veröffentlicht in Jungle World, November 2012
Du hast den Farbfilm vergessen, bei meiner Seel, alles blau und weiß und später nicht mehr wahr
Die Berlinische Galerie widmet der künstlerischen Fotografie in der DDR die international erste umfassende Schau.
Man kann sich nur wundern: Die Ausstellung »Geschlossene Gesellschaft – Künstlerische Fotografie in der DDR 1945–1989« ist die erste Schau künstlerischer Fotografie der DDR, wenn man von einer viel kleineren Ausstellung im Jahr 1992, ebenfalls in der Berlinischen Galerie, die damals noch im Gropius-Bau untergebracht war, einmal absieht. Welche Ignoranz. Als hätte es in der DDR nicht namhafte, international erfolgreiche, preisgekrönte Fotografen gegeben: von Arno Fischer, Ulrike Arnold und Sybille Bergemann über Lutz Dammbeck bis hin zu Thomas Florschuetz und Matthias Hoch. Einige Bilder haben längst kanonischen Status erlangt. Doch bisher hat es noch keinen umfassenden Überblick gegeben. Entsprechend gut besucht ist die Ausstellung seit ihrer Eröffnung. Eine kleine Umfrage ergibt, dass sich keineswegs vornehmlich »Ossis« in der Berlinischen Galerie eingefunden haben, sondern Interessierte aus aller Welt.
Ulrich Domröse, seit 20 Jahren Kurator für den Bereich Fotografie in der Berlinischen Galerie, erklärt, es sei nicht das Ziel der Ausstellung gewesen, eine »riesige Schau sozialdokumentarischer Fotografie« zu machen: »Wir wollten keine Fotoschau über die DDR, sondern eine über das Medium Fotografie in der DDR.« Auch wenn die Kuratoren versuchen, den Blick auf die künstlerische Beschäftigung mit dem Medium Fotografie zu richten und die Auskunft, die die Bilder über die realen Verhältnisse in der DDR geben, nur als Nebeneffekt verstanden wissen möchten, ist der dokumentarische Charakter der Aufnahmen von besonderem Interesse. Nicht zuletzt gewähren die Fotos markante Einblicke in die Geschichte und Entwicklung der DDR. So zum Beispiel Jens Rötzschs Fotografien von Paraden, die die Feierlichkeiten zwischen »farbenfroher Propaganda und schmutziggrauer Wirklichkeit« zeigen, wie der Kunstkritiker Thomas Loy im Tagesspiegel schreibt. Auffällig ist, dass die Bevölkerung sich offenbar eher als Statist denn als engagierter Akteur versteht. Die Gesichter drücken vor allem Skepsis aus und erinnern an die distanziert-frohe Erwartungshaltung von Zirkusbesuchern.
Faszinierend sind Ulrich Wüsts Berlin-Fotografien, die die Plattenbau-Architektur, aber auch die vielen Brachen und Leerstellen zum Thema haben und die Bruchstellen zwischen Alt und Neu auf eine minimalistisch-nüchterne Weise dokumentieren, etwa in der Schwarzweiß-Serie »Berlin 1982«. Den drei Kapiteln der Ausstellung ist ein »Prolog« mit Fotos von Richard Peter sen. und Karl Heinz Mai vorangestellt: beeindruckende Fotos aus der unmittelbaren Nachkriegszeit, Porträts von Trümmerfrauen, Blicke auf Tote in Luftschutzbunkern.
Im ersten Teil »Realität, Engagement, Kritik« finden sich beispielsweise die Fotografien »An der Stanze« und »Nachtschicht« von Evelyn Richter. Roger Melis zeigt ikonische Porträts von Bettina Wegner, Johannes Bobrowski und Christa Wolf. Christian Borchert schuf eine grandiose Serie über Familien und ihre Interieurs. Die Menschen, die mit ihren Möbeln zu verschmelzen scheinen, erinnern uns daran, welche Gegenmacht das Private im ideologisierten öffentlichen Raum der DDR besaß. Gundula Schulze Eldowy fotografierte Körper, jedoch nicht die von jungen schönen Menschen, sondern vornehmlich diejenigen, die nicht jung und schön sind. Alte, Dicke und Ganzkörpertätowierte bevölkern ihre Fotos. Sie verhöhnen die von der DDR propagierten realsozialistischen Muskelkörper auf ihre Weise.
Die Abteilung »Montage, Experiment, Form« vereint innovative Ansätze: Experimentelle Fotografie wie im Westen der fünfziger Jahren gab es im Osten nach der Formalismus-Debatte kaum. Ein Experimenteller wie Fritz Kühn, der vom Blick der Vorkriegsavantgarde beeinflusst war, blieb lange Zeit ein Einzelgänger. Erst zwanzig Jahre später, in den Achtzigern, besannen sich junge Fotografen wie Manfred Paul oder Ulrich Lindner auf eine experimentelle Formensprache. Vom sozialen Blick waren ihre Bilder nicht mehr geprägt, man hatte sich frustriert von der Gesellschaft der DDR ab- und dem eigenen Innenleben zugewandt. Ihre Fotoarbeiten erzählen von Brüchen, vom Körpererleben und der sinnlichen Wahrnehmung. Ulrich Lindner hat mit seiner Aufnahme »Der Tod und die Stadt« (1984) ein requiemhaftes, antik oder surreal anmutendes Untergangspanorama geschaffen und den Schrecken der Gegenwart in eine andere Zeit und Sphäre verlagert. Lindner nennt seine Arbeiten bewusst »Fotografiken«, um sie von der abbildenden realitätsverhafteten Kunst zu unterscheiden. Doch auch hier sickert die große Geschichte durch: Lindner hat als Kind den »Untergang« Dresdens miterlebt und wiederholt in seinen Fotoarbeiten, wenngleich verschlüsselt, das für ihn traumatisierende Ereignis. Großartig sind auch die Arbeiten von Ernst Goldberg. Schichten von verkohltem Holz schweben über ausgestreckte Leichen dunkle, geheimnisvolle Bilder, die durch übereinandergelegte Fotografien entstehen. Lutz Dammbeck hat mit »Versuchsanordnung II« längst eine Kultserie geschaffen: Er setzt Porträts aus jeweils zwei Bildern zusammen, antike Figuren verschmelzen mit populären Vampir-Abbildungen, Fotos von NS-Tätern mit Puppenköpfen und einer Goethe-Büste.
Mitte der achtziger Jahre verlor die offizielle DDR-Kulturpolitik ihren Einfluss auf die Künstler. Angesichts der allgemeinen Unzufriedenheit mit dem Bestehenden und der Entwicklungen in der Sowjetunion konnte sie ihren doktrinären, auf den Realsozialismus in der Kunst festgelegten Stil nicht ohne Zugeständnisse an die künstlerische Freiheit durchsetzen. Die Fotografin Evelyn Richter erinnert sich, wie viele Künstler zuvor lediglich für die eigene Fotokiste gearbeitet hatten. Nur wenige Zeitschriften wie Das Magazin und Sybille haben Fotografien veröffentlicht. Entstanden sind zumeist Schwarzweißaufnahmen, weil die Entwicklung der Bilder klandestine Unabhängigkeit erlaubte: Man konnte die Bilder zu Hause im eigenen Badezimmer entwickeln.
Die ausgestellten Werke stammen zumeist aus der privaten Sammlung des Kurators Ulrich Domröse, der in der DDR eifrig Fotos gesammelt hat. Die Fotografie war dort ein lange Zeit vernachlässigtes Medium. Auf die Frage hin, ob er für die Ausstellung auch auf die Bestände anderer privater Sammlungen hätte zurückgreifen können, gibt er nur zurück: »Nein, die DDR-Fotografie war kein Sammelobjekt. Hat niemanden interessiert.« Die Anerkennung der Fotografie als eigenständige künstlerische Ausdrucksform erfolgte spät und setzte erst 1977 mit der Ausstellung »Medium Fotografie« in Halle ein. Im Künstlerverband der DDR wurde vier Jahre später die Sektion Fotografie gegründet. Noch in den achtziger Jahren war es fast unmöglich, Fotografien zu verkaufen, der Kunstmarkt der DDR hat sich vor allem auf die großen Maler konzentriert. Lange Zeit wurde die Fotografie in der DDR der »Gebrauchsgrafik« zugeordnet. Die vielen kleinen Ausstellungen, die überall in der DDR stattfanden, wurden vom Publikum jedoch gerne angenommen. Gerade junge Leute interessierten sich für das neue Medium, mit dem sich auch subversive Botschaften verbreiten ließen. Starfotografen wie im Westen gab es nicht. Es gab keinen Kunstmarkt, und, wie Domröse erläutert, »Starkult kann sich ja nur da entwickeln, wo der Künstler dauernd präsent sein kann, überall. Wo die Museen dann die Weihen spenden.« Und leicht deprimiert sagt er: »Starkult kann immer nur da passieren, wo das, was derjenige macht, eine Rolle spielt.«
Der letzte Teil »Medium, Subjekt, Reflexion« versammelt vor allem die jüngere DDR-Fotografie. Die Jungen hielten Abstand zur vorgegebenen Kulturpolitik wie auch zum oft sozialkritisch-dokumentarischen Ansatz der älteren Fotografen. Sie konzentrierten sich auf das eigene Erleben und setzten dem staatlich eingeforderten Kollektiv eine radikale Subjektivität entgegen. Ein Beispiel hierfür sind die Arbeiten von Thomas Florschuetz, der den eigenen Körper zum zentralen Gegenstand seiner Fotografie machte. Seine raffinierten mosaikartigen Fotos zeigen wie ein falsch zusammengesetztes Puzzle seinen fragmentierten Körper und drücken Auflehnung und Ohnmacht zugleich aus. Eindrucksvoll ist auch die Serie »Stehplätze – Störplätze« von Kurt Buchwald, der sich selbst vor alle möglichen Sehenswürdigkeiten stellt, so dass man von den Objekten kaum etwas erkennen kann – eine Form der Kritik.
Was negativ an der Ausstellung auffällt, ist allerdings das Verhältnis von Fotografen und Fotografinnen: Unter 34 ausgestellten Künstlern sind nur sieben Frauen.
Geschlossene Gesellschaft. Künstlerische Fotografie in der DDR – 1949–1989. Berlinische Galerie. Bis 28. Januar 2013
© Tanja Dückers, November 2012