veröffentlicht in Jungle World, September 2013
Wie sähe eine Welt aus, in der sich Sprachen nicht entwickeln, sondern entwickelt werden? »Wohlfühlisch«, »Neukritisch«, »Exzellenzdeutsch«, »Überzeugungszunge«, »Hochpoetisch« und »Spardeutsch« heißen die Sprachprodukte, die der Branchenführer im Jahr 2030 vom Mobiltelefon per Blauwelle direkt ins Sprachzentrum des Gehirns seiner Kunden schickt. Für jede Lebenssituation die passende Sprache. Wer sich die teuren Sprachprodukte nicht leisten kann, ist auf die subventionierte Sparsprache angewiesen. Deren Verteilung wird streng rationiert, denn der »Wortschatz« hat buchstäblich mit Reichtum zu tun. Die zukünftige Sprachwirtschaft markiert den Beginn eines neuen, postnationalen Zeitalters: Sprachen sind nicht länger an Ort oder Herkunft gebunden; die territorialen Nationen lösen sich auf. Die Sprachprodukte der Firma Deutsch sind weltweit verfügbar und konkurrieren mit Produkten der Firmen Spanisch, Chinesisch, Panjabi, Swahili und vielen anderen. Um die Angebotspalette zu erweitern, sind auch Akzente und Dialekte für die Entwicklung von Nischenprodukten gefragt. Aber auch die Sprachökonomie ist anfällig für Krisen und subversive Verbalattacken. Till Müller-Klug, Slampoet und Autor zahlreicher Theaterstücke und Hörspiele, hat »Sprachlabor Babylon« als Hörspiel konzipiert. Nun liegt es erfreulicherweise auch in Buchform vor.
Till Müller-Klug: Sprachlabor Babylon (inklusvie CD). Archiv der Jugendkulturen, Berlin 2013, 85 Seiten, 18 Euro
© Tanja Dückers, September 2013