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4. Berlin BiennaleVeröffentlicht in: Jungle World, 12. April 2006Auf der 4. berlin biennale wird wieder einmal kräftig der bekannte Berlin-ist-so-schön-kaputt-Charme bemüht. Die Ausstellung präsentiert sich an zwölf Orten entlang der Auguststraße in Mitte; der Besucher wird durch eine ganze Reihe nostalgischer Räume geführt, darunter die St. Johannes-Evangelist-Kirche, der Spiegelsaal im Ballhaus Mitte, die Pferdeställe des Postfuhramts, ein Keller, mehrere Privatwohnungen und der Alte Garnisonsfriedhof. Die meisten Werke sind in den "Kunstwerken" und in der ehemaligen Jüdischen Mädchenschule zu sehen. Wer meinte, die Auguststraße, das Scheunenviertel gut zu kennen, wird staunen, welch malerischen Orte hier noch zu entdecken sind. Es kann verwundern, wie lange hier Ruinen neben chicen Schnickschnack-Läden und Edel-Galerien koexistieren. Man wähnte Berlin Mitte schon ruinenfrei - ein glückbringendes Irrtum. Aber was erfahren wir auf der 4. berlin biennale jenseits dieser erfreulichen stadtgeschichtlichen Horizonterweiterung über die Kunst selbst? Welche neuen Positionen werden hier vorgeführt? Was ist der "kuratorische Wille"? "Von Mäusen und Menschen" klingt geheimnisvoll, aber auch beliebig. Der Titel ist John Steinbecks Roman von 1937 "Of Mice and Men" entliehen. Ebenso vage erklärt das zur Zeit in New York ansässige hippe und von der New York Times auch noch als "fashionable" bezeichnete Kuratoren-Trio Cattelan / Subotnick / Gioni, bei der 4. berlin biennale würde sich alles irgendwie um "Geburt" und "Tod", "Verlust", "Trauer" und "Nostalgie" drehen. Eine ziemliche Nullaussage. Existenzielle Themen sind nach 9/11 eben gerade trendy. Das gehypte Trio, das die "Wrong Gallery" in New York leitet, wollte sich wohl von allen früheren Spaß-Exkapaden, für die besonders der Künstler Catellan berüchtigt war, lossagen. Entsprechend plakativ fallen viele Arbeiten dann aber doch aus: Großformatige Fotos von einer sexy Frau, die gebiert. Blut, Schleim, Kindskopf. Noch einmal der Sechziger Jahre-Gestus: "Zeig es mir! Zeig mir alles!" Der Spiegelsaal im Alten Ballhaus verschlägt dem Besucher die Sprache, meterhohe zerbrochene, matte Spiegel, schwerer, halb zerstörter Stuck, ein Raum, der zwei Weltkriege überlebt hat und sichtbar von Geschichte zeugt. Nur die beiden am Boden herumhampelnden Performance-Künstler wirken überflüssig. Der Blicke der Besucher gleiten dementsprechend eher an die Decke als auf das Parkett, wo die bemitleidenswerten Tänzer versuchen, diesem Saal, der beim besten Willen keine "künstlerische Zutat" nötig hat, noch ein I-Tüpfelchen aufzusetzen. Ein ebenso faszinierender, melancholisch stimmender Ort ist die ehemalige Jüdische Mädchenschule, in der die meisten Exponate zu finden sind. Und wieder ertappt sich der Besucher dabei, den alten Inschriften aus der DDR-Zeit "Pionierfreundschaft" und "Berufsberatung" sowie den zahlreichen Spuren des mal leid-, mal freudvollen Schülerinnendasein mehr Beachtung zu schenken als den von der ganzen Aura des Ortes marginalisierten Kunst. Bedarf ein altes Klassenzimmer noch Tadeusz Kantors "Schulbank"? Dem Großmeister der zeitgenössischen polnischen Kunst nach 1945 ist damit ebenso wenig ein Gefallen getan wie dem amerikanischen Künstler Christopher Knowles mit seinen mit Schreibmaschine getippten spielerisch-absurden Wortreihungen, die an den Wänden des Klassenzimmers eine ganz andere Bedeutung erfahren als in einem weniger determinierten Raum. In jedem Fall ist der Ansatz dieser Berlin Biennale ein gänzlich anderer als bei den vorausgegangenen, bei denen meist zu viele Texte zu lesen und zu viele "Panels" zu besuchen waren. Dieses Mal hat man versucht, Kunst nicht in erster Linie als Erkenntnisvehikel zu gebrauchen, sondern zu inszenieren. Der Besucher hat den Eindruck, die Kuratoren haben eher wie Bühnenausstatter oder als Requisiteure für Filme gewirkt denn eine Ausstellung konzipiert. Neben einem ehemaligen Physikraum stößt man auf einen Video über Atombombentests, auf dem Friedhof klimpert eine Klanginstallation in den Bäumen, eine Skulptur der Belgierin De Bruyckere mit dem Titel "Lichaam", was zu deutsch nicht Leiche, sondern Körper bedeutet – alles ist malerisch zusammengestellt wie auf einer Bühne – die einen Kritiker sind begeistert von dieser moviehaften Biennale, die anderen vermissen wirklich aufregende neue Kunst, die mehr tut als sich nur einem Ort in thematischer Kongruenz unterzuordnen; Kunst, die gesehen und nicht eher übersehen wird. Dem New Yorker Trend der letzten Jahre ergeben folgend, ist eine Abkehr von der Fotografie deutlich erkennbar, Skulptur und Installation kehren zurück. Und, dem Titel der Ausstellung entsprechend, findet man nun statt Texten viele Tiere, hier eine Büste mit Hundekopf, da ein Video mit Reh und Wolf, und dort ein Video mit Pferd – die Beschwörung des "Animalischen" in "Von Mäusen und Menschen" ist überdeutlich. Roland Flexners kleinformatige Zeichnungen von Menschen, die aussehen, als seien sie in einer psychiatrischen Abteilung portraitiert worden, Victor Alimpievs Video "Summer Lightning", wo die Geräusche eines Sommergewitters mit dem Zittern von Kinderhänden überlagert wird, Jaan Tomiks "Father and Son": nackte Schlittschuhläufer fahren in einem eisigen Nirgendwo herum, sind die gelungeneren Versuche, Leid und Angst einzufangen.
Viele Exponate rekurrieren jedoch auf die figürlich-überkonkrete, noch nie gut gewesene Achtziger-Jahre-Ich-bin-innerlich-zerrissen-... Diese Biennale vertritt allzu deutlich Ambitionen nach "neuer Ernsthaftigkeit", die sich jedoch in meist oberflächlicher Schauerromantik an universalen Themen wie "Tod" und "Geburt" abarbeitet, anstatt präziser auf die Gegenwart abzuzielen. Politische Arbeiten, Bezüge zum Ist und Jetzt finden sich nicht – von Ausnahmen abgesehen wie dem Video über den haptisch ausgerichteten Sexualkundeunterricht in einer Blindenschule von Felix Gmelin. Wenn wiederum versucht wird, nicht nur eine rätselhaft düstere Atmosphäre zu erzeugen, sondern sich genau mit einem grauenhaften historischen Ereignis auseinanderzusetzen, kommt Peinliches dabei raus: Der Künstler Kuśmirowski hat einen täuschend echten, riesigen Viehwaggon im dritten Stock der jüdischen Mädchenschule – die den Nazis als Deportations-Sammelpunkt diente – nachgezimmert. Dieser "Einfühlungsversuch" wirkt reichlich plump: Ein Viehwaggon wird in keiner Ausstellung auch nur einen Hauch von Deportationsschicksal aufkommen lassen, eher – und das ist das eigentlich makabre – von "Deportationsromantik". Und bei Betreten des Raumes ist von allen Ausstellungsbesuchern als Erstes zu hören: "Wahnsinn, wie hat der diesen Waggon hier hochgekriegt?" – bis man versteht, daß es sich nicht um einen Original-Waggon handelt, sondern um einen aus Pappe täuschend echt nachgebauten. Letztendlich spricht der Künstler nur von sich selbst und nicht von den Opfern. Das Staunen gilt ihm und seinem Können, nicht den Deportierten. Das ist das Perfide an solch einer "Einfühlungskunst". Fazit: Der 4. berlin biennale hätte weniger Pathos, weniger Ruinen- und Friedhofskitsch und mehr Inhalt gut getan.
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