Jungle World, 6. August 2003
Die Ausstellung »Kunst der DDR« vermittelt einen vielschichtigen, aber weitgehend kontextfreien Eindruck der realsozialistischen Malerei. von tanja dückers
In den Jahren nach dem Mauerfall hat es keine Ausstellung über Kunst in der DDR gegeben, die nicht für Aufsehen und Ärger gesorgt hätte. Ob in Weimar, Leipzig oder Berlin, ob die Ausstellungen provokant »Auftrag: Kunst 1949–1990« hießen (Deutsches Historisches Museum, 1995) oder nüchtern-selbstreferentiell »Deutschlandbilder« (Martin-Gropius-Bau, 1998) oder betulich-poetisch »Klopfzeichen« (Museum für Bildende Künste, Leipzig, 2002); jede Bilanzierung der Kunst aus einer historisch offenbar noch zu nahen neuralgischen Epoche führte zu bundesweiten »Bilderstreits«.
Die einen empörten sich über die »Diffamierung«, über ein ein bewusstes Vorführen und Lächerlichmachung; die anderen wiederum störte die moralfreie Betrachtung von Kunst nach ästhetischen Kriterien – ein in Deutschland mit seinem problematischen Kunsterbe oft diskutiertes Thema. Ein anderer Grund für Dissens war oft die als zu schlicht polarisierend empfundene Trennung in »Staats-« und »Dissidentenkunst«.
Der größte »Bilderstreit« wurde jedoch 1999 in Weimar provoziert, als der Ausstellung »Aufstieg und Fall der Moderne« mit ihrem bewusst schlecht präsentierten, viel zu dicht gehängten Chaos-Sammelsurium vorgeworfen wurde, sie lege eine Vergleichbarkeit der DDR-Kunst mit Werken aus der kruden Privatsammlung Adolf Hitlers nahe.
Die Berliner Kuratoren Eugen Blume und Roland März haben trotz der zu erwartenden Stürme nicht davor zurückgeschreckt, noch eins drauf zu setzen und die bislang größte Ausstellung von DDR-Kunst in der Berliner Nationalgalerie zu veranstalten: 400 Werke von 145 Künstlern aus einem Zeitraum von 40 Jahren sind bis zum 26. Oktober zu besichtigen.
Ein Problem haben sie schon einmal geschickt umschifft: Mit dem Titel »Kunst in der DDR« (nicht etwa »Kunst der DDR«) verzichten sie auf den – tatsächlich unmöglichen – Anspruch auf »Vollständigkeit«. Und als Kuratoren aus der ehemaligen DDR entgehen sie auch dem Vorwurf, mit »West-Arroganz« die Kunst aus dem Osten lehrmeisterlich auf Herz und Niere zu prüfen. Natürlich nörgelt jetzt wieder dieser oder jener Kritiker, der gerne sein vermeintliches Spezialwissen öffentlich zum Besten geben möchte, über diesen oder jenen fehlenden Künstler – der normalsterbliche Ausstellungsbesucher ist mit den 400 Werken jedoch schon gut bedient. Chronologisch führt die Ausstellung mit Werken aus der so genannten Stunde Null durch die verschiedenen Phasen; über »›Blaues Wunder‹ – Dresden«, »Poesie des Alltags«, »Von der Collage bis zur Mail Art«, »Berlin – Schwarze Melancholie«, »Passage Fotographie – FotoGrafik«, »Großstadt veristisch« geht es bis hin zur »Filmkunst« – um nur einige der besonders interessanten Setzungen zu nennen. Man wird nicht umhin kommen, ungewöhnliche Entdeckungen zu machen, die das Klischee der gegenständlichen DDR-Kunst sozialistischer Prägung erheblich entzerren; das Spektrum reicht von der experimentellen Fotografie eines Edmund Kesting, dessen Fotogramme oder Negativmontagen oft eine grotesk-bedrohliche Note haben, über sensitive »innerliche« Abstraktionen mit Klee-haften Anklängen oder Op-Art Werken wie Horst Bartnigs »585 Unterbrechungen – 585 Striche in 11 Farben« bis hin zu satirisch-überrealistischen Gemälden von Punks und anderen crazy birds.
Außenseiter mit unterschiedlichstem Hintergrund treten auf: Die gebürtige Barcelonesierin Nuria Quevoda mit ihrem bewegend-düsteren Familienporträt »30 Jahre Exil«; der ehemalige Heizer Albert Ebert, der eine künstlerische Karriere einschlug, malt sich selbst zum Geburtstag das illustre »Heizers Geburtstagsständchen II« mit einem im Ofen schmorenden Ulbricht und unter von Engeln begleiteter Blaskapelle. Großartige Fotografien wie z.B. Christian Borcherts »Faschingsdienstag« (aus der Serie: »Zeitreise«) oder Ulrich Wüsts nichts beschönigende dokumentarische »Stadt-Bilder« werfen einen anderen Blick auf den ansonsten gefeierten sozialistischen Alltag.
Herbert Behrens-Hangeler gehört zu den Künstlern, die trotz Ulbrichts Diktum gegen die abstrakte Malerei weiterhin nonfigurativ malten – über Jahrzehnte nur für einen kleinen Kreis von Freunden und Schülern.
Auf der 5. Tagung des Zentralkomitees der SED (1951) hatte Ulbricht programmatisch erklärt: »Wir wollen in unseren Kunsthochschulen keine abstrakten Bilder mehr sehen. Wir brauchen weder Bilder von Mondlandschaften noch von faulen Fischen. Die Grau-in-Grau-Malerei, die ein Ausdruck des kapitalistischen Niedergangs ist, steht im schroffsten Widerspruch zum heutigen Leben in der DDR.«
Behrens-Hangeler, Jahrgang 1898, sprach aus, was viele seiner Kollegen wie Hermann Glöckner dachten: »Die Nazis haben mir die Hand angehackt, nach dem Krieg wurde sie mir abgehackt.« Die abstrakte Malerei wurde als »Rückzug ins Private«, ins Undeutliche, Vage und Subjektive, als mentaler Ausdruck des Widerstands gelesen – Kunst sollte verständlich sein, mehr noch: so narrativ sein, dass sie zu didaktischen Zwecken taugte. Beharrliches nichtfigürliches Malen war damals ein dissidenter Akt.
An diesem Punkt muss man als Betrachter allerdings fragen, ob eine Ausstellung überhaupt – zumal in der schönen, mondänen, lichtdurchfluteten Nationalgalerie – nur annähernd etwas über die schwierigen Vorbedindungen solch einer Kunst vermitteln kann? Wir stehen vor farbrhythmisiert-verspielten Abstraktionen, wie sie in Westdeutschland, in Frankreich, in den USA damals ebenso entstanden sind – unter ganz anderen Bedingungen. Aber die Gefahr der relativierend-ahistorischen Betrachtung von Kunst in den meistens aseptisch-neutralen Museumsräumen, die ein kontextloses Nirwana suggerieren, ist nicht ein Problem der Nationalgalerie allein, sondern ein grundsätzliches.
Verwoben ist das eigene Leiden am Land in die Arbeiten von Cornelia Schleime: Geboren 1953 in Ost-Berlin, war sie Mitglied der Punkband Wurzel aus Zwitschermaschine, Absolventin der Dresdner Hochschule für Bildende Künste und Filmemacherin. Über viele Jahre wurde sie von der Stasi bespitzelt, mit Ausstellungs- und Auftrittsverboten belegt, bis man sie 1984 aufforderte, innerhalb von 24 Stunden die DDR zu verlassen. Einziges »Vergehen«: wilde Frisur, seltsame Performances, noch seltsamere Filme. Einer davon ist nun in der Nationalgalerie zu sehen: »Das Nierenbett« (1983). Weitere sehenswerte Filme in der Ausstellung sind »Der Wurstfilm« (Jörg Herold, 1988), »Drachensteigen« (Oskar Manigk, 19879) und »Terror in Dresden« (Wolfgang Opitz/A.R. Penck, 1978).
Was den »politischen Inhalt« der Ausstellungswerke anbetrifft, die von den Kuratoren – mit dem Eingeständnis eigener Subjektivität – nach »künstlerischen Qualitätskritierien« zusammengestellt wurden, muss der Besucher sich oft mit Ahnungen und Andeutungen begnügen. Ulbricht schmorend im Ofen bildet auf jeden Fall die Ausnahme. Gedämpfte, »depressive« Farben – mit Ausnahme einiger greller Achtziger-Jahre-Tafelbilder – dominieren. Wenn Farbigkeit eingesetzt wird, dann meist schockartig, als Rot-Schwarz-Kontrast. Kurator Roland März meint, dass sich in der DDR die Literaten in viel stärkerem Maß politisch eingemischt haben als die bildenden Künstler, Kollege Blume konstatiert, dass der Versuch, in die Gesellschaft direkt hineinzuagieren, nur selten gelungen ist – beispielsweise in der Mail Art.
Insgesamt zeugen die Exponate jedoch eher von einem Sich-Verweigern bzw. von einem Beharren auf eigenen ästhetischen Prinzipien als von direkten Provokationen. Oft ist die Kritik verklausuliert, allegorisiert, in Metaphern transferiert – auch ein flüchtender Sisyphos (Mattheuer) ist ein Statement.
Immer wieder findet man Rückbezüge und Anspielungen auf Cézanne, Léger, Baumeister, Beckmanns »Welttheater« oder auf Informel, den Abstrakten Expressionismus oder die En-Passant-Fotografie – keine Kunstgattung, die nicht auch in der DDR ihren – oft jedoch zeitlich verzögerten – Niederschlag fand. Bisweilen ist es frappierend, abstrakte Kunst in expressivem Gestus zu betrachten, wie man ihn aus den sechziger Jahren kennt – hier jedoch Mitte der Achtziger datiert.
Unaufhörlich drängt sich dem Besucher die Frage nach der Durchlässigkeit ideologischer und geographischer Barrieren, nach der Vermittelbarkeit von Kunst über Staatsgrenzen hinaus auf. Die strikt nationale Begrenzung verwirrt bisweilen – bei bestimmten sehr »zeittypischen« Bilderreihen addiert man im Kopf sofort das westdeutsche, italienische, französische, russische oder amerikanische Pendant.
Manche Verbindungen werden sehr direkt angesprochen: Der Dresdner Künstler Jürgen Schieferdecker hat zum Beispiel eine Offsetlithografie mit »Beuys macht Licht« (1978) tituliert. Der Austausch zwischen Ost-und Westkünstlern hätte noch ein Thema für die Ausstellung sein können. Durch den bewussten Verzicht auf diese Interaktionen wird allerdings der »Glaskuppeleffekt«, unter dem die meisten DDR-Künstler leben und arbeiten mussten, noch evidenter. »Wann hat man schon die Gelegenheit, ein Areal von einem Zeitraum von 40 Jahren abzuschirmen und eine bestimmte Kultur zu züchten. Ein derart großes Staats- und Kulturexperiment wird es so schnell nicht wieder geben«, konstatiert der Berliner Künstler Via Lewandowsky in einem Interview mit dem Spiegel.
Den Ausstellungsmachern wirft er jedoch eine Fokussierung auf »Nischenkunst« vor, ein winziger Randbereich würde nun nachträglich aufgepumpt werden, die Kunst in der DDR, die »vermufft« und »domestiziert« war, in der Ausstellung in einem falschen Licht erscheinen und die von ideologischen Altlasten behaftete Vergangenheit verharmlost. Die kontextfreie Präsentation nach rein künstlerischen Qualitätsmerkmalen erinnert Lewandowsky an einen Chirurgen, »der sich fasziniert brutale Stichwunden ansieht, ohne sich dafür zu interessieren, wie die Verletzungen zu Stande kamen.«
Dieser Gedanke ist nachvollziehbar, zumal selbst DDR-Vorzeigekünstler wie die »fabulous four« – Heisig, Sitte, Tübke und Mattheuer – nur mit vielschichtigen bis kritischen Bildern vertreten sind, die üblichen Brigadebilder fehlen fast vollständig.
Gleichzeitig sind sehr viele Zeichnungen zu sehen, denn das Medium Zeichnung – als persönlichste künstlerische »Handschrift«, ähnlich dem Gedicht – war nie gut für Agitationszwecke geeignet, von daher stets weniger im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit als beispielsweise die Tafelmalerei und somit Refugium für einen freieren Ausdruck in der Kunst.
Allerdings muss eingeräumt werden, dass es nicht das Anliegen der Kuratoren war, eine repräsentative Übersicht, eine möglichst detailgetreue »DDR-Landkarte der Kunst« zu bieten – sie wollten vor allem und in erster Linie der Öffentlichkeit Werke zeigen, die weder dem üblichen sozialistischen Klischee entsprechen noch einem »Tierpark-Voyeurismus« (Roland März) für Wessis auf Exotik-Trip Vorschub leisten (wie in Weimar), sondern unter formalen Aspekten als »große Kunst« anzusehen sind – und davon findet man einige in der Ausstellung.
Einen interessanten Einfall hatte Lewandowsky, wie man die Bilder von damals heute präsentieren könnte: in einer 1:1 nachgebauten Dresdner staatlichen Kunstausstellung, »dann würde das Publikum immerhin sehen, mit welcher selbstgefälligen Überheblichkeit Kunst und Betrachter domestiziert wurden«.
Aber wer weiß, was dann für ein Sturm an Entrüstung losbräche.
„Kunst in der DDR – eine Retrospektive der Nationalgalerie“, Neue Nationalgalerie
© Tanja Dückers, Juli-August 2003