Berliner Zeitung, 12. September 2003
Mit „Bialy Mazur – Weiße Mazurka“, ist die neue Ausstellung des NBK betitelt. Die „Weiße Mazurka“ ist ein Tanz, mit dem rauschende Bälle in Polen zu enden pflegten. Die Besonderheit an der Marzuka ist, daß hierbei die Dame auffordern darf.
Dem Titel entsprechend, sind die Arbeiten programmatisch: neun polnische Künstlerinnen beleuchten das Geschlechterverhältnis und die Rolle der Frau in Polen heute. Fragen nach Sexualität, Begehren und Schwangerschaft werden eher direkt als subtil gestellt: Marta Deskurs Fotografien von schwangeren Frauen – eindrucksvoll inszeniert als selbstbewußte Modells, nicht als genervte Hausfrauen – sprechen deutlich von dem Wunsch nach mehr gesellschaftlicher Anerkennung. Der Titel „Virgins“ dürfte in Polen sicher einige katholisch geprägte Landesgenossen provozieren – im annähernd moralfreien Berlin wirkt so etwas wie auch manch andere Arbeit eher obsolet-„siebzigerjahrehaft“: Elzbieta Jablonska stellt eine Küche aus, Jadwiga Sawicka ein Puppenkleid, Monika Mamzeta fotografiert Bauchnabel („Genealogie/Narbe von der Mutter“) oder eine geschorene Scheide mit den Worten: „Das ist keine Muschel“. Doch statt eines vorschnellen Urteils sollte man lieber einen fairen Blick auf die Situation des Nachbarns Polen werfen (und einräumen, daß auch die deutschen Verhältnisse noch keine wirkliche, selbstverständliche Gleichberechtigung hervorgebracht haben): Nach 1989 sind manche Hoffnungen auf weibliche Selbstbestimmung und Vereinbarung von Mutterschaft und Berufsleben für die Polinnen schnell wieder verflogen: Noch 1993 wurde ein strenges Abtreibungsgesetz verabschiedet. Auch die Kunst bietet keinen wirklichen Freiraum von gesellschaftlichen Konventionen: Die auch in dieser Ausstellung vertretene Künstlerin Doroto Nieznalska wurde wegen „Verletzung religiöser Gefühle“ verurteilt, weil sie in einem Video über Formen des maskulinen Körperkults ein männliches Glied mit einem Kruzifix kombinierte – zu Zeiten, als Cindy Sherman schon längst „Perversionen“ anhand selbstgebastelter Monsterpuppen mit Liebe zum Detail darstellte und Jeff Koons Kopulationsbilder und -Plastiken wie warme Semmeln verkaufte.
Die interessanteste Arbeit in „Bialy Mazur“ dürfte jedoch die sein, die am wenigsten „zeitgeistig“ oder pädagogisch motiviert daherkommt: Bogna Burskas großartige Rauminstallation von einem verführerisch-eleganten Zimmer mit rosa Satinbettzeug und Schmink-Kommödchen. Neben dem Bett steht ein Fernseher. Und auf dem Fernseher läuft eine Vogelspinne über eben diesen pinkfarbenen Satinbezug. Auf weiteren im NBK zu sehenden Videos von Bogna Burska mutieren in amerikanisch-gesellschaftskritischer Manier Wohnräume „heiler Familien“ zu Orten des Schreckens – nie weiß man, was genau vorgefallen ist, doch die raffinierte Andeutung des Grauens erhöht die Phantasie des Betrachters. Für diese Arbeiten lohnt sich ein Besuch allemal.
„Bialy Mazur“: Neuer Berliner Kunstverein