veröffentlicht in Jungle World, Juni 2005
Die Berliner Ausstellung »Trial of Power« widmet sich dem Politischen in der Kunst.
Einer der interessantesten Orte Berlins für zeitgenössische Kunst ist zweifellos das Künstlerhaus Bethanien. In vielen anderen Einrichtungen tun sich profilierungssüchtige Kuratoren gerne mit verquasten Titeln und prätentiösen Motti für ihre Ausstellungen hervor; die Auswahl ergibt oft keinen Sinn. Im Kreuzberger Bethanien hingegen hat es Tradition, in nachvollziehbarer Weise ein konkretes Thema, zu dem verschiedene Künstler gearbeitet haben, ins Zentrum der Betrachtung zu rücken.
Die aktuelle Ausstellung widmet sich wieder einem soziopolitischen Thema: Neun Künstler und Künstlerinnen, fast alle zwischen 30 und 40 Jahre alt, haben sich auf sehr unterschiedliche Art dem Thema der Machtausübung und des Machtmissbrauchs genähert. Der Titel »Trial of Power« bedeutet einerseits »Machtprobe« oder, da »trial« im Englischen auch ein juristischer Begriff ist, auch »Prozess« und »Verfahren« der Macht.
Eine Reihe von Künstlern hat sich mit der Macht von Regierungen und Staaten befasst, wobei ihre Arbeiten meist einen sachlich-dokumentarischen Charakter haben und eine direkte Stellungnahme verweigern: Bettina Lockemanns präzise Schwarz-Weiß-Fotoserie »Code Orange« ist kurz nach dem 11. September 2001 in Washington D.C. entstanden und führt die wachsende Zunahme von Polizeipräsenz und Überwachung im öffentlichen Raum eindringlich vor Augen. Caroline Hake, die sich seit Jahren mit der Psychologie und Ästhetik televisueller Medien befasst, hat das Büro eines Polizeidirektors fotografiert – jedoch kein authentisches, sondern eines, das für die Serie »The District« in Hollywood speziell eingerichtet wurde. Es ist – von der amerikanischen Flagge bis hin zu einer historischen Kriegerbüste – ausgestattet mit den verschiedenen Insignien der Macht. Doch der Umstand, dass es sich bei dem Raum um eine Hollywood-Attrappe handelt, lässt die Elemente noch fragwürdiger erscheinen, als sie es ohnehin sind. Das großformatige Foto ist wie eine Werbung auf einem Leuchtkasten angebracht und untergräbt somit die gediegene Autorität, die dieses Zimmer eigentlich suggerieren soll.
Korpys und Löffler zeigen ein Video über einen ehemaligen Chef des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI), der sich, je mehr Zeit man ihm gibt, immer deutlicher selbst entlarvt. Die Verstrickung des Individuums innerhalb eines Systems, das es zunehmend nur noch aus der Innenschau kennt, wird evident gemacht. Der ehemalige BDI-Chef ist der Ansicht, der BDI hätte nie eine einzige Entscheidung getroffen, die nicht ausdrücklich dem Wohl der Allgemeinheit gedient habe. Er redet wie ein Priester. Das Material spricht für sich, es bedarf keiner expliziten künstlerischen Ausdeutung mehr.
Gerdine Frenck verwendet Originalfilmmaterial aus der Zeit der Verhaftung von Baader und Ensslin – die unscharfen und oft erratischen Sequenzen vermitteln einen Eindruck davon, wie schwer es ist, Geschichte zu rekonstruieren, und wie wenig aussagekräftig Fakten sind.
Dieser tendenziell nüchtern dokumentierenden Gruppe stehen jene Künstler entgegen, die Machtverhältnisse nicht in erster Linie als politische Konstrukte begreifen, sondern ihnen eine viel weiter gefasste universelle Bedeutung geben. Christina Krenz z.B. pervertiert harmlose Kinderwelten in ihren bunten, comichaften Gemälden. Die lieben Kleinen schließen sich zum »ABC-Riot« zusammen oder tanzen gleich vergnügt als Skelette in »Heavenly Creatures« herum. Bei Eliezer Sonnenschein, die aus Haifa stammt, meint man zunächst, schräge Beispiele einer neuen naiven, psychedelisch inspirierten Malerei gefunden zu haben, doch wer genau hinschaut und liest, dem entgeht nicht, wie düster ihre Welten bei aller Verspieltheit sind: Vor »Veni, Vidi, Vici« rufenden Medusenhäuptern fahren kleine Panzer, die alle Ismen der Welt bewerben. Pferde, von Kriegern angetrieben, lächeln breit und sagen in einer Sprechblase »Cheese«. Und auf einer Straße liegen neben einem Che-T-Shirt ein Chanel- und ein Fußball-Shirt. Ein weiteres Kleidungsstück sieht besonders bunt und ansprechend aus. In Fruit of the Loom-Farben prangt der Satz darauf: »My Boy is in HEAVEN and this shirt is the only thing he left me.«
Die vielseitige Künstlerin hat auch eine an eine mittelalterliche Burg erinnernde Skulptur aus Skat-Spielkarten – Buben, Damen, Könige – gebaut. Auf eindringliche Weise wird hinter einer spielerischen Kulisse ein auf brutaler Hierarchie gegründetes System sichtbar gemacht.
»Trial of Power« macht eine erfreuliche Tendenz in der Kunst aus: Es gibt – neben den prominenten Political Artists wie Jenny Holzer – eine Reihe guter jüngerer politisch inspirierter Künstler. Allerdings weichen ihre Arbeiten stark vom Ideal der politischen Kunst der sechziger und siebziger Jahre ab, sind im Allgemeinen weniger demonstrativ und larmoyant. Bemerkenswert ist auch, dass die Frage nach der Macht von den Künstlern nicht explizit biografisch angegangen wird. Es finden sich keine Porträts und keine personalisierten Feindbilder oder Heroisierungsversuche, sondern vielmehr Aussagen, die sich auf umfassende Konditionen und Strukturen beziehen. Ein Trend zur unkommentierten Dokumentation, also zur endgültigen Aufhebung von Kunst und Soziologie bzw. zur vollständigen Absorption wissenschaftlicher Vorgehensweisen in der Kunst, zeichnet sich ab.
»Trial of Power«. Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, Berlin, Mariannenplatz 2. Bis 3. Juli 2005
© Tanja Dückers, Juli 2005