Die Berliner Grünen stehen für die generellen Probleme der Partei: Sie versteht die Großstädte nicht – und sie erreicht die jungen Wähler nicht mehr.
Vielleicht kam den Berliner Grünen das Ende der Koalitionsverhandlungen mit der SPD ganz recht. Gab doch der Streit um die Stadtautobahn A 100 eine gute Gelegenheit ab, das angeschlagene Selbstwertgefühl der Partei zu rehabilitieren. Das gute Abschneiden der Piratenpartei hatte den Grünen einen Schrecken eingejagt, sie wollten nicht noch mehr Wähler aus dem linken Flügel verlieren.
Die Grünen mussten sich fragen: Wollen sie Ideologieloyalität oder politischen Gestaltungsraum? Sie haben sich in Berlin für Ersteres entschieden, der Preis dafür ist jedoch hoch.
Die Frage nach der Ideologieloyalität haben die Grünen in den vergangenen Jahren, spätestens mit Beginn der Ära Joschka Fischer, zunehmend opportunistisch, oder, wenn man so will: flexibel, beantwortet. In dem Begehren, Volkspartei zu werden, wuchs die Notwendigkeit, mehrere Milieus und politische Lager für sich zu gewinnen, als nur eins links von der immer mehr in die Mitte gerückten SPD. Schon bald kursierte der Spruch „Wir sind nicht links, wir sind nicht rechts, wir sind vorn.“
Erfolgreiche Landtagswahlen, verwässerte Ziele
Auch wenn Renate Künast am Anspruch, Bürgermeisterin von Berlin zu werden, gescheitert ist, und die Grünen keinen 30 Prozent-Höhenflug hinlegen konnten: Bundesweit betrachtet kann der Versuch, sowohl linke Biobauern als auch bürgerliche Anwälte und Architekten anzusprechen, durchaus als Erfolg gewertet werden – jedenfalls im Hinblick auf die Ergebnisse der Landtagswahlen.
Doch je größer die gesellschaftliche Gruppe wird, die von den Grünen politisch vertreten werden soll, desto eher verwässern sich ihre Ziele. Innen- und Sozialpolitik ist eben etwas anderes als eine Art globaler Umweltpolitik, die höheren Konsens zwischen verschiedenen Flügeln erreicht.
So steckte Künast in Berlin in einem strukturellen Dilemma: Sie musste, um ein Wahlergebnis zu erzielen, das den Anspruch einer Volkspartei legitimiert, einerseits auf eine sehr bürgerlich-arrivierte Schicht zugehen und andererseits urlinke Traditionalisten bedienen.
Grüne Urbanitätsfeindlichkeit
Die Strategie der Grünen, gleichsam mit vielen Zielen viele Wähler gewinnen zu wollen, ist in Berlin nicht wirklich aufgegangen . In der Großstadt Berlin haben sie es geschafft, sich weder als jung, noch als modern, noch als metropolenaffin, noch als zukunftsorientiert zu präsentieren. Erfolgreich sind die Grünen nach wie vor in mittelgroßen Städten wie Freiburg und Tübingen.
Das ist aufschlussreich. Denn gleichzeitig kommen sie in Großstädten wegen ihrer Urbanitätsfeindlichkeit (A 100, Tempo 30) bei vielen, die ihnen in sozialen oder außenpolitischen Fragen nahe stehen könnten, nicht an.
Künast, die im Übrigen eine sehr gute, richtungsweisende Verbraucherministerin gewesen ist, hatte so etwas wie Urbanitätsunververständnis oft auf Wowereit gemünzt, dessen rot-roter Senat die guten wirtschaftlichen Chancen der jungen Hauptstadt und die Metropolen-Begeisterung im vitalen Berlin nicht genug nutze. Allerdings haben die Grünen inhaltlich darauf nur insofern reagiert, als dass sie noch weniger Metropolen-Begeisterung als die SPD vermittelte.
Die Grünen sind aber nicht nur durch den innerparteilichen Mentalitätskonflikt zwischen Realos und Traditionalisten geschwächt. Hinzu kommt auch noch die lebensweltliche und generationelle Kluft innerhalb ihres Wählerpotentials. „Wahrscheinlich gibt es grüne Stammwähler, denen die Partei mit Künast und der Option Grün-Schwarz zu sehr auf neue Mitte macht“, vermutet der Parteienforscher Carsten Koschmieder.
Werben ums Piraten-Klientel?
Umgekehrt gilt aber auch, dass die von Künast mühsam gewonnenen Sympathisanten aus dem bürgerlichen Westteil Berlins sich bald wieder von den Grünen abgewendet hätten, wenn diese allzu sehr um das Piraten-Klientel geworben hätte. Eine Verbindung zwischen Alt-Achtundsechzigern, die auch mal für Greenpeace spenden, und jungen Internet-Kreativen werden die Grünen langfristig vermutlich nicht stiften können.
Denn die Grünen haben jetzt schon ein Überalterungsproblem. In einer Zeit, in der jede Generation mit dezidiert anderen Herausforderungen konfrontiert ist, werden Parteien in Zukunft weniger Milieus repräsentieren als Generationen. Grüne und Piraten sind jeweils Beispiele (auch wenn die Piraten natürlich viel zu kurz auf der politischen Bühne sind, um sie längerfristig soziokulturell einordnen zu können) für generationell gebundene und nicht mehr milieu- oder schichtgebundene Parteien.
Für die Achtundsechziger waren die Grünen, jenseits kleinteiliger Debatten über Autobahnmeter, oft eine Art Lebensbegleiter, der für so etwas wie gesellschaftspolitische Geborgenheit steht, für linke Gemütlichkeit eben.
Sicher, der Anti-Atomprotest ist in Deutschland generationsübergreifend. Dennoch stellt sich die Frage, ob das „grüne Milieu“ wirklich mehr Generationen umfasst als die der umwelt- und atombewegten Grünen-Gründer und die ihrer Kinder. Die dritte Nachkriegsgeneration jedenfalls erreichen die Grünen deutlich schlechter als die beiden davor.
Somit ist eine Vakanz entstanden, der Raum für eine neue politische Generationsrepräsentanz schafft, wie sie derzeit die Piraten verkörpern – wenn es den Grünen nicht gelingt, die Eigenschaften modern und authentisch miteinander zu verbinden.