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Kunst in der DDRveröffentlicht in "Jungle World", 2003In den Jahren nach dem Mauerfall hat es keine Ausstellung über Kunst (in) der DDR gegeben, die nicht für Aufsehen und Ärger gesorgt hat. Ob in Weimar, Leipzig oder Berlin, ob die Ausstellungen provokant "Auftrag: Kunst 1949 – 1990" hießen (Deutsches Historisches Museum, 1995) oder nüchtern-selbstreferentiell "Deutschlandbilder" (Martin-Gropius-Bau, 1998) oder betulich-poetisch "Klopfzeichen" (Museum für Bildende Künste, Leipzig, 2002); jede Bilanzierung der Kunst aus einer historisch offenbar noch zu neuralgisch-nahen Epoche führte zu bundesweiten "Bilderstreiten". Die einen empörten sich über die vermeintliche "Diffamierung", gar ein bewußtes der Lächerlichkeit preisgebendes "Vorführen", die anderen wiederum störte die moralfreie Betrachtung von Kunst rein nach "Qualitätskriterien" – ein in Deutschland mit seinem problematischen Kunsterbe oft diskutiertes Thema. Ein anderer Dissenzgrund war oft die als zu schlicht polarisierend empfundene Trennung in "Staats-" und "Dissidentenkunst". Der größte "Bilderstreit" wurde jedoch 1999 in Weimar provoziert, als in "Aufstieg und Fall der Moderne" mit einem bewußt schlecht präsentierten, viel zu dicht gehängten Chaos-Sammelsurium eine Vergleichbarkeit der DDR-Kunst zu Werken aus der kruden Privatsammlung Adolf Hitlers nahegelegt werden konnte. Die Berliner Kuratoren Eugen Blume und Roland März haben trotz der zu erwartenden nächsten Sturmhöhe nicht davor zurückgeschreckt, noch eins drauf zu setzen und die bislang größte Schau in der Berliner Nationalgalerie zu veranstalten: 400 Werke von 145 Künstlern aus einem Zeitraum von 40 Jahren sind noch bis zum 26. Oktober zu besichtigen. Einen Fehler haben sie schon einmal geschickt umschifft: mit dem Titel "Kunst in der DDR" (nicht etwa "Kunst der DDR") verzichten sie auf den – tatsächlich unmöglichen - Anspruch auf "Vollständigkeit". Und als Kuratoren aus der ehemaligen DDR entgehen sie auch dem Vorwurf, mit "West-Arroganz" die Kunst aus dem Osten lehrmeisterlich auf Herz und Niere abzuklopfen. Natürlich nörgelt jetzt wieder dieser oder jener Kritiker, der gerne sein vermeintliches Spezialwissen öffentlich zum Besten geben möchte, über diesen oder jenen fehlenden Künstler - alas, der normalsterbliche Ausstellungsbesucher ist mit den 400 Werken schon recht gut beraten. Chronologisch führt die Ausstellung mit Werken aus der "Stunde Null" über das " 'Blaues Wunder' – Dresden", "Poesie des Alltags", "Von der Collage bis zur Mail Art", "Berlin – Schwarze Melancholie", "Passage Fotographie – FotoGrafik", "Großstadt veristisch" bis hin zur "Filmkunst" – um nur einige der besonders interessanten Setzungen zu nennen. Man wird nicht umhin kommen, ungewöhnliche Entdeckungen zu machen, die das Klischeebild der gegenständlichen DDR-Kunst sozialistischer Prägung erheblich verzerren – von experimenteller Fotografie eines Edmund Kesting, dessen Fotogramme oder Negativmontagen oft eine grotesk-bedrohliche Note haben, über sensitive "innerliche" Abstraktionen mit Klee-haften Anklängen oder Op-Art Werken wie Horst Bartnigs "585 Unterbrechungen – 585 Striche in 11 Farben" bis hin zu satirehaft-überrealistischen Gemälden von Punks und anderen crazy birds. Außenseiter unterschiedlichsten Hintergrund treten auf: Die gebürtige Barcelonesierin Nuria Quevoda mit ihrem bewegend-düsteren Familienportrait "30 Jahre Exil". Der ehemalige Heizer Albert Ebert, der noch die künstlerische Karriere einschlug, malt sich selbst zum Geburtstag das illustre "Heizers Geburtstagsständchen II" mit einem im Ofen schmorenden Ulbricht – unter von Engeln begleiteter Blaskapelle. Großartige Photographien wie z.B. Christian Borcherts "Faschingsdienstag" (aus der Serie: "Zeitreise") oder Ulrich Wüsts unbeschönigend-dokumentarischen "Stadt-Bilder" werfen einen anderen Blick auf den in den Brigadebildern gefeierten sozialistischen Alltag. Herbert Behrens-Hangeler wiederum gehört zu den Künstlern, die trotz Ulbrichts Diktum gegen die abstrakte Malerei weiterhin nonfigurativ malten – über Jahrzehnte nur für einen kleinen Kreis von Freunden und Schülern. Auf der 5. Tagung des Zentralkommites der SED (1951) hatte Ulbricht
programmatisch erklärt: Behrens-Hangeler, Jahrgang 1898, sprach aus, was viele seiner Kollegen wie Hermann Glöckner dachten: "Die Nazis haben mir die Hand abgehackt, nach dem Krieg wurde sie mir abgehackt." Die abstrakte Malerei wurde als "Rückzug ins Private", ins Undeutliche, Vage und Subjektive, als mentaler Ausdruck des Widerstands gelesen – Kunst sollte verständlich, mehr noch: so narrativ sein, daß sie zu didaktischen Zwecken instrumentalisierbar sei. Beharrliches nichtfigürliches Malen war damals ein dissidenter Akt. An diesem Punkt muß man als Betrachter allerdings fragen, ob eine Ausstellung überhaupt – zumal in der schönen, mondänen, lichtdurchfluteten Nationalgalerie - nur annähernd etwas über die schwierigen Vorbedindungen solch einer Kunst vermitteln kann? Wir stehen vor farbrhythmisiert-verspielten Abstraktion, wie sie in Westdeutschland, in Frankreich, in USA damals ebenso entstanden sind – unter ganz anderen Bedingungen. Aber die Gefahr der relativierend-ahistorischen Betrachtung von Kunst in den meistens aseptisch-neutralen Museumsräumen, die ein kontextloses Nirwana suggerieren, ist nicht ein Problem der Nationalgalerie allein, sondern ein grundsätzliches. Sichtbarer verwoben ist das eigene Leiden am Land in den Arbeiten von Cornelia Schleime: Geboren 1953 in Ost-Berlin, war sie Mitglied der Punkband Wurzel aus Zwitschermaschine, Filmemacherin und Absolventin der Dresdner Hochschule für Bildende Künste. Über viele Jahre wurde sie von der Stasi bespitzelt, mit Ausstellungs- und Auftrittsverboten belegt, bis man sie 1984 aufforderte, innerhalb von 24 Stunden die DDR zu verlassen. Einziges "Vergehen": Wilde Frisur, seltsame Performances, noch seltsamere Filme. Einer davon ist nun in der Nationalgalerie zu bestaunen: "Das Nierenbett" (1983). Weitere sehenswerte Filme in der Ausstellung sind "Der Wurstfilm" (Jörg Herold, 1988), "Drachensteigen" (Oskar Manigk, 19879) und "Terror in Dresden" (Wolfgang Opitz/A.R. Penck, 1978) sowie verschiedene andere. Was den "politischen Inhalt" der Ausstellungswerke anbetrifft, die von den Kuratoren - mit dem Eingeständnis der Subjektivität - rein nach "künstlerischen Qualitätskritierien" ausgesucht wurde, muß der Austellungsbesucher sich oft mit Ahnungen und Andeutungen begnügen. Ulbricht schmorend im Ofen bildet auf jeden Fall die Ausnahme. Gedämpfte, "depressive" Farben – mit Ausnahme einiger greller Achtziger-Jahre-Tafelbilder – dominieren. Wenn Farbigkeit eingesetzt wird, dann meist schockartig, als Rot-Schwarz-Kontrast. Kurator Roland März meint, daß sich in der DDR die Literaten in viel stärkerem Maß politisch eingemischt haben als die bildenden Künstler, Kollege Blume konstatiert, daß der Versuch, in die Gesellschaft direkt hineinzuagieren, nur selten gelungen ist – beispielsweise aber in der auch in der Ausstellung zu besichtigenden Mail Art. Insgesamt zeugen die Exponante jedoch eher von einem Sich-Verweigern beziehungsweise von einem Beharren auf eigenen ästhetischen Prinzipien als von direkten Provokationen. Viel Kritik ist verklausuliert, allegorisiert, in Metaphern transferiert – auch ein flüchtender Sisyphos (Mattheuer) kann natürlich Bände sprechen - deshalb natürlich nicht unbedingt weniger wirkungsvoll. Vielerorts kommen einem die Werke in "Kunst in der DDR" jedoch ziemlich "westlich" vor, immer wieder findet man Rückbezüge und Anspielungen auf Cezanne, Léger, Baumeister, Beckmanns "Welttheater" oder auf Informel, den Abstrakten Expressionismus oder die En-Passant-Fotografie - keine Kunstgattung, die nicht auch in der DDR ihren – oft jedoch zeitlich verzögerten – Niederschlag fand. Bisweilen ist es frappierend, abstrakte Kunst in expressivem Gestus zu betrachten, wie man ihn aus den Sechziger Jahren kennt – hier jedoch Mitte der Achtziger datiert. Unaufhörlich drängt sich dem Besucher die Frage nach der Durchlässigkeit ideologischer und geographischer Barrieren, nach der Vermittelbarkeit von Kunst über Staatsgrenzen hinaus auf. Die strikt nationale Begrenzung verwirrt bisweilen - bei bestimmten sehr "zeittypischen" Bilderreihen addiert man im Kopf sofort das westdeutsche, italienische, französische, russische oder amerikanische Pendant. Manche Verbindungen werden sehr direkt angesprochen: Der Dresdner Künstler Jürgen Schieferdecker hat zum Beispiel eine Offsetlithographie mit "Beuys macht Licht" (1978) tituliert. Der Austausch zwischen Ost-und Westkünstlern hätte noch ein Thema für die Ausstellung sein können. Durch den bewußten Verzicht auf diese Interaktionen wird allerdings der "Glaskuppeleffekt", unter dem die meisten DDR-Künstler leben und arbeiten mußten, noch evidenter. "Wann hat man schon die Gelegenheit, ein Areal von einem Zeitraum von 40 Jahren abzuschirmen und eine bestimmte Kultur zu züchten. Ein derart großes Staats- und Kulturexperiment wird es so schnell nicht wieder geben", konstatiert der Berliner Künstler Via Lewandowsky (auch in der Ausstellung) in einem Interview mit dem SPIEGEL. Den Ausstellungsmachern wirft er jedoch eine Fokussierung auf "Nischenkunst" vor, ein winziger Randbereich würde nun nachträglich aufgepumpt werden, die Kunst in der DDR, die "vermufft" und "domestiziert" war, in der Ausstellung in einem falschen Licht erscheinen und die von ideologischen Altlasten behaftete Vergangenheit verharmlost. Die kontextfreie Präsentation nach rein künstlerischen Qualitätsmerkmalen erinnert Lewandowsky an einen Chirurgen, "der sich fasziniert brutale Stichwunden ansieht, ohne sich dafür zu interessieren, wie die Verletzungen zu Stande kamen." Dieser Gedanke ist nachvollziehbar, zumal selbst DDR-Vorzeigekünstler wie die "fabulous four" Heisig, Sitte, Tübke und Mattheuer nur mit vielschichtigen bis kritischen Bildern vertreten sind, die üblichen Brigadebilder fehlen fast vollständig. Gleichzeitig sind sehr viele Zeichnungen zu sehen, denn das Medium Zeichnung – als persönlichste künstlerische "Handschrift", ähnlich dem Gedicht – war nie gut für Agitationszwecke geeignet, von daher stets weniger im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit als beispielsweise die Tafelmalerei und somit Refugium für einen freieren Ausdruck in der Kunst. Allerdings muß an dieser Stelle eingeräumt werden, daß es in keinster Weise das Anliegen der Kuratoren war, eine repräsentative Übersicht, eine möglichst detailgetreue "DDR-Landkarte der Kunst" zu bieten – sie wollten vor allem und in erster Linie der Öffentlichkeit Werke zeigen, die weder dem üblichen sozialistischen Klischee entsprechen und noch einen "Tierpark-Voyerismus" (Roland März) für Wessis auf Exotik-Trip Vorschub leisten (wie in Weimar), sondern unter formalen Aspekten beziehungsweise aufgrund ihrer kreativen Eigenständigkeit als "große Kunst" anzusehen sind - und davon findet man einige in der Ausstellung. Einen interessanten Einfall hatte Lewandowsky noch, wie man die Bilder von
damals heute präsentieren könnte: In einer 1:1 nachgebauten Dresdener
staatlichen Kunstausstellung, "dann würde das Publikum immerhin sehen, mit
welcher selbstgefälligen Überheblichkeit Kunst und Betrachter domestiziert
wurden." "Kunst in der DDR – eine Retrospektive der Nationalgalerie", Neue Nationalgalerie |
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