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Stadt der Engelveröffentlicht in "WELT", 2000Als das Flugzeug sich dem Los Angeles International Airport nähert, erstreckt
sich ein kolossales Lichtermeer soweit das Auge reicht. Was New York vertikal zu
bieten hat, rollt L.A. horizontal aus: 15, 5 Millionen Menschen auf einer Fläche
so groß wie das Ruhrgebiet. Ich bin das zweite Mal in dieser Stadt, hier in
U.S.A. benutzt man den von "landscape" abgeleiteten Begriff "cityscape", diesmal
an einem besonderen Ort: Die Villa Aurora ist der ehemalige Wohnsitz im Exil des
deutsch-jüdischen Schriftstellers Lion Feuchtwangers. Der "district", in dem die
Villa Aurora liegt, heißt Pacific Palisades und liegt, wie der Name suggeriert,
am Meer. Angrenzend auf der anderen Seite die drei B's: Bel Air, Beverly Hills,
Brentwood. Auch das berüchtigte Surfer- und Pornostar-Paradies Malibu ist nur
eine halbe Autostunde weit entfernt, also für L.A.-Verhältnisse ein lächerlicher
Katzensprung. Alle Villen hier haben ihr eigenes Security-System, nachts kreist
die Polizei per Hubschrauber über den teuren Dächern – wenn sie einen gleißenden
Lichtstrahl auf den Boden werfen, weiß man: sie suchen jemanden -
Autoalarmanlagen und Bewegungsmelder schrillen bei jeder vorbeilaufenden Maus
los. Die weißen Angelenos, die nur noch 35% der Bevölkerung ausmachen, sind seit
den Schwarzenunruhen 1991 (nachdem die Polizei den schwarzen Autofahrer Rodney
King mit 56 Schlägen beinahe zu Tode geprügelt hatte) ängstlich geworden. Doch
die an Bevölkerungszahl am schnellsten wachsende ethnische Gruppe sind nicht die
Blacks, sondern die Hispanics, die – oft illegal eingereist – überall den
weniger gut bezahlten Jobs von Supermarktverkäufer bis Gärtner nachgehen. Aber
nicht nur Mexikaner, Guatemaltesen und Puerto Ricaner finden sich hier,
eigentlich ist beinahe jede Ethnie, jede Nation vertreten: Los Angeles, eine großangelegte Feldstudie, irreal und anmutig zwischen Wüste, schneebedeckten Bergen und Pazifik, schon ein wenig paradiesisch – und gleichzeitig eine Stadt, in der 70% der Autofahrer eine Knarre im Handschuhfach haben (und diese auch benutzen). |
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