, der mit »Landnahme« den kritisch-vielperspektivischen Roman über Flucht und Vertreibung schlechthin geschrieben hat, ist Kraft nur einen kurzen Satz wert.

Was in »schwarz auf weiß« fehlt, ist ein genauerer Blick auf ostdeutsche Literatur. Die vielen in den letzten Jahren geschriebenen Romane, die in Polen, Tschechien oder generell im ehemaligen Ostblock spielen, sind Kraft keine Zeile wert. Man denke etwa an Malin Schwerdtfegers »Café Saratoga«, Olaf Müllers »Schlesisches Wetter« oder Stephan Wackwitz’ »Ein unsichtbares Land«. Auch die neue deutschsprachige jüdische Literatur scheint kein Steckenpferd von Herrn Kraft zu sein; aus dieser Rubrik weiß er genau zwei Autoren vorzustellen.

Am Anfang scheint Kraft uns nahe legen zu wollen, nach welchen Kriterien er seine literarische Speisekarte zusammengestellt hat: Rein kommen Bücher, die bisher zu wenig wahrgenommen wurden. Mit dieser Information versorgt, »verträgt« man es dann, dass Judith Hermann, Julia Frank, Felicitas Hoppe oder Michael Lenz komplett übergangen werden. Was, fragt man sich dann aber irgendwann, haben Bachmannpreisträger, die schon erwähnte Bestseller-Autorin Jana Hensel oder Thomas Brussig, der wie ein Popstar gefeiert wurde, dann in »schwarz auf weiß« zu suchen? Wo bleiben sie denn, die literarischen Neuentdeckungen von Kraft?

Thomas Krafts Buch ist geistreich, hervorragend geschrieben und von »guter Absicht« getragen. Aber ein stärkeres Bekenntnis zur Subjektivität seines Unterfangens oder der Versuch eines ernstgemeinten lexikalischen Überblicks zu literarischen Strömungen nach der Wende hätten das Buch überzeugender gemacht.

Thomas Kraft: Schwarz auf weiß. Warum die deutschsprachige Literatur besser ist als ihr Ruf. Eine Werbeschrift. Kookbooks, Idstein 2005, 14,90 Euro

© Tanja Dückers, März 2005


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