Gentrifizierungsgegner wollen die Stadt erhalten, wie sie ist. Dabei ist sie ein Sinnbild für Veränderung. Das vermeintlich Authentische ist oft nur eine Generation alt.
Gentrifizierung, Verdrängung und Sanierung – diese Themen entwickeln sich gerade zum Wahlkampfschlager. Denn sie wirken doppelt bedrohlich: Die Menschen sorgen sich nicht nur vor sozialem Abstieg, sie haben auch Angst vor dem Verlust der nachbarschaftlichen Gemeinschaft. Die verständlichen und teils heftig geführten Proteste entwickeln aber eine paradoxe Dynamik.
Vordergründig ruft die Gentrifizierung die üblichen Verdächtigen auf den Plan: Linke Aktivisten und Bürgerinitiativen wollen verhindern, dass sozial Schwache ausgegrenzt und ganze Stadtteile nach rein profitorientierten Kriterien und ohne Rücksicht auf historische Zusammenhänge umgestaltet werden.
Ihr Feindbild sind Investoren und Stadtplaner, die einem reinen betriebswirtschaftlichen Leitbild folgen, nach dem Motto: Es gibt kein Menschenrecht auf das Wohnen in der Innenstadt; es entscheidet das Portemonnaie. Bauprojekte, die allein im Interesse der happy few durchgeführt werden, sind ebenfalls Steilvorlagen für Gentrifizierungsgegner. Denn wer wohnt in dem Hochhaus, dem ein Stück der East Side Gallery weichen musste? Wer wird in die Elbphilharmonie gehen? Wer verdient an der MediaSpree? Nur wenige werden von diesen Gebäuden profitieren.
Feinde sind Investoren, Schwaben und Touristen
Aber nicht nur die Investoren gelten als Feinde. Mal geht es gegen die bösen Schwaben, die vermeintlich heuschreckenartig in gewachsene Viertel einfallen und die traditionellen Einwohner zu vertreiben drohen, wobei gern vergessen wird, wie viele Zugereiste, auch aus Schwaben, sich in Berlin in der Hausbesetzerszene aktiv gegen Sanierungen gewehrt haben. Mal geht es gegenfeierwütige Touristen, die ganze Straßenzüge okkupieren. Wie schön, dass die Deutschen im Ausland noch nie als feiernde Touristen aufgefallen sind.
Überraschend an der Situation ist, dass die Gegner der Gentrifizierung sich in ihrem Protest als konservativer entpuppen als ihre Kontrahenten. Während früher städtebauliche Modernisierungen („Sechziger-Jahre-Bauten“) oft einen linken Impetus hatten und im Sektor des sozialen Wohnungsbaus neue Wege gegangen wurden, finden Linke heute offenbar nur noch gut, was vorhanden ist.
Ihren Vorstellungen vom Erhalt sozialer Milieus liegt nur allzu oft ein schlichter Gedanke zugrunde: nämlich die Vorstellung, dass sich soziale Strukturen quasi naturwüchsig entwickeln und sie deshalb per se schützenswert seien. Die Nachbarschaft wird zum letzten Bollwerk gegen eine als zerstörerisch erlebte Moderne stilisiert. Nur das Bestehende ist authentisch und daher erhaltenswert. Das Neue erscheint künstlich, fremd und unsozial.
Doch ironischerweise ist das „Authentische“ oft gerade mal eine Generation alt – was wiederum zeigt, dass urbane Räume höchst dynamische Gebilde sind, die auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren. Die Stadt erfindet sich permanent neu. Damit bewegen sich die Gegner der Gentrifizierung nolens volens im ideologischen Umfeld einer konservativen Kulturkritik, die das Bestehende verteidigt und dem Fortschritt grundsätzlich misstraut – etwa in der vehementen Ablehnung von Hochhäusern, dem architektonischen Symbol für die Moderne.
Investoren werden zu kreativen Zerstörern
Konservative Investoren und Stadtplaner gerieren sich wiederum als Protagonisten einer dynamischen Modernisierung, die in anderen Zusammenhängen eher dem linken Selbstverständnis entsprochen hat. Sie übernehmen den Akt der „kreativen Zerstörung“ und werden zu Agenten eines Fortschritts.
Allerdings ruinieren sie unter anderem das, was ein Viertel zuvor attraktiv gemacht hat. Denn erst durch seine heterogene Sozialstruktur und seine kreativen Bewohner rückte es ins Blickfeld der Investoren. Durch die Sanierungen und Umgestaltungen werden diejenigen verdrängt, die ein Viertel zuvor soziokulturell „aufgewertet“ haben. Haben sie ihre unfreiwillige Lotsenaufgabe erfüllt, müssen sie in andere Bezirke umziehen, auch wenn sie vielleicht wegen ihrer alten Mietverträge noch ein paar Jahre in ihrem sich etablierenden Kiez ausharren.
Die Stadtplaner vernichten meist genau das Milieu, das Soziologen wie Richard Florida überhaupt erst zur Voraussetzung für die Etablierung der neuen Kreativwirtschaft, der Branche mit den höchsten Wachstumszahlen, erklärt haben. Und dieses Milieu kann nicht an die Peripherie gedrängt werden, es ist auf eine innerstädtische Infrastruktur und auf kommunikativen Austausch angewiesen.
Aufgewertete Stadtteile werden langweilig
Zugleich sind Stadtplaner nun mit Problemen konfrontiert, die es zuvor in Deutschland in diesem Ausmaß nicht gab: Die Segregation der Bevölkerung nach sozialem Status und Stadtteil. Dadurch wird nicht nur die Situation in bereits bestehenden Problemvierteln verschärft; auch die Bewohner der wohlhabenden Gegenden schotten sich zunehmend ab – sie leben dann in „aufgewerteten“ Straßenzügen, die an Langeweile kaum zu überbieten sind. Es gibt unzählige Beispiele totsanierter Viertel – eine Entwicklung, die dem konservativen „Laptop und Lederhosen“-Ideal, der harmonischen Verbindung vom Tradition und Moderne, eigentlich komplett entgegensteht und nicht mal von Investoren und Sanierern wirklich gewollt sein kann.
Was derzeit fehlt, sind architektonisch interessante städtebauliche Projekte, die von der Mehrheit der Bevölkerung befürwortet werden und deren Kosten im richtigen Verhältnis zum Nutzen durch Viele stehen. Wenn „Modernisierung“ fast nur noch in Gestalt von Luxusbauten daherkommt oder zumindest in dieser Weise wahrgenommen wird, werden sich weiterhin viele Menschen reflexhaft gegen jedes Bauvorhaben wehren. Die Begriffe „städtebauliche Veränderung“ und „Gentrifizierung“ werden von der Bevölkerung zunehmend als Synonym erlebt. Dabei könnten neue Bauvorhaben auch ganz andere Ziele verfolgen als eine Gentrifizierung. Dafür fehlen aber im Moment die überzeugenden Beispiele.