veröffentlicht in Jungle World, August 2005
Ein altes chinesisches oder japanisches – so genau weiß ich das nicht – Sprichwort besagt, dass nichts so bleibt, wie es ist, alles sich stets verändert, immer schön im Fluss, in Bewegung ist. Ja, ja, so ist es, möchte man gleich zustimmen, dann aber hält man inne, zumindest wenn man sich gerade im wahlplakatverschandelten Deutschland aufhält. Nun regt sich doch der kritische Geist: Alles fernöstlicher Humbug! Hier im sklerösen Herzen Europas ändert sich kaum etwas. Vielleicht springen die Namen von Politikern, Parteien und Programmen wie bunte Bälle auf dem breiten Strom des Lebens hin und her – auch Zahlen gehen mit der Mode (nach unten): 18 Prozent, Hartz IV, ein Euro und so weiter. Aber eines bleibt: die schwarz angemalten Zähne auf den Wahlplakaten.
Ob Adenauer oder Künast, Kelly oder Gysi, Strauß oder Roth – es reizt den »einfachen« Bürger, den Mächtigen, die da wie Gemarterte um die Litfaßsäule oder die Straßenlaterne gebunden stehen, auf die Pelle zu rücken und ihnen einen Zacken aus der Stiftkrone zu brechen – so wehrlos sind sie sonst nie! Klar kann man auch Pickel anmalen, Augen überkleben, Schwänze auf Krawatten sprayen oder einen schwarzroten Iro auf Merkels neue Musterfrisur setzen, aber das ist alles juveniler Schnickschnack. Nur die Zahnlücke symbolisiert, was man gerne mit dem Herrn oder der Dame auf dem Plakat anstellen würde. Eine Geste, die alle Wahlen, Kriege und Epochenwechsel überleben wird.
© Tanja Dückers, August 2005