zurück 

Junge Kunst aus Israel

veröffentlicht in "Jungle World", 2003


"Wonderyears", eine andere Bezeichnung für die Jahre des Heranswachsens, lautet der Titel einer Austellung in den Räumen der NGBK und des Bethaniens, das sich mit der Auseinandersetzung der Shoa und des Nationalsozialismus in der heutigen israelischen Gesellschaft und deren jüngeren Repräsentanten beschäftigt. Bemerkenswert ist, daß alle Arbeiten tatsächlich für diese Ausstellung angefertigt wurden, womit sich "Wonderyears" angenehm abhebt von den üblichen kuratorischen Versuchen, verschiedene Künstler willkürlich unter einem Rubrum zusammenzufassen. Die 23 vertretenen KünstlerInnen sind in den späten sechziger und siebziger Jahren geboren, somit der "dritten Generation" nach dem Holocaust zugehörig. Der Künstler und Camera Obscura School of Art- Absolvent (Tel Aviv) Avi Pitchon zeichnet in seinem im Katalog abgedruckten Essay "Blitzkrieg Bopper, Orgasmus-Junkiews und gruselige Monster" ein Bild der "neuen Künstlergeneration" Israels: Zunächst wird als Gemeinsamkeit die Auflösung von U- und E-Kunst heraufbeschwören, um schließlich eine "Gemeinschaft, die mit der Postmoderne in Kunst und Kultur und dem Postzionismus in der Politik aufgewachsen ist" zu postulieren. Aus Pitchons Essay sowie aus den lässig-ironisch, unpathethischen Unterton vieler Arbeiten wird ein Überdruß an der Form von Politiktradierung, die diese Generation bisher erlebt hat, deutlich: "Wir sind mit der Wahrnehmung der Shoa als pornographische Geduldsfolter schwarz-weiß flackernder Dokumentar-Filme aufgewachsen und mit den mittlerweise abgeschmackten Gedenkfeierlichkeiten in der Schule", konstatiert Pitchon, um fortzufahren: "Das dunkle Tabu des ultimativ Bösen mischte sich mit pubertärer Sexualität und dringenderen Fragen wie 'Wer geht Freitagabend mit wem aus?'"


Eine hedonistische, der Geschichte und ihren melancholischen Erinnerungsritualen skeptisch gegenüberstehende Generation wird hier skizziert. Einige der in "Wonderyears" ausgestellten Arbeiten, die Filmaufnahmen von Hitler verulken, in dem sie dicke Schnurrbärte durch den Raum fliegen lassen oder eine kesse Girlgroup namens "The Hitler Singers" inszenieren, korrelieren mit diesem Statement und legen den nachvollziehbaren Wunsch nahe, "sich endlich dem 'normalen' Leben widmen zu können wie andere Völker auch", wie Nissan Shor, der mit "Abstimmung mit den Füßen" einen hochinteressanten Beitrag über den Zenit und den Verfall der israelischen Clubkultur verfaßte (ebenfalls im Katalog), schrieb. Als "stummer Schrei nach Normalität" wird diese Sehnsucht an anderer Stelle bezeichnet. Auch Noam Yuran konstatiert in "Die Schrecken des Kriegs, die Schrecken des Sex": "Denn Israeli zu sein, beinhaltet die Annahme, da es etwas bedeuten muß, Israeli zu sein". Insofern spricht aus einigen Arbeiten und begleitenden Texten der Wunsch der "dritten Generation" nach "Postmodernisierung" der Politik, im Sinne von: ironischer Distanz, Verweigerung von Gefühl, Innerlichkeit, Pathos. Bezeichnend dafür ist Tamy Ben-Tors amüsante Video-Komödie "Women Talk about Hitler", in der verschiedene, meist gehässig und ironisch dargestellte Frauen sich über Hitler äußern: da gibt es die Esoterikerin, die frustrierte Hausfrau, die heimliche Hitler-Verehrerin und die Buchautorin, die in einer Publikation mit dem Titel "Healing Hitler" für die Heilung des "inneren Hitler in jedem von uns" plädiert. Das alles ist lustig und schauspielerisch aufs Gelungenste präsentiert, doch läßt es einen etwas ratlos zurück: Ist Hitler für die Künstlerin einfach nur irgendein Promi, über den Frauen in den Medien eben so reden? Oder geht Ben Tor noch einen Schritt weiter und ironisiert letztendlich die Medienwelt, die, indem sie über irgendjemand oder – etwas spricht, eine eigentlich skandalöse Gleichmacherei betreibt – Hitler und Ghandi haben eine große Gemeinsamkeit: man redet über sie?


Für das Mißtrauen einiger Vertreter der jüngeren Generation Israels gegenüber der Welt der Politik und ihrer beherzten Flucht ins Private werden eine Reihe von Gründen angeführt: Die israelische Gesellschaft lebt kulturell immer weniger isoliert als noch in vergangenen Dekaden, die Globalisierung, erst der Kunst, dann der neuen Märkte, die zunehmende Internationalität an Freizeitinhalten hat rückwirkende Folgen für die junge Generation mit sich geführt. Nissan Shor merkt an: "Bis zur zweiten Intifada konnte man glauben, die Clubszene und die ausgeprägte Dorgenkultur verfügten über das Potential, Denkmuster und das klassische Wertesystem des israelischen Jugendlichen zu verändern. Sollte nicht, wer in seiner Existenz ener Kultur verbunden ist, die in ihren Grundzügen so global ausgeprägt ist, ein Bewußtsein entwickeln, das ohne die automatische Identifikation mit dem Staat auskommt? Sollte er nicht Gleichgültigkeit gegenüber dem Establishment an den Tag legen und sich statt dessen einem liberalen Humanismus verpflichtet fühlen, wie er scheinbar nur dem Kapitalismus westlicher Prägung zu eigen ist – und sei es nur für ein paar Stunden im unbeständigen Territorium einer Party? Es schien möglich, dass sie Synenergien zwischen Leuten mit sehr unterschiedlicher gesellschaftlicher und ökonomischer Herkunft Vorurteile übrwinden und eine homogene Gemeinscahft bilden könnten (...). Eine Art Nihilismus des Vergnügens schien im Entstehen."


Den Vorwurf des "Unpolitisch-Seins" lehnt Shor jedoch entschieden ab: "Diese Generation, die sich scheinbar in den Individualismus zurückgezogen hat, nur mit ihren eigenen Vergnügen beschäftigt ist (...) bringt in Wahrheit mit ihrem Verhalten eine klare Abkehr von Idealen zum Ausdruck, die seit je nur zu Gewalt und noch mehr Gewalt geführt haben (...)." – Die Kritik an der gegenwärtigen isrealischen Politik wird in einigen Katalogtexten deutlich. Es wird auf Raves verwiesen, die vor dem Haus des Ministerpräsidenten unter dem Motto "Danke für den Frieden und prima auch die Sicherheit" stattfanden, aber auch auf die "unmögliche Vermischung von westlicher Demokratie und brutaler Besatzung eines ganzes Volkes sowie Unterdrückung von Minderheiten (Shor) hinweisen. Die Skepsis gegenüber der derzeitigen Politik hat - so scheint es - bei vielen Künstlern zu einer Abkehr von einer "Grundsolidarität" mit dem israelischen Staat, geführt. Ein evokatives Beispiel hierfür ist die Foto-Arbeit von Don Shadur, die einen jungen Israeli in Steppjacke und bunter Mütze lachend mit einem Drink von McDonalds in der Hand zeigt; im Hintergrund weht eine blau-weiße Flagge: Bei näherem Hinsehen erweist sie sich jedoch nicht als die isrealische, sondern als IKEA-Banner. Unter dem Foto befindet sich ein Textauszug aus Tom Segevs "Die siebte Million": "(...) Beim Anblick der israelischen Fahne, die hoch über den Gruben und Kaminen des Todes flattert, richten wir uns stolz auf und flüstern: ' Es lebe des Volk Israels! Das ewige Volk wird uns nie enttäuschen!'(...)"


Shadur scheint die berechtigte Frage zu stellen, wie weit sich die dritte Generation nach der Gründergeneration des Staates Israels schon von diesem entfernt hat, inwieweit ihre Mitglieder schon erinnerungslose "global players" geworden sind - wobei bemerkt werden sollte, daß es für Altnazis wohl nichts Demütigenderes geben kann als diese wunderbare Ausstellung, in der vorgeführt wird, wie junge Israelis nicht in stummer Opfer-Ehrfurcht auf die sich in ihrem "Böse-Sein" stets sehr chic gefunden habenden Nationalsozialisten blicken, sondern Hitler und Anhang lediglich albern, geisteskrank, komplett zum Lachen finden.


Irgendwo in diesem Spannungsfeld zwischen düsterem Rückblick und nonchalantem "lässigem" Nicht-Hinsehen bzw. Woanders-Hinsehen, zwischen Selbstbefragung und neuer Selbstverortung, zwischen gewachsenem Selbstbewußtstein und neuer Staatskritik sind die meisten Arbeiten von "Wonderyears" angesiedelt. Auch wenn in "Wonderyears" rein quantitativ sicherlich der "hedonistisch-ironische", postmodern geprägte Ansatz überwiegt, findet man doch bei genauerem Hinsehen die ganze Palette an "möglichen Erinnerungsformen" oder besser: Umgangsarten mit Gedächtnisinhalten in der Kunst:
Auf der einen Seite stehen einem (hyper)realistischen Ansatz verpflichtete Arbeiten wie Dina Shenhavs "Portraits of Evil", wo auf Styropor-Formen bekannte Nazi-Portraits abgebildet sind. Verwandt auch Hila Peleg-Lavis Fotoserie, die eine deutsch-jüdische Familie in verschiedenen biographischen Stationen abbildet. Ein nüchterner, forschender Aspekt ist diesen Kunstwerken eigen. Dem folgen wunderbare Exponate wie die von Zoya Cherkassky, die den Judenstern als goldene Brosche auratisiert, heilig spricht, das Schandmahl von einst in ein Schmuckstück, eine Auszeichnung verwandelt – ähnlich der Ansatz von Avi Pitchon, der auf einer Fototapete großformatig eine männliche Brust mit dem in altdeutsch geschriebenen Tattoo "Gesamtkunstwerk" zur Schau stellt. Diese Arbeiten haben sich schon weit von dem "dokumentaristischen" Ansatz entfernt und stellen die scheinbare Objektivität von Erinnerungsinhalten in Frage, in dem sie sie verfremden, transformieren, neu bewerten. Der Judenstern ist kein Schandmahl, der menschliche Körper nicht wie Vieh abzustempeln, sondern per Tattoo zum Gesamtkunstwerk zu erheben. Dem passiven dokumentaristischen Ansatz folgt der subjektiv, aktiv und willkürlich in die Erinnerungsinhalte eingreifende. Dabei muß als Ergebnis der künstlerischen Transformation nicht immer eine positive Neubewertung eingetreten sein: Thai Shani entwirft in ihrer Installation "Recreation" ein Horrorszenario aus klonhaften Puppen, die in einer an die weihnachtliche Krippe erinnernden Szene in Haufen aufeinanderliegen. Der größenwahnsinnige Versuch der Nazis, das Schöpfungsprinzip zu ersetzen und Übermenschen nach "Rassegesetzen" zu produzieren, wird hierbei in einer eigenwilligen und mutigen, in Retrospektive "prophetischen" Arbeit vorgeführt. "Recreation" bildet somit das "negative" Gegenstück zum Judenstern-Schmuckstück und zum auratisierten Gesamtkunstwerk.


Hernach sind die Arbeiten der "Verulkung" – Hitlers Schnurrbart bietet sich offenbar besonders an - anzusiedeln, die auf jedwede Form von Auratisierung: auch der eigenen Sache, verzichten. Am anderen Ende des Spannungsfelds finden wir Arbeiten wie Eliezier Sonnenscheins "Wednesday", die auf allgemeinere Weise – in Märchenmotive gehüllt – Fragen nach Gewalt und Unterdrückung stellt, ohne sie auf ein bestimmtes Volk, eine spezifische politische Situation anzuwenden. Hier erwächst aus der Shoa eine Fähigkeit zur Identifizierung mit einem noch allgemeineren Leid. Mit der Identifizierung spielt auch Roee Rosen, die in "Live and Die as Eva Braun" den Besucher dazu "einlädt", in die Haut von Eva Braun zu schlüpfen und die letzten Stunden und Minuten im Bunker – einschließlich ihres Todes und ihrer Fahrt – natürlich – in die Hölle – zu erleben. Jenseits von alldem steht eine kleine unspektakuläre Arbeit, die den meisten Besuchern wohl nicht näher auffallen wird – Roy "Chicky" Arads "Ausschwitz": Auf einigen Digitaldrucken sind lediglich Rechtecke in frühlingshaften Farben, gelb und grün, auf rotem Hintergrund, zu finden. Es sind "schöne", harmonisch komponierte, abstrakte Bilder. Doch irritiert und verstört die Vielzahl dieser immergleichen, mechanisch produzierten Bilder, die Exaktheit, mit der die bunten "fröhlichen" Rechtecke sich auf jedem der Digitaldrucke – man sucht förmlich nach geringfügigen Unterschieden - wiederholen. Hier scheint es, hat der Künstler, im Wissen über die Strömungen seiner Generation, das ganze Spannungsfeld zwischen realistischem Erinnern an die Shoa (Mechanismus, Gleichförmigkeit, Abstraktion, serielles Töten etc.), subjektivem Sich-Aneignen von Geschichte und Transformation und "fröhlichem" Vergessen: der stumme Schrei nach Normalität! mit den poppigen Farben in ein Kunstwerk fließen lassen – ein von der Shoa geprägter und auf sie referierender Hedonismus - , das einzigartig ist und nirgendwo auf der Welt sonst hätte entstehen können. Wonderful.


zurück