ZEIT Online, 31. Januar 2009
Immer häufiger legen Politiker aufwendige Ämter nieder. Auffällig ist, dass es fast immer Männer aus dem linken Spektrum sind
Es gibt sie immer häufiger, die Männer, die plötzlich aus freien Stücken Macht und Einfluss aufgeben. Entweder ziehen sie sich für eine Weile ganz ins Private zurück oder aber sie reduzieren die Anzahl ihrer Aufgaben.
Man erinnert sich an Fotos von Oskar Lafontaine, der im heimischen Garten mit seinen Söhnen spielt – von seiner wuchtigen Rückkehr in der Politik war damals noch nichts zu spüren. Lafontaine gab ganz den Privatier.
Dann war es Platzeck, der nach nur ein paar Monaten sein Amt als SPD-Vorsitzender niederlegte. Der noch sehr junge, ostdeutsche Hoffnungsträger der SPD hatte eine Blitzkarriere sondergleichen hingelegt, dennoch entschied er sich gegen Glanz und Gloria und widmete sich wie zuvor in erster Linie seinem Bundesland Brandenburg.
Und dann Franz Müntefering, der im Dezember 2007 sein Amt als SPD-Vorsitzender niederlegte, nur noch sein Bundestagsmandat behielt, um sich der Pflege seiner krebskranken Frau zu widmen – ein für einen männlichen Politiker bislang beispielloser Vorgang. Dass sich Frauen ins Private zurückziehen, um einen kranken Ehemann zu pflegen, passiert jeden Tag und verwundert niemanden. Im Gegenteil, eine Frau, die einem prestigeträchtigen Fulltimejob nachgeht, während der krebskranke Mann zu Hause im Bett liegt, muss sich rechtfertigen und gilt als gefühlskalt.
Und nun, seit Sonntag, auch noch Beck, dem alles zu viel wurde, der sich verletzt zeigt und sich ebenfalls für überschaubare Landespolitik statt für die große Berliner Bühne entschied, auch wenn nicht ganz klar ist, wie freiwillig dieser Schritt tatsächlich erfolgte.
Haben sich die Zeiten – nun doch – geändert? Phänomene wie diese können nur als markante, öffentlichkeitswirksame Symptome einer sich wandelnden Gesellschaft interpretiert werden – einer Gesellschaft, in der sich keiner mehr fürchten muss, ein Argument wie „ich ziehe mich aus der Politik zurück, um meine Frau zu pflegen“, würde sein Ansehen vollständig und dauerhaft ramponieren. Es ist ein stückweises Ausloten neuer Spielräume für Männer, das hier stattfindet.
Neue Spielräume ergaben sich bisher eher für Frauen: In einem zähen Kampf haben sie über Jahrzehnte langsam an Macht und Einfluss gewonnen – auch wenn sie immer noch für die gleiche Tätigkeit in Deutschland im Schnitt 25 Prozent weniger Lohn als Männer erhalten und im oberen Management kaum anzutreffen sind.
Es scheint jedoch, als ob die Männer mittlerweile ihren fairen Anteil an der Emanzipation erhalten wollten und eher ein Tauschgeschäft mit den Frauen anstrebten, als einfach nur eine Rückkehr zu alten Verhältnissen einforderten.
Ein Tauschgeschäft, bei dem sie in anderer Münze zurückbezahlt werden: Statt an der Macht kleben zu bleiben, fordern sie stückweise und ebenfalls in einem zähen Kampf, den sie vor allem gegen ihre eigenen Geschlechtsgenossen auszufechten haben, andere Privilegien für sich ein: das Recht darauf, Verantwortung abgeben zu können, Überlastung erkennen und vorbeugen zu können, keine Macht ausüben zu müssen, das Recht, gesundheitliche Einbußen ernst nehmen zu dürfen und das Recht darauf, eine enge Beziehung gegenüber dem Beruf auch mal ohne Gesichtsverlust priorisieren zu dürfen (womit zum Beispiel die Pflege eines kranken Familienmitglieds gemeint ist) und vieles mehr.
Ob individualpsychologisch oder gruppen-, in diesem Fall geschlechtsbezogen, betrachtet: Kaum ein Machtinhaber gibt Territorium auf, wenn er nicht anderes Gebiet hinzugewinnen kann. Die größere sexuelle Selbstbestimmung der Frauen durch die Verbreitung der Pille war für die Männer keineswegs nur mit einem Machtverlust, sondern auch mit einer Erweiterung eigener Spielräume und mit einem Lustgewinn verbunden. Viele Errungenschaften der Frauen haben sich letztendlich positiv für die Männer ausgewirkt: Eine zufrieden Ehefrau, die auch noch das nötige Geld, das man jetzt für eine Putzfrau braucht, hinzuverdient und obendrein eine kompetente Gesprächspartnerin ist, deren geistiger Horizont nicht nur von der Herdplatte bis zur Tischdecke reicht, ist in unserer Zeit ebenfalls ein sehr gutes „Tauschgeschäft“.
Und ebenfalls nicht einfach aus Liebe zu den Frauen haben viele männliche Firmenchefs in den letzten 20 Jahren die sogenannten Soft Skills, „weibliche Eigenschaften“ wie Dialog- und Teamfähigkeit, für ihre Unternehmen entdeckt und aktiv gefördert. Die abgekapselte „graue Eminenz“ in der Chefetage ist von vorgestern, der heutige Firmenchef gibt sich jovial und „versteht“ seine Mitarbeiter.
Niemals wäre die Emanzipation der Frau so erfolgreich verlaufen, wenn nicht ein signifikanter Teil der Männer – bewusst oder unbewusst – mit ihr übereingestimmt hätte. Erfolgreich sind meist die sozialen Bewegungen, denen es gelingt, eine neue Balance herzustellen, die für beide konfligierenden Seiten Vorteile mit sich bringt.
Es fällt auf, dass die Politiker, die in den letzten Jahren auf Macht und Ansehen aufgrund von privaten und gesundheitlichen Erwägungen verzichtet haben, eher aus den linken Parteien stammen. Ein Kohl, ein Schäuble, ein Koch, ein Westerwelle – sie alle haben auch schon im Sturmfeuer der Kritik gestanden oder private und gesundheitliche Tragödien erlebt, aber umso eiserner weitergemacht. „Der neue Mann“ scheint – ganz überrascht es nicht – eher aus linken Lagern zu kommen. Und wie wir wissen, sind schon viele Impulse „von links“ schnell zum Mainstream geworden, ob das ökologische Themen waren oder der Wunsch nach weniger autoritären Arbeitsstrukturen, die zu den heute so erfolgreichen „flachen Hierarchien“ und der Aufwertung der schon erwähnten Soft Skills geführt haben.
Man kann also davon ausgehen, dass das Modell des Mannes in einflussreicher Position, der sein Privat- und sein Gefühlsleben aufwertet, ein Erfolgsmodell sein wird.