Die Welt, 9. September 2005
In Krakau war am vergangenen Wochenende mal wieder der Dackel los: Tausende der kleinen Vierbeiner wurden – zum Teil sehr phantasievoll bekleidet und geschmückt – durch die Altstadt geführt. Eine Blaskapelle mit allem Drum und Dran schritt dem Volksumzug vorweg. Oft liefen drei Generationen einer Familie fröhlich nebeneinander mit Hundeleinen in der Hand – für Nicht-Krakauer ein erstaunlicher Anblick. Wie schon an der Liebe der Polen zu ihrem verstorbenen Papst deutlich wird, gibt es in diesem Land Ikonen, die von Jungen und Alten gleichermaßen geliebt werden. Auch der Dackel scheint solch eine Ikone zu sein. Ewa, ein Mädchen in rosafarbenem Jogginganzug mit bauchfreiem Top, erklärte mir, daß sie sich schon Monate vorher auf die Dackelparade gefreut hat. Dackel Król (König) sieht wirklich wie aus dem Ei gepellt aus, und Ewa hofft insgeheim, daß er vielleicht einen der drei Preise für den schönsten Dackel gewinnen könnte. „Król hat in den letzten Wochen besseres Essen als ich bekommen“, meinte sie. Sogar Dackel-Ohrringe trug das Mädchen.
Ohnehin liebt man in Polen Hunde. Ebenso wie mit Schnauzbärten verbindet man mit ihnen Bodenständigkeit und Landleben. Die Krakauer Dackelbegeisterung hat jedoch noch einen anderen Grund: Der aus dieser Stadt stammende Schriftsteller, Theaterregisseur und Satiriker Slawomir Mrożek ist ein geradezu pathologischer Dackelfan und hat diesem Tier in vielen originellen Rubriken (z. B. in der Zeitschrift „Przekrój“) und Zeichnungen ein Denkmal gesetzt. Der Dackel ist bei ihm eine Art osteuropäisches Gegenstück zum vom Unglück verfolgten Donald Duck (noch zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde mit dem Dackel eher Deutschland identifiziert und aus diesem Grund In London ein Hund dieser Rasse gesteinigt), aber auch ein „kleiner Held“ des Alltags. Im Jahr 1990 wurde anläßlich von Mrożeks 60. Geburtstag in Krakau ein großes Fest organisiert. Mrożek lebte damals noch im Exil in Mexiko; für die Geburtstagsparty kehrte er jedoch in die Wawelmetropole zurück. Inzwischen hat er seinen Wohnsitz wieder nach Krakau verlegt. Ob die Party und die polnische Liebe zu Dackeln dafür den Ausschlag gab, kann nur vermutet werden.
Der Dichter – berühmt für seine Clownereien – führte auf dem Fest ungerührt eine Parade von 101 Dackeln an! Radio Kraków griff prompt den Einfall auf und organisiert seitdem die jährliche Dackelparade, die sich immer größerer Popularität erfreut. Ältere Damen aus den Krakauer Außenbezirken, deren Lieblinge Leibchen, Häubchen oder Schleifchen tragen, marschieren nun neben der Krakauer Kulturelite und dem amüsierten Jungvolk mit.
Diesmal war ein Ehepaar sogar mit Kind und Kegel und Dackel extra aus Białystok angereist. Dackel Miód (Honig) war schon dreizehn Jahre alt, und das Ehepaar hatte das ganze Jahr über Sorge, daß er die Parade vielleicht nicht mehr erleben könnte. Nun hatte der Stolz der Familie noch einmal alle Kräfte zusammengenommen und stakste mit erhobenen Haupt und apartem Kopfschmuck vor seiner Gefolgschaft her. Den ersten Preis kassierte jedoch ein anderer: Ausnahmetalent Gustaw eroberte sowohl die katholisch schlagenden als auch die satirisch hüpfenden Herzen, indem er die Melodie von „Stille Nacht, heilige Nacht“ vorjaulte.