veröffentlicht in Jungle World, Oktober 2005
Kunst zum Thema Tod im Palast der Republik
Der Tod zieht ein in den „Palast der Republik“. Ohne Frage haben die Kuratoren Jonas Burgert und Ingolf Keiner für die „Fraktale IV“ – Thema „Tod“ – den geeigneten Ort gewählt. Das Schicksal des Berliner „Palast der Republik“ ist besiegelt: Das Gebäude, das wir kaum ein anderes in Deutschland Geschichte symbolisiert und von vielen Architekten mittlerweile nicht mehr für das Übelste in diesem Land gehalten wird (für Siebziger-Jahre-Fans eh eine Pilgerstätte), soll noch in diesem Jahr abgerissen werden. Bis zum 22. Oktober läuft „Fraktale IV“ und ist damit die letzte größere Ausstellung im „Palast der Republik“.
Das Ende der Spaßkultur, eine neue Ernsthaftigkeit, die Rückbesinnung auf „substantielle Fragen an die menschliche Existenz“ in einer Zeit des „Werteverlusts“ ist „definiertes Ziel“ der Fraktale-Reihe – so die Kuratoren. Die Fraktale I hatte das Schwerpunktthema „Natur“, Fraktale II „Evolution“, Fraktale III „Metaphysik“. An diesem anthropologischen Kurzabriß kann einem einiges fehlen und die schlagwortartigen Themen bringen die Gefahr der Beliebigkeit mit sich. Könnte die Plastik eines verwundeten Mammuts, die in „Tod“ ausgestellt ist, nicht auch in „Natur“ oder „Evolution“ seinen Platz finden? Solch allgemein gehaltene Sujets regen oft nicht zu originellen Arbeiten an: In „Frakale IV – Tod“ sind definitiv zu viele Knochen, Röntgenaufnahmen und Fotografien von Toten zu sehen. Zu kritisieren ist auch, daß Kurator Ingolf Keiner seine eigenen Werke mit vier raumgreifenden Installationen auf der schönsten Plattform im „Palast der Republik“ präsentiert.
Unter der großen Zahl an Exponaten finden sich jedoch auch einige, die das Thema „Tod“ ungewohnt behandeln: Stefan Berchtold hat einen 11-Meter tiefen Schacht im „Palast der Republik“ optisch verlängert und einen Menschen durch diesen virtuellen Schacht fallen lassen. Ein Gedanke des Künstlers zu dieser Arbeit ist, daß wir, wenn wir vom Fliegen träumen, nur das Fliegen und manchmal auch den Fall erleben, nie aber den Aufprall. Solche „Zwischenzustände“ hat auch Sid Gastl in ihren Gemälden von menschenleeren Häuserzeilen thematisiert. Rudolf Rieber zeigt in einem Video Szenen einer Treibjagd: Die Anspannung und Hetze überträgt sich auf den Besucher, nur der vernichtende und erlösende Schuß bleibt ihm vorenthalten. Zu den besten Arbeiten von „Fraktale IV“ gehört Benjamin Bergmanns und Cornelia Ungers Video-Loop „Höllensturz“: Zunächst hat der Betrachter den Eindruck, vor einem vibrierenden Bienenstock zu stehen. Statt einem Summen hört man ein vielstimmiges Stöhnen. Bei näherem Herangehen erkennt man, daß Schnipsel aus Pornofilmen zusammengesetzt wurden. Ein Gefühl von evolutionärer Sinnlosigkeit der sich immer wieder vermehrenden und sterbenden Menschheit drängt sich auf. Stephan Huber wiederum hat mit „Kalte Kammer“ eine der wenigen Arbeiten geschaffen, die auf den Ausstellungsort Bezug nehmen. In „Kalte Kammer“ pendelt ein Kronleuchter wild und viel zu nah über dem Boden. Die Assoziation eines Spukhauses, sehr passend zum leerstehenden Palast der Republik, liegt nahe.
Die Wahl des Orts birgt aber auch eine große Gefahr: Der entkernte Palast mit seinen rohen Eisenträgern, den riesigen, vollkommen verdreckten Fensterscheiben und abgesperrten, baufälligen Arealen übertrifft jedes der ausgestellten Kunstwerke an Imposanz. Der Besucher verläßt „Fraktale IV – Tod“ mit dem Gefühl, einen interessanten Rundgang durch Berlins hippste Ruine gemacht haben. Daß man dabei hin und wieder über ein Kunstwerk gestolpert ist, vergißt man spätestens beim Kaffeetrinken auf der einmaligen Terrasse mit tollem Blick auf die Stadt.
„Fraktale IV – Tod“
Palast der Republik
bis 22. Oktober 2005
© Tanja Dückers, Oktober 2005