veröffentlicht in Jungle World, März 2004
Die Hauptstadt-Euphorie ist verflogen. Über die Tristesse auf der Berlin Biennale.
Vor sechs Jahren startete Klaus Biesenbach die erste Berlin Biennale im damals noch ziemlich heruntergekommenen Postfuhramt. Schon vorher hatte er die Gunst der Stunde erkannt und in der Zeit der vielen ungenutzten Räume und Möglichkeiten euphorisch eine ehemalige Margarinefabrik in der Auguststraße in einen Ausstellungsbetrieb umfunktioniert: die heutigen Kunst-Werke.
Ein bisschen rotzig, ein bisschen selbstverliebt und vor allem sehr spielerisch wirkte die Ausstellung – wie ein großes Experimentierlabor. Schon die nächste Berlin Biennale, kuratiert von Saskia Bos, gab sich kühler, ambitionierter. Die aktuelle zeitgenössische Kunst wurde aus dem Ausland nach Berlin geholt, man wollte mondän und kosmopolitisch, bloß nicht provinziell wirken. Alles blitzte und blinkte, man faselte von Berlin als bedeutender Schnittstelle zwischen Ost und West.
Nun, 2004, zur dritten Berlin Biennale, spricht Kuratorin Ute Meta Bauer, Professorin an der Wiener Akademie und Mitkuratorin der letzten documenta, wieder davon, dass die Ausstellung »dem Standort verpflichtet sei«. Also wurden Beiträge ausgewählt, die »in Zusammenhang mit der aktuellen Topografie Berlins stehen und sich zu dieser explizit, historisch oder durch einen analogen Kontext in Beziehung setzen«. Gut die Hälfte der 50 eingeladenen Künstler haben ihren Wohnsitz in der Hauptstadt, und viele davon sind dem Berliner Publikum längst bekannt: Aura Rosenberg, Thomas Struth, Sissel Tolaas, Ulrike Ottinger etc. Doch das Berlin, von dem die Arbeiten hier Zeugnis ablegen, hat wenig gemeinsam mit der Atmosphäre, die noch 1998 durch die schmuddeligen Räume des Postfuhramts wehte – meinte doch Ute Meta Bauer, dass »das Versprechen Berlin nicht eingelöst« worden ist: Willie Dohertys Fotografien dokumentieren ein überaus dunkles und deprimierend einsames Berlin. Der britische Künstler Stephen Willats ist mit einer Foto-Text-Montage aus dem Märkischen Viertel und Gropius-Stadt vertreten. Er hat eine Recherche durchgeführt und die Bewohner nach ihrem Wohlbefinden, nach sozialer Einsamkeit, nach Nachbarschaftlichkeit befragt. Die Antworten sind in die Fotos eingearbeitet; ein unter die Haut gehendes Bilder-Tagebuch ist entstanden.
Berlin wird »after the party« wieder als graue Maus, als düsterer Moloch oder als Konglomerat städtebaulicher Fehlentscheidungen vorgeführt. Ebenso melancholisch ist Ryuji Miyamotos Dokumentation von Pappbehausungen japanischer Obdachloser, die das Bild vom klinisch sauberen Tokio konterkarieren. Der Fotograf wurde durch seine Fotos der vom Erdbeben zerstörten Stadt Kobe einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Melik Ohanian nimmt einen mit auf eine bedrückende Kamerafahrt durch die tristen Docklands Liverpools, Marcelo Expósito zeigt ein gehetztes Video über den Antiglobalisierungskampf in Genua. Ingrid Book und Carina Héden haben für ihre Serie »temporary utopias« Gartenhäuschen vor Hochhäusern fotografiert, man sieht rührend improvisierte Swimming Pools in tristen Gegenden und ein Zigeunerleben im Wohnwagen. Überall also wieder gesellschaftspolitisches Engagement, mal laut, mal leise. Sehr sehenswert sind die »Unbewussten Orte« des Fotografen Thomas Struth. Kühl dokumentiert er menschenleere deutsche Städte in Schwarz-Weiß – Leipzig, Magdeburg, Berlin –, erzählt von der Nachkriegszeit, fängt Gegenwart und Vergangenheit untheatralisch ein.
Vorbei das fröhliche Experimentieren, das Spielerische; der 11. September hat auch den Kunstbetrieb verändert. Plötzlich scheint banal, was gestern noch als »neue Leichtigkeit« gefeiert wurde. Hatte die Kunst in den Neunzigern noch versucht, das Publikum zu verführen und auch ein wenig zu amüsieren, so steht der Beginn des neuen Jahrhunderts ganz unter dem Primat einer »neuen Ernsthaftigkeit«. Nun soll der Kunstbetrachter wieder didaktisch gelenkt, sein Blick auf die Kunst sanft dirigiert werden; ihn erwarten »Ermöglichungsräume für gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen«, wie Ute Meta Bauer umständlich formuliert. Immer wieder wird man in der 3. Berlin Biennale an die bemüht engagierte documenta 10 von Catherine Davids erinnert, wo der arme Besucher gar nicht mehr ohne Diskussionsforen, Panels und endloser Vorbereitungs- und Nachlesearbeit auskam.
Den Besucher der 3. Berlin Biennale erwarten immerhin viele sehenswerte Fotos, Videoclips, Filme und Installationen, aber das bevormundende Ausstellungskonzept ist gewöhnungsbedürftig: Insgesamt scheint das Bedürfnis der Kuratoren danach, einer Ausstellung ein möglichst eigenwilliges Konzept aufzuoktroyieren – zwecks Wiedererkennung der Kuratorenhandschrift – stetig anzuwachsen. Zunehmend wird der Besucher mit seltsamen thematischen oder pseudo-poetisch-assoziativen Titeln für Teilabschnitte der Ausstellungen gequält, mit dem Resultat, dass plötzlich an der Wand nebeneinander hängt, was nie zusammengehörte.
Unter sogenannten »Hubs« werden die Arbeiten der Biennale subkategorisch zusammengefasst. Doch was sind, rätselt man, »Hubs«? »Hub« bedeutet übersetzt Knotenpunkt, Marktplatz, Drehscheibe. Der Begriff stammt aus der Computertechnologie und meint den Datenverteiler eines Netzwerkes; auch bei Flughäfen als Drehscheiben des Luftverkehrs spricht man von »Hubs«. Anscheinend kann man die Kunst nicht mehr Kunst sein lassen und sie mit ihren eigenen Begrifflichkeiten erklären, sondern muss sie ganz modisch unter einen Begriff der Computertechnologie subsummieren, ohne dass das wirklich inhaltlich gestützt wäre. Denn es wird schließlich nicht in erster Linie elektronische bzw. digitale Kunst präsentiert. Die fünf »Hubs« heißen nun »Migration«, »Sonische Landschaften«, »Urbane Konditionen«, »Moden und Szenen« sowie »anderes Kino«. Die Empfehlung an den Besucher: Vergessen Sie die »Hubs«, aber schauen Sie sich doch zum Beispiel die Info-Oase von Jesko Fezers und Axel John Wieder an: Leuchtende Modell-Entwürfe zeigen Berlin dreidimensional, jedoch nicht topografisch, sondern nach der Miethöhe gestaffelt. Eine andere Arbeit des Duos zeigt die sich ständig ändernden Standorte aller Galerien in Mitte von 1989 bis heute – eine unglaubliche Bewegung. Auch die Filmrecherchen von Rolf S. Wolkenstein und Christoph Dreher über die skurrilen Performances von Künstlergruppen wie »Die Tödliche Doris« oder »Malaria!« sind sehenswert.
Das sind einige der erfreulichen Beispiele, die auch ohne die gesellschaftspolitische Klammer der Ausstellung zur Geltung kommen würden. Dass so gar keine farbenfrohe Malerei, kein Comic, keine wilde Plastik, schon gar keine »innerlich« anmutende Zeichnung zu sehen ist, muss am starren Konzept der »gesellschaftspolitisch relevanten Kunst« liegen. Darüberhinaus findet sich auf der 3. Berlin Biennale eine Vielzahl von Arbeiten, die unter künstlerischen Kriterien höchst belanglos sind und nichts als gute Absicht erkennen lassen: Da hat die Frauengruppe »a room of one’s own« ein paar Schürzen mit Sprüchen wie »Feminismus ist tragbar« beschrieben und tigert damit auf einem Video durch die Stadt – die Siebziger rufen! –, und Virginia Woolf würde sich im Grab umdrehen. Ein anderer Künstler hat Working Class Heros gebeten, ihm ihre liebste Arbeitskleidung auszuhändigen. Nun liegen ein paar schmutzige Jacken und Hosen auf Tischen und werden von all den jungen Geistesarbeitern mit Second-Hand-Nadelstreifenanzug und Hornbrille, die die Kunst-Werke besuchen, mit großen Augen erstaunt angeguckt. Solche Arbeiten sind unfreiwillig komisch und spotten dem »gesellschaftspolitischen Anliegen« der Biennale.
Zur »neuen Ernsthaftigkeit« gehört natürlich auch ein entsprechendes Ambiente: Die Biennale hat sich etabliert, sie ist in den Kunst-Werken in der durchgentrifizierten Gegend um die Auguststraße und im schwer repräsentativen Martin-Gropius-Bau angelangt. Nicht nur deshalb wirken die von Bert Neumann, dem Chefausstatter der Volksbühne, gestalteteten Baracken und Migrantenzelte reichlich anbiedernd, die mitten in den chicen Kunst-Werken einen Hauch Wohnwagenatmosphäre, einen Touch Asylelend verbreiten sollen.
3. Berlin Biennale. Kunst-Werke und Martin-Gropius-Bau. Bis 18. April 2004
© Tanja Dückers, März 2004