Unter dem Titel „Honey“ stellt die englische Künstlerin S.I.G. im Tacheles aus
taz, 3. September 2002
S.I.G. ist ein Original. Wenn man sie einmal gesehen hat, kann man sie nicht mehr vergessen. Plateaustiefel mit der britischen Flagge, Plastikklunker, knallrote Haare, Hektik. „Ich bin das!“, sagt sie und zeigt auf die Biene in ihren Gemälden, „ich habe ihr extra rote Haare gemalt!“ Auch die Frage, was S.I.G. denn eigentlich bedeuten würde, klärt sich bei Anblick ihrer Bilder. S.I.G., Secret Intelligence Girl, steht in Rostrot auf einem ihrer Bienengemälde. „Naja, Sigrid ist mein richtiger Name“, flaxt die Künstlerin dazu. S.I.G., 1967 in Wales geboren, hat am Goldsmith’s College in London Bildende Kunst/Kunstgeschichte studiert, dann noch ein dreijähriges Studium in Fotografie, Film und Video angehängt. Sie war Mitglied der Londoner Künstlergruppe „re-active art“ und hat als Art Director für „Chromatose Films“, ebenfalls in London, gearbeitet. Seit 1995 lebt sie mit ihrem Freund, dem Videokünstler Tim Coe, in Berlin. „Die Biene ist ein Lustmensch!“, sagt S.I.G. und räkelt sich auf ihrem Siebziger-Jahre-Plastikstuhl. Im Gegensatz zu früheren Arbeiten von S.I.G. dominiert in dieser Ausstellung ein fröhlicher, leichtlebiger Gestus. Honig als ein Symbol des Lebens, der sommerlichen Fruchtbarkeit und des Genusses; „Honiggebirge“ heißen zwei goldgelbe, fast abstrakte Gemälde. Die erotische Absicht hinter vielen Arbeiten von S.I.G. wird deutlich in „Eroticise Intelligence“, einem eineinhalb Meter langen schwarz auf weiß gedruckten Schriftzug, der in seiner Nüchternheit eher an eine überdimensionierte Zeitungsheadline, denn an einen Liebesbrief erinnert und im ironischen Kontrast zur spielerischen Buntheit der übrigen S.I.G.-Werke steht.
Und dann beherbergt „Honey“ noch den „Bee Cemetery“, auch Bienen müssen sterben. Doch wird aus S.I.G.’s mitten in der Ausstellung plaziertem Friedhof eher ein Spielplatz, ein Happening, denn ein Ort der Trauer. Das sieht so aus: Der Besucher wird aufgefordert, einen Wunsch (in Form eines aufgeschriebenen Gedankens oder irgendeines Krimskrams, die man in seiner Hosentasche findet) in ein Plastiktütchen zu stecken, auf dem von Steinen umzäunten „Friedhof“ zu begraben und eine Kerze darauf zu stellen. Erst wollte S.I.G., daß auf dem „Bee Cemetery“ wirklich tote Bienen beerdigt werden, aber es erwies sich, wie S.I.G. sich jetzt lachend erinnert, als schwierig, die Imker am Telefon von dieser Idee zu überzeugen und ihr einen Sack voll toter Bienen zu bescheren. „Vielleicht werden die Wünsche der Leute ja wahr, die die Leute hier festhalten“, sagt sie, und man merkt, sie ist keine Esoterikerin, sondern ein ausgekochter Scherzbold. Immerhin buddelt sie die Wunschtüten aus und hängt sie an eine „Wish Wall“. So gestalten die Besucher einen Teil der Ausstellung selber, Tag für Tag verändert sie sich.
Verbotene Süsse und selbstvergessene Sinnlichkeit sind die Themen in S.I.G.’s neuen Werken, verkörpert in der Biene als Lebenssymbol, als Hoffnungsträger: „Bee!, so der Imperativ-Titel eines Gemäldes. Mit dem kindlichen Charme der Cartoonwelt reiten die Bienen auf Grashalmen durch S.I.G.’s Bilderwelt, segeln auf Blütenblättern „he loves me, he loves me not“-zählend oder einfach nur mit selig-sattem Sommergrinsen auf grünem Flokati herum. Realismus? Naturdarstellung? Keineswegs! S.I.G.’s Bienen, ob sie nun S.I.G. portraitieren oder nicht, erinnern eher an Biene Maja als an wirkliche Bienenstockbewohnerin, eher an eine Kreuzung aus Las Vegas (auf dem Gemälde „Pure Honey“ findet sich eine riesige Glitzerbiene) und Disney World als an den Berliner Zoo. Sicher ist eine ganze Litanei von Popkunst in S.I.G.’s Kunst verarbeitet. Wenn sie irgendwo Wurzeln hat, außer in ihrer Fantasiewelt, dann bei Tom Wesselmann und Roy Liechtenstein. Aber – halt, die Künstlerin ist vielseitig. Ihre letzte Ausstellung, im Frühjahr, hieß „Blut und Blumen“ und zeigte Objekte, wie an die Wand genagelte Kuchenstücke, blutdurchtränkte Servietten oder eßbare Kunstwerke, die mit roten Lakritz-Tentakeln und aufgemalten Augen den Betrachter gefangen nahmen.
Objekt-Kunst, Film, Fotografie, Malerei, was wird das geheimnisvolle, hoch-intelligente Girl als Nächstes tun? „They might or they might not“, said Winnie-the-Pooh, „you never can tell with bees.“