veröffentlicht im DeutschlandRadio, Juli 2015
Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit – das sind unveränderliche Grundwerte. Wenn aber Parteien von Grundwerten sprechen, dann ist Skepsis angebracht, meint die Autorin Tanja Dückers. Oft würden völlig beliebige Behauptungen kurzerhand zum Grundwert ernannt, wenn echte Argumente fehlten
Wenn man bedenkt, wie willkürlich die sogenannten „Grundwerte“ in der Politik eingesetzt werden, fragt man sich, worin ihr Sinn besteht.
Um zwei aktuelle Beispiele zu nennen: Die SPD-Spitze will Sebastian Edathy aus der Partei ausschließen und argumentiert, sein Verhalten sei „unvereinbar mit den Grundwerten der Sozialdemokratie“.
Ach ja? Edathy war von 2005 bis 2009 Vorsitzender des Innenausschusses, von 2009 bis 2013 Mitglied des Rechtsausschusses. Er hat maßgeblich die Aufklärung der NSU-Verbrechen vorangetrieben. Die sogenannte Kinder-Porno-Affäre setzte seiner politischen Karriere ein jähes Ende.
Was in Bezug auf die Grundwerte bemerkenswert ist: Die Parteispitze argumentiert politisch, obwohl Edathys Fehlverhalten privater Natur ist und obwohl sein politisches Verhalten, etwa im NSU-Untersuchungsausschuss, über jeden Zweifel erhaben scheint.
Bei einem anderen Politiker liegt das Fehlverhalten im politischen Bereich, stört die SPD aber nicht im Geringsten: Parteichef Sigmar Gabriel hat trotz größter Vorbehalte der Genossen eine Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung durchgedrückt.
Nach der knappen Abstimmung in der Partei rekurrierte der Vize-Kanzler recht eigenwillig auf die Grundwerte und erklärte, dass Freiheit und Sicherheit nicht als Gegensatz gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Wer Freiheit will, muss also mit lückenloser Überwachung einverstanden sein, so die verquere Logik.
Sind Grundwerte in der Politik also völlig beliebig?
Parteien und Grundwerte passen nicht zueinander
Die Bundeszentrale für politische Bildung erklärt: „Ausgangspunkt politischen Denkens und Handelns ist die unveräußerliche Würde und Autonomie des Menschen. Eine allgemeingültige Definition politischer Grundwerte gibt es indes nicht. Ihre Bedeutung ändert sich nach Zeit und Ort.“ In diesem Definitionsversuch steckt schon das Dilemma mit den Grundwerten. So vage formuliert können sie recht einfach instrumentalisiert werden. Und deshalb sollten Parteien die Finger von Grundwerten lassen.
Denn Parteien sind keine Ethikkommissionen, sondern Machtmaschinen mit dem Ziel, Wahlen zu gewinnen und die Regierung zu stellen. Die eben noch postulierten Grundwerte werden im Zweifelsfall sowieso den Machtinteressen geopfert.
Das zeigt die Wirklichkeit nicht nur in der SPD. „Grundlage unserer Politik ist das christliche Verständnis vom Menschen und seiner Verantwortung vor Gott“, heißt es im Selbstverständnis der CDU, die in Ehe und Familie das „Fundament der Gesellschaft“ sieht.
Den Grundwerten der CDU entsprechend könnten nur Frau und Mann einander heiraten. Aber aus pragmatischen Gründen würde auch die CDU für eine Öffnung der Ehe für alle eintreten: sobald sie Sorge hat, mit einer Ablehnung auch im konservativen Lager Stimmen zu verlieren.
Das ist ein weiterer Grund, weshalb Parteien und Grundwerte nicht zueinander passen. Grundwerte sind auf Kontinuität und Dauer angelegt. Die Wertvorstellungen einer Gesellschaft und einer Partei dagegen wandeln sich.
Trotzdem werden Grundwerte mit ihrem fast sakralen Charakter gern politisch eingesetzt – ähnlich wie früher im politischen Katholizismus „Gott“ -, wenn einer Partei die Argumente ausgehen. Will man einen Parteikollegen loswerden, werden sie eifrig bemüht, wenn sie Wählerstimmen kosten könnten, bleiben sie ferne Lichter am Horizont.
Konsequenterweise sollten die Parteien deshalb lieber ganz auf ihre Grundwerte verzichten, anstatt sie nur zur bloßen Dekoration zu benutzen.
© Tanja Dückers, Juli 2015