veröffentlicht auf ZEIT Online, Dezember 2014
In den letzten fünf bis zehn Jahren hat sich das Bild der Deutschen von der Mutterschaft verändert: Es gibt zwar noch die Hausfrau, die für längere Zeit zu Hause bei den lieben Kleinen bleibt, während der Gatte das Geld zum Häuslebauen heranschafft. Das Gegenbild der attraktiven und glücklichen kinderlosen Frau – in den Siebzigern und Achtzigern verbreitet – scheint dagegen aus der Mode gekommen zu sein. Es wurde ersetzt durch die zunehmend beruflich erfolgreiche Mutter, die chic gekleidete, mehrsprachige Kinder mit bemüht kosmopolitisch klingenden Vornamen vorführt. Kinder zu haben ist hip geworden. Kinderlose sind out.
Was glücklicher macht, ist schwer zu klären. Eine Longitudinalstudie der Universität Princeton kam zwar zu dem Ergebnis, dass Kinderlose – zumindest ab dem Alter von 50 Jahren, wenn die Nachwuchsfrage geklärt ist – etwas glücklicher sind als Eltern. Aber eigene Kinder könnten auf eine Weise glücklich machen, die sich statistisch nicht erfassen lässt, weil das Glück mit ihnen ohne Sorge und Leid kaum denkbar ist.
Aber dass Kinderlose heute gesellschaftlich mehr geächtet werden als noch vor dreißig Jahren, ist beschämend für eine angeblich offene, tolerante Gesellschaft. Kaum eine Frau über 35, die nicht ständig auf ihr „Manko“ angesprochen wird – als würde ihre Existenzberechtigung vom Nachwuchs abhängen. Männer bekommen diese inquisitorischen und intimen Fragen weitaus seltener gestellt. Es werden nur die „gebärunwilligen“ Frauen ins Visier genommen.
Wie die Berliner Autorin und Filmemacherin Sarah Diehl in ihrem lesenswerten Buch Die Uhr, die nicht tickt. Kinderlos glücklich. Eine Streitschrift feststellt, ist ein Viertel aller Männer mit 49 Jahren kinderlos, aber nur 16 Prozent der gleichaltrigen Frauen. Dennoch, die einhellige Meinung ist, die egoistischen Akademikerinnen seien schuld – und zwar mehr oder weniger an allem: an der demografischen Kurve, an der Überlastung der Sozialsysteme, am vorhergesagten konjunkturellen Tief und so weiter. Während keine Frau schwanger wird, um dem Staat ein Kind zu schenken, müssen sich Kinderlose dafür rechtfertigen, dem Staat kein Kind zu schenken.
Kult ums Kind und kinderfreie Räume
Wer äußert, sich einfach kein Kind zu wünschen, wird gerne für neurotisch erklärt – meistens als vergnügungssüchtige Narzisstin. Während Eltern durchaus damit durchkommen, wenn sie ihre Kinder als verlängertes Ego betrachten, indem sie ständig danach fahnden, welche Talente und Fähigkeiten vom Nachwuchs noch gefördert werden sollen. Oder Kinderlose werden umgehend mit Mitleid überschüttet, als hätte es nicht auch mal Zeiten gegeben, in denen sich Menschen noch andere Lebens- und Gemeinschaftsformen als die berühmte Kleinfamilie mit möglichst hohem Zaun drum herum vorstellen konnten.
Noch nie waren die Erwartungen an Eltern, ihre Kinder in jeder Minute rundherum glücklich machen zu müssen, so hoch wie heute. Die Folge ist, dass immer mehr Menschen – ob mit oder ohne Nachwuchs – der derzeitige Kult ums Kind mit der einhergehenden Infantilisierung der Erwachsenen auf die Nerven geht. Konsequenterweise formiert sich in manchen Städten eine Gegenbewegung. In Berlin werben Cafés zum Beispiel damit, über einen kinderfreien Raum zu verfügen.
In Die Uhr, die nicht tickt hat Sarah Diehl eine Vielzahl von Frauen vorgestellt, die aus den unterschiedlichsten Gründen keine Kinder haben. Das gesellschaftlich weit verbreitete Negativbild der „Emanze“ oder „Kampflesbe“, die Kinder rigoros ablehnt, findet sich kaum wieder. Die meisten haben Kinder gern in ihrer Nähe, sind oft Patentante oder –onkel, helfen Freunden mit Kindern aus. Einige von ihnen haben beruflich viel mit Kindern und Jugendlichen zu tun. Manche hätten gern selber Nachwuchs gehabt. Die medial hochgejazzte Kluft zwischen den egoistischen Kinderlosen und den ausgepowerten, auf den Zähnen kriechenden Eltern kann außerhalb eines parodistischen Kontextes kaum bestätigt werden.
Autoren wie der ehemalige Verfassungsrichter Udo di Fabio und der Medien- und Kommunikationstheoretiker Norbert Bolz setzen jedoch mit ihren Büchern und in öffentlichen Auftritten alles daran, um diese Kluft künstlich zu vertiefen. Sie verbreiten eine neokonservative, biedere Vorstellung vom „richtigen“ Lebensmodell, das abweichende Biografien mit gesellschaftlicher Ächtung ahndet.
Es wird Zeit, die in Deutschland stets proklamierte Toleranz für andere „abweichende“ Lebensentwürfe wieder zu spüren und nicht nur in anderen Ländern einzufordern. Wer nicht mehr in den Siebzigern leben will, muss sich schließlich nicht auf die Fünfziger besinnen.
© Tanja Dückers, Dezember 2014