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Temporäre Heimatveröffentlicht in Jungle World, 27. September 2007Was Wohnen, Behausung, mobiles Leben, nomadenhaftes Dasein zwischen Reisen, Flucht und Migration, was eine Pluralität von "Heimaten" und Identitäten bedeuten könnte, versucht die Ausstellung "Neue Heimat" der Berlinischen Galerie zu erkunden. Die 29 beteiligten Künstler kommen aus so unterschiedlichen Ländern wie Finnland, Israel oder Argentinien, dennoch merkt man ihren Arbeiten an, daß sie alle der Generation der Vielreisenden, der Multitasker und der im übertragenen Sinne Fremdgeher entstammen. Ihre Arbeiten tragen oft assoziativ aufgeladene Titel wie "Every Inch is mine", "Between Here and There", "Here, There and Everywhere" (vielleicht in Anspielung auf den Lennon-McCartney-Titel), "Above the Below" oder "Waldputz", "Berliner Hütte", "Ankern", "Alles auf Anfang" und "Zentrale Randlage". "Berlin Contemporary" lautet der Untertitel der Ausstellung; den Künstlern gemeinsam ist, daß sie einmal in Berlin gelebt haben oder hier wohnhaft sind. Berlin ist der Ausgangs-, Mittel- und/oder Fluchtpunkt dieser Künstler. Von überstrapazierten Bildern wird man verschont, kein Fernsehturm, kein Palast der Republik, keine Karl-Marx-Allee werden feilgeboten. Statt dessen wird das Bekannte verfremdet: Erla Haraldsdóttir (aus Island) und Bo Melin (aus Schweden) haben "häßliche" Ort aus Berlin, verwahrloste Ecken, Brachflächen und Graffitiwände aus Berlin-Kreuzberg in Fotos ihrer skandinavischen Heimatstädte eingebaut, so daß eine andere Realität, ein Zwitter zweier Welten entsteht. Die Übergänge sind unsichtbar. Beide Künstler sagen, erst beim Anblick von Kreuzberg sei ihnen klar geworden, wie seltsam sauber und ordentlich es doch in skandinavischen Städten so zuginge. Paul Ekaitz, von Barcelona nach Berlin gezogen, hat in "Hinterhof" die Wohnungen all seiner Freunde in Berlin nachgebaut, neu angeordnet und verschachtelt, und somit ein neues, abstraktes Gebäude in poppigen Farben geschaffen. Via Lewandowski (von Dresden nach Berlin) hat ein riesiges spitz zulaufendes Kartenhaus gebaut - mit Fenstern. Mit dieser ironischen Arbeit führt er die "Sicherheit", die "Haus und Heim" konnotativ vermitteln sollen, ad absurdum. Mobilität, Flexibilität, Trennungen, Krisen, private und kollektive Katastrophen – all dies impliziert diese kraftvolle Arbeit. Mit Heimat assoziiert man Begriffe wie Heim oder auch Behausung. Daher haben zahlreiche Exponate im weitesten Sinne etwas mit Architektur zu tun. Das Haus kann als schützende Hülle, als Sehnsuchtsort und Zuflucht fungieren, aber auch ein gefährdetes, ein von Verlust bedrohtes Domizil sein. Bei den 29 verschiedenen künstlerischen Herangehensweisen wird deutlich, daß Heimat nicht mehr als etwas Selbstverständliches angesehen werden kann, immer ist das Verhältnis zu ihr distanziert, zweifelnd, sehnsuchtsvoll, gebrochen. Entweder wird sie auratisiert oder ironisiert, nie ist sie einfach da. Ähnlich verhält es sich bei dem Umgang der Künstler mit der Landschaft, die seit jeher besonders mit dem Heimatgefühl verbunden wird. Ob sie Schutz und Spielraum für das sich selbst suchende Ich bedeutet – wie in der Romantik – oder eher selbst zum schutzbedürftigen Territorium mutiert ist, ist eine Frage von Zeitgeist und veränderter Umwelt. Bei Markus Draper verschmelzen in digital erstellten Collagen postkartenschöne Bergkulissen mit Zivilisationsruinen – düstere Mondlandschaften, eine Welt am "Day After" scheint errichtet worden zu sein. Miguel Rothschild, der 1991 von Buenos Aires nach Berlin zog, hat aus bunten Strohhalmen eine Art dreidimensionalen Raum gebaut, deren spielerische Leichtigkeit an ein Spielplatz oder ein Kinderzimmer erinnern läßt. Doch es gibt neben der vielfarbig beschworenen Gegenwart eine Fährte in eine andere Zeit: Das bunte Objekt ist exakt dem seltsamen Stein auf dem Dürer-Stich "Melencolia I" (eine Abbildung hängt in der Ausstellung) von 1514 nachgebaut, es rekurriert augenzwinkernd auf diesen "Stein des Weisen". Im Unterschied zu Dürer kann man jedoch bei Rothschild in das Objekt hineinsehen, es gibt einen Innenraum der Melancholie. Tea Mäkipää aus Finnland hat wiederum einen radikalen Blick hinter die Kulissen des häuslichen Wohnens geworfen und ein Haus in realer Größe nachgebaut – jedoch auf alle die Privatheit abschirmenden Aspekte – Dach, Wände, Böden – verzichtet. Was übrig bleibt, ist das Skelett eines Hauses, ist ein Wohnen auf funktionale Grundelemente – Heizung, Rohre, Toilette, Spülbecken – reduziert. Aus den Lautsprechern dringt ein Ehestreit, der in dem leeren Geisterhaus konserviert scheint. Kritik an Überwachungsmaßnahmen, an der völligen Bloßlegung des Privaten, scheint sich hier anzudeuten. Der Gegenpol zu "Haus" und "Heim" ist die Fremde, von der Kuratorin Ursula Prinz zurecht sagt, daß der heutige Mensch mittlerweile einen Großteil seiner Lebenszeit in ihr verbringt – teil freiwillig, teils ökonomisch bedingt, teils aufgrund von Krieg, Naturkatastrophen. In vielen Arbeiten wird das Vertraute und das Fremde, das Eigene und das Andere vermischt. Es wir deutlich, daß in einer Ära, in der es nichts nirgendwo noch nicht gibt und alles – von McDonalds bis hin zum Handy und zum "Lonely Planet" – ubiquitäre Verbreitung erhalten hat – "Heimat" und "Fremde" Begriffe sind, die sich nicht mehr scharf voneinander abgrenzen lassen. Es entstehen neue transnationale frei flottierende geistig-kulturelle Standorte, die gleichermaßen beruhigen (überall entdeckt man ein Stück Heimat wieder) wie auch Angst erzeugen können. Angst, weil Heimat und Authentizität in besonderer Weise miteinander korrespondieren; kopierte Versatzstücke des Eigenen können nicht über ihren Substitutionscharakter hinwegtäuschen. Zunehmend akzeptieren wird einen fluid gewordenen Heimatbegriff, verstehen unter Heimat immer weniger die Faktizität eines Ortes. Heimat gibt es oft als portablen "Ort", im Taschenbuchformat, als Talisman. In einer sich uniformierenden Welt wird Heimat zum utopischen Un-Ort, zur verklärten oder verteufelten Erinnerung - jedenfalls ist sie für viele Menschen kein realer und schon gar kein statischer Ort mehr. Oft ist es nicht viel mehr als die nackte Haut, die eigenen Hoffnungen und Wünsche, die in einer von Mobilität und Migration geprägten Zeit, so etwas wie Identität stiften kann. Costa Vece (Zürich) hat mit "Revolución / Pariotismo Tent” einen spannenden Beitrag zum Thema nationalistische Abgrenzung, Kleinstaaterei und Fremdenhaß geliefert. Sein Zelt besteht aus in Nationalfarben verschiedener Länder zusammengenähten Stoffstücken. Armut, Kleiderhaufen und Flüchtlingszelte werden hier impliziert. Doch trotz schwieriger und instabiler Lage mutiert auch noch die eigene fragile Behausung zum Austragungsort nationalistischer Konflikte, die Hauswand und damit auch die eigene Haut (die Hauswand besteht aus Kleidung) zur Fahne umfunktioniert. Mona Hatoum aus Beirut, 2002 auf der Documenta vertreten, hat ihre Erfahrungen von Flucht und Migration mit einer Installation umgesetzt: Die Möbel einer Wohnung sind alle auf Fäden aufgezogen und bewegen sich langsam durch den Raum. Das Gefühl, ständig unterwegs sein zu müssen, nur noch aus dem Koffer zu leben und sich nirgendwo mehr wirklich niederlassen zu können, wird hier auf eindringliche Weise vor Augen geführt. Dritte Welt und Erste Welt haben plötzlich etwas miteinander gemeinsam. In dem Video "The Rise" von Nina Fischer (von Emden nach Berlin) und Maroan El Sani (von Duisburg nach Berlin) hastet ein junger Anzugheini in einem hypermodernen Hochhauslabyrinth, mal auf Außentreppen, mal innen, Stockwerk für Stockwerk höher. Wir ahnen schon, er wird sein Ziel nicht erreichen, das Haus ist ein Turm von Babel des kapitalistischen Übermuts, hier will jemand immer höher hinauf und kommt doch nie an. Er begegnet nur sich selbst in absurden Szenen mit einem Doppelgänger, er verliert sich in der überall gleich aussehenden Glashausarchitektur. Eine eindringliche, gespenstische Arbeit über Karrierismus und inhumane Architektur. Michel de Broin aus Montreal ist mit "Black Whole Conference" ebenfalls eine böse Metapher auf die Allgegenwart der Ökonomie und Macht gelungen. Ein ungefähr drei Meter hoher Kubus besteht nur aus kunstvoll ineinander verschachtelten schwarzen Bürostühlen, die somit Teil einer abstrakten Skulptur geworden sind. Die Stuhlbeine weisen alle igelartig nach außen, die Skulptur bekommt somit etwas Bedrohliches. Der Titel deutet an, daß sehr vieles von dem, was auf Konferenzen so geäußert wird, Bullshit ist – das Wort "Black Hole" ist inbegriffen. Die Berlinische Galerie, 1975 als privater Verein gegründet, war selber lange Zeit heimat- und obdachlos: mußten doch jahrelang alle Projekte aushäusig, nämlich im Martin-Gropius-Bau, untergebracht werden. 1999 war zunächst geplant, die Berlinische Galerie auf dem alten Schultheiss-Areal in Kreuzberg anzusiedeln – doch 2001 beantragte der Projektentwickler Insolvenz. Es mußte ein neuer Standort gesucht werden. Erst 2004 hat die Berlinische Galerie mit einem alten, derweil umgebauten Industriekomplex in der Alten Jakobstraße in Kreuzberg eine neue Behausung gefunden. Die schönen gelben Buchstaben auf dem Boden, die zu einem neuartigen Hüpfspiel einzuladen scheinen, weisen schon von Weitem auf das äußerst innovative Museum hin. Der Berlinischen Galerie ist eine großartige Ausstellung gelungen, die ein anspruchsvolles, zeitgemäßes Sujet vielperspektivisch beleuchtet. Ein gelungener Start in einen vielversprechenden Berliner Kunstherbst!
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