veröffentlicht auf Eltern.de, September 2015
Lange Zeit waren mir Eltern, deren einziges Gesprächsthema die – künftige – Schule ihres Töchterchens oder Söhnchens ist, ein Gräuel. Hatten diese Eltern denn, egal, wo es auf der Welt gerade knallte, kein anderes Thema mehr auf Lager? Bei jedem Essen und jeder Party fingen sie endlose Diskussionen darüber an, auf welche Schule denn Greta, Emma, Finn oder Ben gehen sollten. Mussten sie sich – und ihren Nachwuchs – denn derart verrückt machen?
Unser Sohn war gerade mal vier Jahre alt, da fing ich an, meinen Mann und mich mit der leidigen „Schulfrage“ verrückt zu machen – satte zwei Jahre vor Schuleintritt unseres Kleinen. Dabei gibt’s eine Grundschule direkt bei uns in der Straße, auf die einige Nachbarskinder gehen. Aber entsprach dieser große graue Kasten denn wirklich unseren Vorstellungen? War er nicht zu riesig? Würde unser kleiner Knopf sich dort wohl fühlen? Und hieß es nicht, die Direktorin sei so eine Schreckschraube?
Freunde und Bekannte schickten uns in der „heißen Phase“ der Schulwahl ständig Zeitungsartikel und Internetberichte, in denen in verschiedenen Varianten stand, wie mies die staatlichen Schulen in Deutschland sind. Wenn man das alles las, konnte man den Eindruck bekommen, in allen Schulen – außer kuscheligen Montessori- und Waldorf-Schulen – würden sich die Kinder täglich prügeln, die Lehrer unisono verzweifelt und verbittert sein (hatte es nicht mal eine ominöse Statistik gegeben, nach der Lehrer sich besonders häufig das Leben nehmen?), die Gebäude landesweit verschimmeln und verfallen und so weiter.
Einige Freunde schwärmten von Montessori- oder Waldorfschulen. Bei manchen klang es so, als hätten sie einen neuen Glauben gefunden, ihre Augen leuchteten so verdächtig.
Mein Mann und ich, zunehmend unschlüssig, schauten uns daraufhin eine Reihe von Privatschulen an. Wie wäre es denn mit einer musisch orientierten Schule? Oder einer bilingualen? Na, so besonders viel hatte der Englisch-Kurs in unserer Kita ja nicht gebracht. Nach drei Wochen Englisch konnte Emil „One, two, three“ sagen. Nach zwei Jahren konnte er bis „twelve“ zählen. Wahnsinn. Reichte das für eine bilinguale Schule?
Hochtrabende pseudo-soziologische Überlegungen mit Freunden, ob man die „soziale Trennung“ von Akademiker- und Nicht-Akademikerkindern auch noch selber vorantreiben sollte, ob es für ein Kind nicht besser sei, auf eine ‚normale’ städtische Schule mit Professoren- und Busfahrerkindern zu gehen, wurden bei uns immer wieder von höchst profanen Überlegungen abgelöst: „Ich finde die Privatschule gut, weil da der Unterricht erst um 8.30 Uhr anfängt und wir nicht so früh aufstehen müssen“ – war eine Zeit lang das zentrale Argument meines Mannes für eine bestimmte Schule.
Bald nahte der große Tag, an dem wir unseren Sohn definitiv für die Schule anmelden mussten. Oh Schreck, was tun? Richtig weiter gekommen waren wir mit unserer Entscheidung bisher nicht. Im Gegenteil: Die schiere Menge an Optionen, der gehörten und gelesenen Meinungen ließ uns ziemlich ratlos zurück.
Da gab uns eine Freundin einen Tipp: „Macht euch mal nicht verrückt! Das Entscheidende ist nämlich der Lehrer, respektive die Lehrerin. Die Schule mit dem tollsten Konzept kann für euren Sohn total verkehrt sein, wenn er eine blöde Klassenlehrerin erwischt hat. Und auf der Wald-und-Wiesen-Schule bei euch in der Straße kann die Lehrerin doch sehr nett sein. Ich würde die nächstliegende Schule nehmen – wenn es da gar nicht klappt, könnt ihr immer noch wechseln.“
Nach zwei Jahren Überlegungen standen wir wieder da, wo wir am Anfang gestanden hatten: Vor den Toren der Grundschule bei uns in der Straße. Nun geht unser Sohn dorthin – und, siehe da, die Klassenlehrerin ist herzlich und engagiert, die Direktorin nicht halb so schlimm wie die Gerüchte über sie, und auch ohne Montessori-basiertem Stundenplan oder Waldorf-Töpferwaren fürs Mittagessen scheint die Atmosphäre ziemlich nett zu sein.
Über die Eltern, die auf Partys lange Überlegungen über die Qual der (Schul-)Wahl anstellen, lache ich aber seither nicht mehr.
© Tanja Dückers, Berlin, im September 2015