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Fokus Istanbulveröffentlicht in "Jungle World", 2005Über die Ausstellung "urbane Realitäten: Fokus Istanbul" ist in den Medien schon so kontrovers diskutiert worden, daß es einem schwer fällt, noch unbefangen durch den Martin Gropius-Bau zu schlendern. Es hatte im Vorfeld einen Eklat gegeben, da ausgerechnet der sehr engagierte und verdiente Kurator Christoph Tannert vom Kreuzberger Künstlerhaus Bethanien - einem Ort, der sich schon immer für türkische Kunst stark gemacht hat - mit einigen der führenden Istanbuler Künstler in Konflikt geriert. Zehn von ihnen sagten daraufhin ihre Teilnahme für die Ausstellung ab. Was hat die Kreativen vom Bosporus aufgebracht? Die einen hatten das Gefühl, man interessiert sich außerhalb der Landesgrenzen nur aus modepolitischen Gründen für sie: "The utilization of artists as illustrations in the EU-integration process. The artists do not believe they have to fulfil the role of good-will ambassadors in the EU-process of Turkey”, ist das Absage-Statement eines Istanbuler Künstlers (einige dieser Statements sind in der Ausstellung dokumentiert). Eng damit verknüpft ist der Argwohn, als "nationaler" Künstler wahrgenommen zu werden; d.h. in erster Linie als Türke und in zweiter als Künstler. "Overall fatigue over exhibitions based on the national identity of artists”, lautet das knappe und vollkommen einsichtige Statement eines anderen Neinsagers. "The artists from Turkey feel that there is no logic in showing in the same context other than the fact that they come from the same place", moniert der Künstler, und ein anderer moniert den "lack of intelligible focus or theme”. Tatsächlich fragt man sich, nachdem man Räume mit vollkommen disparaten Ausstellungsobjekten in, wie es scheint, beliebiger Anordnung endlich abgeschritten hat, was denn eigentlich das Thema von "urbane Realitäten: Fokus Istanbul" ist. Arbeiten verschiedenster Künstler aus aller Herren Länder (von den an die sechzig Teilnehmern stammen nur fünf aus der Türkei), die sich irgendwie - meist nicht nachvollziehbar oder sehr austauschbar - mit der Stadt Istanbul / dem Land Türkei / "den" Türken / dem Nahen Osten / dem Orient beschäftigen, kann als gemeinsamer Nenner nicht ausreichen ohne Willkür und Zufälligkeit zu vermitteln. Hier stolpert man über die Arbeit eines Peruaners, der wohl mal auf der Durchreise in Istanbul pausierte, dort über eine Skulptur von einem ungarischen Duo. Die amorphe Skulptur der Ungarn wurde aus Möbeln, die das Paar in einem türkischen Laden gekauft hat, zusammengesetzt. Die Möbel sind jedoch nicht in irgendeiner Weise typisch für türkische Wohnungen, sondern einfach nur Billig-Möbelhausware, die man ebenso im Ausverkauf hätte erstehen oder nachts auf der Straße hätte finden können. Via Lewandowsky - eigentlich kein Meister der Platitüde - läßt aus einer Kuckucksuhr einen Muezzin rufen: ha ha. Der Radius in "Fokus Istanbul" ist sehr weit abgesteckt - so weit, daß man den Istanbuler Horizont nur noch bestenfalls erahnen kann. Das nichtssagendste Modewort der Saison: "hybrid" findet sich auf jeder zweiten Ausstellungstafel wieder und wird der Stadt Istanbul - weil sie heterogen und widersprüchlich ist - akademisch übergestülpt. Wenn sich die Künstler aller Kontinente auf die Metropole am Marmara-Meer konkret beziehen, dann erwarten den Besucher klischeehafte Videos von Bosporus-Brücken, die den ach so kurzen Weg vom Okzident zum Orient und umgekehrt heraufbeschwören, Fotos von türkischen Geschäften, Märkten, Straßenleben... Natürlich fehlen auch ein paar türkische Prostituierte und Transen nicht, denn es soll mit dem Vorurteil aufgeräumt werden, es würden nur Kopftücher durch die Istiklal (Hauptgeschäftstraße Istanbuls) eilen; "...full of clichés about East and West, Christianity and Islam", formuliert ein Neinsager seine Sorge über die bevorstehende Ausstellung, und man kann verstehen, wieso er zu dieser Annahme kam. Wer schon einmal in Istanbul war, wird bestätigen können, daß so wie Manhattan nicht New York und Picadilly Circus nicht London ist, die Bosporus-Brücken nur einen winzigen Ausschnitt Istanbuls darstellen. Viele Bewohner der 12-Millionen-Metropole werden sie wochenlang weder sehen, geschweige denn überqueren. Die Ränder, Satellitenstädte und Vororte der Stadt hingegen sind gewaltig. Viele Gegenden bestehen eben nicht aus grandiosen Einkaufszentren, sondern aus windschiefen Häuschen, Schutt, Grasnarben und Investruinen. Aber in den EU-Integrationsprozeß passen solche Bilder nicht, man will lieber zeigen, wie "westlich" die Türkei doch ist und merkt dabei gar nicht, wie demütigend dieser Ansatz ist. Die Idee, eine große Ausstellung, die im weiteren Sinne "die" Türkei vorstellt, in Berlin, vor allem in Kreuzberg, zu zeigen, mag gut, vielleicht auch überfällig sein - die Ausführung und vor allem Auswahl der Künstler ist wenig überzeugend. Zum Glück findet man einzelne Arbeiten, die in jeder Ausstellung, in jedem Rahmen, begeistern würden: Da hat Roland Stratmann (Jahrgang 1964) eine geheimnisvoll-undefinierte silberne Skyline - wie von einem anderen Stern - aus Hasendraht, Aluminiumfolie und Papier konstruiert. Über den Boden flimmern Aussagen von Berliner Schülern über ihre Kenntnisse von Istanbul. Die vage Stadtarchitektur scheint ihrem Wissensstand zu "entsprechen". Der Titel der Installation ist "Stein und Boden sind aus Gold" - ein Sprichwort der türkischen Landbevölkerung, das ihre Vorstellung vom fernen reichen Istanbul zum Ausdruck bringt. Stratmann referiert auf Wissenslücken und Wunschphantasien, also auf den imaginären Charakter einer Stadt. Im Hintergrund - die Arbeit ist genau vor einem riesigen Fenster positioniert - ragt schattenhaft die zerklüftete, heterogene Kulisse Berlins hinein und spiegelt die türkisch-phantastische Stadt auf sehr eigene Weise. Der Niederländer Marc Bijl (Jahrgang 1970) hat mit seiner Flagge "no future, just another flag" eine amüsante Parodie auf die allseits bekannte EU-Fahne geschaffen: 12 gelbe türkische Halbmonde auf blauem Grund; dort, wo sonst überall schön die EU-Sternchen blinkern. Christine de la Garenne (Jahrgang 1973) läßt in einer großformartigen Video-Stele überdimensionierte Gebetsperlen aufeinanderklacken. Der Durchmesser jeder dieser Perlen beträgt ungefähr einen Meter, und das - ebenfalls erhöhte - Geräusch ihrer Berührung zueinander hat etwas ungewohnt Aggressives, Dynamisches. Durch den schlichten Mechanismus der Vergrößerung bekommt diese im Orient alltägliche Handlung eine besondere Aura, ihr geheimer "Zauber", ihre rhythmische Magie wird sichtbar gemacht. Die strengen ästhetischen Mittel schließen dabei eine sentimental-touristische Betrachtung aus. Die Berliner Künstlerin Ina Wudke (Jahrgang 1970), die sich mehrfach länger in der Türkei aufhielt, hat wiederum eindrucksvolle Gespräche mit Israelis, Türken und Deutschen über das Heiratsrecht in ihrem jeweiligen Heimatland auf Video dokumentiert. Von solchen Arbeiten, an der Schnittstelle von Soziologie und Kunst angesiedelt, hätte man in "urbane Realitäten: Fokus Istanbul" gerne mehr gesehen. Die wohl beeindruckendsten Exponate gehen jedoch nicht auf einen jungen Künstler, sondern auf den Vater der türkischen Fotografie zurück: Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen Istanbuls aus den 50er und 60er Jahren von Ara Güler (Jahrgang 1928). Hier spürt man, daß jemand nicht von außen auf die Metropole blickt. Erzählerisch im Gestus und doch viel komponierter als die üblichen Straßenszenen-Schnappschüsse sind sie die künstlerischen Destillate einer ganzen Epoche. Am Besten man vergißt "Fokus Istanbul" und die ganze Mediendebatte darüber, vergißt die EU, den Orient, den Okzident und all die anderen einschläfernden Etiketten, Gebrauchswörter und Himmelsrichtungen - und konzentriert sich statt dessen einfach auf die Kunst, auf "das, was da ist". Tunlichst vermeiden sollte man auch, sich allzulange im Foyer aufzuhalten: dort schlägt einem nämlich krachende türkische Discomusik zur Einstimmung auf die "laute Metropole" entgegen. Was für ein raffinierter Einfall. Istanbul ist anders. urbane Realitäten: Fokus Istanbul |
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