veröffentlicht auf Goethe.de, November 2015
Unsere Kolumnistin Tanja Dückers trifft die Künstlerin Katharina Grosse in ihrer Lieblingseisdiele und spricht mit ihr über ihr Verhältnis zu Berlin und den Reiz des Unerwarteten in der Großstadt.
Katharina Grosse treffe ich in dem Eiscafé „Cuore Di Vetro“ in Mitte. Hier radelt die Künstlerin oft vorbei, wenn sie auf dem Hin- oder Rückweg zu ihrem Atelier unterwegs ist. Katharina Grosses oft großformatigen, raumgreifenden Arbeiten haben sie berühmt gemacht. In den vergangenen fünfzehn Jahren ist Katharina Grosse eine der bekanntesten, auch international erfolgreichsten deutschen Künstlerinnen geworden.
Dem neofigurativen, oft gefälligen Trend der Neuen Leipziger Schule wie auch vielen anderen, stark auf romantisierende Gefühlsappelle ausgerichteten Tendenzen in der Gegenwartsmalerei setzt sie auf klare, anarchische Weise die pure Farbe, die Überraschung, den Angriff auf die begrenzte Form entgegen. In ihrer Radikalität steht sie Lucio Fontanas Schnitten durch die Leinwand (ab 1958) oder Barnett Newmans allumfassenden Rotgelbblau („Who’s afraid of Red, Yellow and Blue?“, Serie, vier Gemälde, ab 1968) in Nichts nach. Katharina Grosse verwendet für ihre Malerei unter anderem seit dem Jahr 1998 (Beitrag zur 11th Biennale of Sydney) eine mit Kompressor betriebene Spritzpistole. Die Farbe hebt die jeweiligen Formen, Materialien (wie Holz, Stoff, Erde, aber auch Baumstämme, Bücherregale, um nur einige zu nennen) und entsprechenden semantischen Kontexte einerseits hervor, andererseits ignorieren und negieren die „Farbattacken“ diese, denn die Farbe wandert bei Katharina Grosse „rücksichtslos“ weiter auf die Umgebung, auf Boden und Wände. Bei diesem vitalen Akt der Farbbefreiung geht es um Limitationen von Kontur, (Ich-)Einheit, Entität, Identität, um Fragen nach der Willkür von Grenzziehungen zwischen Personen, Objekten und Räumen, um die Frage nach der Trennung von „hier“ und „dort“, „ich“ oder „anders“. Wenige Künstler haben in den letzten beiden Dekaden in der Malerei, Installation und Großraumplastik noch eine so originelle und unverkennbare Handschrift entwickelt wie Katharina Grosse.
Einer der Lieblingsorte der von Düsseldorf nach Berlin gezogenen Künstlerin ist also dieses Eiscafé in der Max-Beer-Straße nahe dem Rosa-Luxemburg-Platz. Wir sitzen bei 36 Grad im Schatten draußen unter einem Sonnenschirm, schauen nun in den schönen Innenraum, in dem das Eis nach mailändischem Geheimrezept, mit besonderen Fruchtsäften und Essenzen, hergestellt wird. „Ich bin gar nicht wirklich so ein Eisfresser oder so was“, vertraut mir Katharina Grosse jetzt an. Aber sie findet den Ort interessant: „Das Cuore Di Vetro … das ist so ein Ort, der dich plötzlich in eine andere Welt zieht, die überhaupt nicht zu erwarten ist … in dieser unspektakulären Straße, die auch nicht besonders schön ist.“
Wir sehen durch die Scheibe, hinter der es verlockend in bunten Farben schimmert. Man kann zusehen, wie das Eis gemacht wird – es ist, als schaue man in ein alchemistisches Labor. „Plötzlich bist du in einer anderen Welt, in einem Mikrokosmos, in einer anderen Kultur, in Italien … das ist eine dieser Illusionen, von denen es in Berlin viele gibt“, meint Katharina Grosse, die ein Jahr lang in Italien gelebt und gearbeitet hat. Ihre Phantasie treibt sie gleich weiter: „Es gibt da einen Film von Werner Herzog: ‚Herz aus Glas’, in dem die Geschichte von einer Fabrik in einem kleinen Ort erzählt wird, wo rubinrote Glasherzen hergestellt werden. Als der Besitzer dieser Fabrik stirbt, stürzen alle ins Chaos, weil er das geheime Rezept für diese Glaslegierung mitgenommen hat. Werner Herzog hat die Schauspieler angeblich alle unter Hypnose spielen lassen.“ Sie muss nun auch an Grimms Märchen denken, in denen das Herz oft eine sehr große Rolle spielt. „Plötzlich“, sagt die Künstlerin, „bist du in so einem Grusel von verschiedenen Ebenen, von unterschiedlichen Fiktionen, und das finde ich ganz toll, dieses unerwartete Hineinstürzen in solche Fiktionen. Das passiert in anderen Städten seltener als in Berlin, finde ich.“Katharina Grosse ist in Bochum aufgewachsen, später hat sie in Düsseldorf gelebt. Das Cuore Di Vetro ist „seit vielleicht fünf oder sechs Jahren“ hier ansässig, weiß Katharina Grosse. Ihr imponiert das junge Paar, das sich entschlossen hat, in Berlin neu anzufangen. Sie, die Vielgereiste, erzählt kundig von der „Generation Berlusconi“, den jungen gebildeten Leuten zwischen 30 und 40, die in Italien keine Stelle mehr bekommen und das Land verlassen, einen wahren Braindrain nach sich gezogen haben.
Und dann berichtet Katharina Grosse, die stets das Unfertige und Transitorische interessiert, von ihrer eigenen Ankunft in Berlin: Im Jahr 2000 erhielt sie eine Professur an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Sie freute sich über das Angebot, aber sie hat sich „nicht sofort in die Stadt verliebt“. Katharina Grosse kannte die Stadt gut aus ihrer Kindheit, als sie mit ihren Eltern Theateraufführungen besuchte und aus ihrer Studienzeit („ich war da immer zum Abhängen und Feiern“). Aber, anders als viele andere junge Künstler, denen Berlins’ Status als angesagte Partymetropole ausreichte für eine wilde Liebe zur Stadt, hat Katharina Grosse stets einen kritischen Blick auf Berlin beibehalten – auch wenn sie derweil sehr gern hier lebt. Im Vergleich zu ihrer Heimat, dem Rheinland, findet sie, „dass die Bildende Kunst hier nicht so eingewurzelt ist. Im Rheinland hat ja jeder ein Original an der Wand “. Ironisch merkt sie an, dass die Bildende Kunst „ja hier im Protestantischen nicht so zuhause“ sei. Die Theaterszene, gerade die engagierte-sozialkritische, die schon in den Zwanziger Jahren zu Weltruhm kam, sieht sie tiefer verankert in der Stadt an der Spree. „Die Neuen Wilden“ verdienen aber explizit ihr Lob.
Die Wende hat Katharina Grosse für Berlin als Befreiung aus der Isolation empfunden. Berlin sei früher einfach „schon echt weit weg im Osten“ gewesen. Von Düsseldorf aus war man schnell in Paris, in Belgien, in Frankfurt, Köln sowieso. Wenn man die Malerin und Professorin fragt, ob sie das wiedervereinigte Berlin jetzt für eine Weltstadt, ein Zentrum der Bildenden Künste halte, dann antwortet sie gerissen: „Ich glaube, dass die Stadt schon eine ganze Zeit lang eine Art Versprechen dafür formuliert hat“.
Berlin sei ihr jedoch noch nicht weltoffen genug. Sie vermisst ein großes „zeitgenössisches, ganz nach vorn gerichtetes Museum“ in Berlin, ein Museum von der Ausstrahlkraft der Tate Modern in London, die einen ganzen Stadtteil belebt habt. Katharina Grosse plädiert stark für eine Kunsthalle in Berlin. Doch der Politik dämmere, so die Künstlerin, erst langsam, dass es sich bei der Kultur- und Kreativindustrie nicht um eine marginale Branche handele. Auch sei Berlin nach wie vor eine Stadt der Kunst-Produzenten, aber nicht der Sammler. „Wir Künstler verdienen alle unser Geld nicht in Berlin“, stellt sie klar, „nur im internationalen Kontext“.Mittlerweile lehrt sie nicht mehr an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, sie hält eine Professur für Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf inne und pendelt zwischen Berlin und dem Rheinland.Auf die Frage, ob für sie, die an vielen Orten auf der Welt zuhause ist, vielleicht wieder ein Wohnortswechsel ansteht, verneint sie entschieden: „Nee. Nee, ich finde das gut hier. Ich mag die Stadt aus dem Grund, dass wir gerade zum Beispiel hier sitzen, im ‚Cuore Di Vetro’“. Und so hat unser Gespräch wieder zu seinem Ausgangspunkt zurückgefunden. Wir bestellen jetzt noch Katharina Grosses Lieblingseis: Pistazie.
© Tanja Dückers, November 2015