ZEIT Online, 29. Juli 2009
Homosexuelle sollten Kinder adoptieren dürfen. Denn die traditionelle Familie nimmt daran keinen Schaden und die Qualität einer Beziehung hängt nicht vom Geschlecht ab
Im Eu-weiten Vergleich hinkt Deutschland leider mittlerweile in so einigen sozialpolitischen Bereichen hinterher – zum Beispiel hinsichtlich der Schichttransparenz, dem Zugang von Kindern aus sogenannten „einfachen Verhältnissen“ zu höheren Bildungsstätten – nun auch noch auf einem weiteren Gebiet: dem Adoptionsrecht für homosexuelle Paare.
Schon elf europäische Länder haben das Neue Europäische Adoptionsabkommen, nach dem auch homosexuellen Paaren das volle Adoptionsrecht eingeräumt wird (und nicht nur das Recht auf Stiefkindadoption) ratifiziert. Selbst Länder wie Spanien, jahrzehntelang mit sehr traditioneller Familienideologie ausgestattet, sind mittlerweile progressiver als Deutschland.
Zypries’ Vorschlag einer Reformierung des Adoptionsrechts hat bei den Konservativen sofort reflexhaft moralische Entrüstung ausgelöst. Befürwortern wie Volker Beck von den Grünen ist vollkommen zuzustimmen, wenn er deren Weltbild, nachdem nur die „traditionelle Familie“ eine glückliche Kindheit bescheren kann, „rückständig und realitätsfern“ bezeichnet.
Mittlerweile wachsen in Deutschland nach Schätzungen 16.000 Kinder in gleichgeschlechtlichen Beziehungen auf, die meisten (94,5 Prozent) bei Frauen-Paaren.
Tatsächlich scheinen die Traditionalisten nicht einmal von Zahlen überzeugt werden zu können: Sowohl in Kalifornien als nun auch in Bamberg wurden Langzeitstudien zur Untersuchung der Entwicklung von Kindern aus gleichgeschlechtlichen Beziehungen durchgeführt. Beide Studien konnten keinerlei nachteilige Entwicklung bei den „Homo-Kindern“ konstatieren – weder hinsichtlich ihrer psychischen Entwicklung noch ihrer späteren Lebensbewältigung. Kinder aus gleichgeschlechtlichen Beziehungen werden nicht häufiger kriminell und nicht einmal öfter homosexuell als die Kinder heterosexueller Eltern.
Der einzige Unterschied, den die kalifornische Studie feststellen konnte, war, dass Mädchen, die bei zwei Frauen aufwachsen, minimal öfter klassische „Männer-Studienfächer“ wie Maschinenbau oder Luft- und Raumfahrtechnik wählen. Ein verkraftbares Ergebnis.
Homosexuellen Paaren das Recht auf Adoption zu verweigern zeugt von einem Weltbild, nach dem eine gleichgeschlechtliche Beziehung immer noch „schlechter“ sei als eine gegengeschlechtliche. Und dies wiederum zeugt von einem geradezu rührend antiquierten Familienbild, in dem Mann und Frau immer noch klar voneinander abgegrenzte Rollen erfüllen, nicht nur in der Aufteilung der Lebenssphären, sondern auch in psychosozialer Hinsicht – „Mutterliebe“, „Vaterstolz“ und so weiter.
Es verwundert, dass führende Politiker wie Volker Kauder heute noch ernsthaft glauben, die Qualität einer Beziehung hänge nicht von Faktoren wie Zuverlässigkeit, Integrität und liebevoller Zuwendung ab, sondern – strikt binär gedacht – vom Geschlecht der Bezugsperson. Nach konservativer Logik ist ein schlechter biologischer Vater einer guten zweiten sozialen Mutter in jedem Fall vorzuziehen. Haare auf der Brust und eine tiefere Stimme sollen dem Kind eher von Nutzen sein als jede andere Eigenschaft. Doch dem widerspricht tagtäglich die Realität – und jede Studie zum Thema.
Absurd ist auch die Sorge von Vertretern der CDU/CSU-Fraktion, dass das neue Gesetz die traditionelle Familie in irgendeiner Weise antasten würde. Kein heterosexueller Mensch wird sich plötzlich – unwiderstehlich betört vom Charme des Neuen Europäischen Adoptionsrechts – flink in eine schwullesbische Beziehung begeben, um die neuen „Freiheiten“ der legalen Adoption homosexueller Paare auszuprobieren. Es geht lediglich um die Stärkung der Rechte einer Minderheit. Die Mehrheit ist davon nicht betroffen. Ihre Rechte werden nicht in irgendeiner Weise geschmälert.
Auch die Argumentation, das Aufwachsen in einer homosexuellen Beziehung darf nicht gefördert werden, denn dies sei nicht „zum Wohl des Kindes“, ist nicht nur ärgerlich, sondern richtiggehend menschenverachtend: Nach einer Befragung sollen 16 Prozent der Kinder, die bei homosexuellen Paaren aufwachsen, des Öfteren gehänselt werden – zum Beispiel mit Sätzen wie „Du hast ja keinen Vater“.
Die liebe CDU/CSU will den armen Kindern solche Erlebnisse ersparen. Denn alle anderen Kinder leben ja, nur weil sie bei gleichgeschlechtlichen Eltern aufwachsen, im Paradies. Im vorauseilenden Gehorsam will sich die CDU/CSU also den intoleranten, rückständigen und menschenfeindlichen Elementen dieser Gesellschaft andienen, anstatt sich für einen toleranteren Umgang mit Minderheiten stark zu machen. Nach dieser Logik müsste es auch verboten sein, mit einem Türken ein Kind zu zeugen, mit einem Behinderten oder einem zu alten Papi. Das Kind könnte ja gehänselt werden. Wäre nicht ein arbeitsloser Papi vielleicht auch ein Grund für Hänseleien? Oder ein zu dicker Papi? Oder ein Papi mit Fistelstimme?
Wo kommt man mit solch einem exkludierenden Denken hin? So werden Vorurteile in einer Gesellschaft nicht behoben, sondern bedient. Und was ist mit den alleinerziehenden Müttern? Deren Kindern fehlt ja auch der Papa – eigentlich müsste man das Alleinerziehen auch sofort verbieten.
Komisch nur, dass in den „guten alten Zeiten“ die lieben Kleinen keineswegs glücklicher waren als heute.