Die Welt, Kunstmarkt, 30. September 2005
Der Besucherandrang bei der Eröffnung der „Berliner Liste“ im malerischen Umspannwerk in Berlin-Prenzlauer Berg war enorm. Kein Wunder, denn die „Berliner Liste“ hatte sich schon letztes Jahr erfolgreich als Standort für junge Galerien neben dem „Art Forum“ behauptet. Wie zu erwarten, ist die gegenständliche Malerei, vor allem in schräg-verspielter Manier, stark vertreten. Selten hat man so viele Babies, Kinder und Teenager, soviel Weltflucht und Naivität, so viel morbide Sehnsucht nach einem paradiesischen Anderswo gesehen: Bei Léopold Rabus (vertreten von Adler, Frankfurt a. M.) füttern kleine Mädchen Totenkopfmännchen; die Preise des Künstlers verdoppelten sich innerhalb eines Jahres: „Allégorie avec abeille“ wird nun für 7000 Euro angeboten. Neben Rabus vertritt Adler auch Alex McQuilkin („Sweet Sixteen“) sowie Klaus Wanker: Aus den Serien im 60er-Retro-Style „Feel the Hype (Noon)“ werden zwei kleine Werke für je 1800 Euro und aus „Imaginary Stardom“ ein großformatiges für 5900 Euro angeboten. Artdirekt (Bern) präsentiert Tatjana Gerhard mit Fabelwesen zum Ausschneiden für ein überdimensioniertes Poesiealbum – Kindheit ist für die Künstlerin aus dem Heidi-Land ein zentrales Thema – zu Einsteigerpreisen von 1200 € pro Serie. Antje Wachs (Berlin) zeigt eine 16-teilige Zeichnungsserie von Nina Lola Bachhube für 6.650 Euro, TZR (Bochum) beeindruckt mit Ruud van Empels digital-naiven Märchenwelten von puppenähnlichen Mädchen in dunklen Wäldern; diese verschiedenen „Studies in Green“, in Auflagen von 4-6, kosten zwischen 2000 und 3300 Euro. Cornelia Drehers rotzig-coole Comic-Mädels (bei Herrmann & Wagner, Berlin) rangieren in ähnlichem Preissegment. Denninger (Berlin) zeigt Miriam Vlaming mit in der Tradition von Sigmar Polke und Neo Rauch angesiedelten Drucken, denen Urlaubspostkarten als Motive dienten. „Summer Collection“ wird für 4000 Euro angeboten, „Collin & Friends“ für 2775 und „Spätlese“ für 3450 Euro.
Der Herausforderung der vom Wirtschaftsmagazin Brand eins für seine Innovativität gelobten Editionsgalerie Lumas (Berlin), die Fotografien in hohen Auflagen zwischen 75 und 150 zu Discounter-Preisen verkauft, versuchen andere Galerien derzeit mit neuen Strategien zu begegnen. So sagt Kai Brückner von TZR (Bochum): „Wir bringen jetzt qualitativ hochwertigere Arbeiten in etwas größeren Auflagen als früher – 25 – zu immer noch sehr niedrigen Preisen auf den Markt“. Achim Mohnés farbiges Krokodil „Geosmin“ kostet bei dieser Auflagenhöhe nur 500 Euro. Dennoch, Lumas hat ein Exempel gesetzt, an dem so schnell niemand vorbeikommt: Die sechsteilige Fotoserie „Untitled (Alaska)“ der gefeierten „Meisterin der Unschärfe“ Stefanie Schneider kostet 7500 Euro. „April Blue Eyes“ liegt bei 2400 Euro. Bei Lumas bewegen sich die Preise von Schneider für „White Trash Beautiful“ und „Max – By the Pool“ zwischen 100 und 290 Euro.
Jenseits der Biskysierung der gegenständlichen Malerei und der tragikomischen Neoromantisierung der Fotografie macht sich in ihren Schatten eine neue kleine Bewegung sichtbar: Interessante Kombinationen aus Malerei und Fotografie, in denen die zeitgenössische „Leichtigkeit“ nicht über das Sujet behauptet, sondern handwerklich hervorgebracht wird. Bei Andrea Neuman (Koch, Hannover) scheinen Figuren (Foto) auf schraffierten Farbflächen von Hier nach Nirgendwo zu schweben. Kleinformatige Werke kosten nur 400 Euro, „Springtime“ 2900 Euro. In „Scan-Code FN (Seeblick)“ gehen der schlanke Raster des Scans und die filigrane Architektur einer Terrasse am Meer ineinander über, als wollten sie eine metaphysische Geometrie behaupten. Auch bei Michael Botor, der in fiktiven Raumansichten Graphik und Lack verbindet, ist der Gestus kühl, Foto und Farbe werden nicht expressiv vermengt, sondern ergänzen einander egalitär. Bei Till Gerhard (pure edition, Stuttgart) hebt in „Pink Apocalypse Redux“ (Preis: 300 Euro, Auflage: 25 + 2) ein verkleckster rosafarbener Hintergrund die Hoffnungen einer Gruppe junger Schwarzer (Foto) nur mit den Mitteln der Farbgebung und -setzung auf.
So etwas wie „Politische Kunst“ ist auf dieser Messe ansonsten natürlich weit gefehlt Die Pion AG-Art Consulting präsentiert den bekannten Vertreter der Neuen Leipziger Schule Michael Fischer-Art, der in einer knallbunten Mischung aus Art Brut und naiver Malerei den Anschlag vom 11. September und weitere Terrorattentate comicartig verniedlicht – wenngleich voller Ironie. Hier wird der Teufel mit dem Belzebub ausgetrieben: Klotziges Rabaukentum, um Kitsch und Sentimentalität zu vermeiden. Die Preise rangieren zwischen 1000 Euro („Beirut“) und 3000 Euro („New York“).