Eine Reihe von Ausstellungen beschäftigt sich in diesem Jahr – ein Jahrhundert nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs – mit dem Thema Krieg. Eine der interessantesten und sehenswertesten Ausstellungen ist derzeit im Käthe-Kollwitz-Museum in der Fasanenstraße zu besichtigen. „Mahnung und Verlockung – Kriegsbildwelten von Käthe Kollwith und Kata Legrady“ heißt diese kuratische Glanzleistung der Initiatorin Gudrun Frisch und dem Kokurator Pay Matthis Karstens.
Fast hundert Jahre trennen die Geburtsdaten der beiden hier ausgestellten Künstlerinnen: Käthe Kollwitz (1867 in Königsberg – 1945, Moritzburg bei Dresden) wurde mit ihren düster-ergreifenden Lithographien, Gemälde und Plastiken, die oft die Not einfacher Menschen darstellen, weltbekannt. Sie wurde als erste Frau Mitglied der Preußischen Akademie der Künste und erhielt gleichzeitig in einer damals rein männlichen Domäne den Professorentitel. Als erster Frau wurde ihr auch der Orden „Pour le Mérite“ für Wissenschaften und Künste verliehen.
Kata Legrady (1974 in Barcs, Ungarn) hat Musik und Gesang in Pecs studiert, bevor sie sich für eine Laufbahn als bildende Künstlerin entschied. Ausstellungen wie „Bombs & Candies“ in Paris oder „Smart Pistols“ im Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe machten sie bekannt. Ebenso wie Käthe Kollwitz beschäftigt sich Legrady mit den Ursachen, Folgen und Verheerungen von Kriegen. Dabei richtet sie ihren Blick besonders auf die Verharmlosung von Krieg und Gewalt im Umgang mit Kindern und Jugendlichen. Die Verbindung von Gewalt und Konsum spielt bei ihr auch eine wichtige Rolle. Es spricht für das kuratorische Konzept, dass der Meisterin Käthe Kollwitz eine junge Künstlerin gegenübergestellt wurde, die eine so unterschiedliche künstlerische Handschrift hat, dass Vergleiche sich von vorneherein ausschließen. So weltenschwer und expressionistisch-direkt Käthe Kollwitz im Vergleich zu der zynisch-poppig-kühlen Legrady wirkt, beiden Künstlerinnen gemeinsam ist eine sehr persönliche Erfahrung für ihre Auseinandersetzung mit dem Thema Krieg: Käthe Kollwitz verlor ihren Sohn Peter im Ersten Weltkrieg und auch noch ihren Enkel Peter – er war nach ihrem gefallenen Sohn benannt worden – im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront. Der junge Peter bat im August 1914 als gerade Achtzehnjähriger seine Eltern inständig darum, sich am Krieg beteiligen zu dürfen. Damals lag das Wehrpflichtalter bei 21 Jahren. Der Vater war strikt dagegen. Es war schließlich Käthe Kollwitz, die ihn im Sinne des Sohnes zu einer Zustimmung überredete. Zwei Monate später erreichte die Eltern die Todesnachricht. Peter war in Dixmuiden, in Flandern, gefallen. Heute steht dort die Plastik „Trauernde Eltern“ als Mahnmal auf dem Soldatenfriedhof in Roggevelde nahe Dixmuiden. Dieses grauenvolle Erlebnis hat Käthe Kollwitz’ späteren rigorosen Pazifismus begründet und zu einer Vielzahl äußerst ergreifender Werke geführt, in denen sie ihren mitfühlenden Blick nicht auf die Heroen, sondern auf die Opfer des Krieges richtet. Bei Käthe Kollwitz spielen von nun an die Daheimgebliebenen, wartende und verzweifelte Eltern, vor allem Mütter und Witwen, eine zentrale Rolle. Eine der eindrucksvollsten Lithographien zeigt vor einem fast schwarzen Hintergrund ein helles Licht – unscharf erkennt man auf dem Boden liegende Gestalten. Eine Mutter sucht mit einer Lampe zwischen Toten nach ihrem gefallenen Sohn. Aber Käthe Kollwitz beschäftigt sich auch kritisch mit den voller Zuversicht in den Krieg ziehenden jungen Männern und ihren Verführern: „Die Freiwilligen“ heißt ein Holzschnitt aus dem Jahr 1921/22, der eine Gruppe mit geschlossenen Augen nach vorn stürmender Jungen zeigt, „Der Agitationsredner“ (1926) eine karikaturhafte Kreidelithogaphie. Mit Arbeiten wie diesen distanziert sich Kollwitz auch von ihrer eigenen, früheren Zustimmung zu gewalttätigen Umstürzen. In am Ende des 19. Jahrhunderts geschaffenen Werken wie der Radierung „Aufruhr“ (1899) überwiegt noch ein optimistischer Grundton.
Kata Legrady wuchs zu kommunistischen Zeiten in Ungarn auf und erlebte die militärische Indoktrination ihrer Generation. Als junges Mädchen musste sie schwören, im Falle eines Kriegs für ihr Vaterland sterben zu wollen. Sie wurde als Sportschützin ausgebildet und nahm mit Erfolg an Jugendolympiaden teil. Für die Verherrlichung des Krieges hat sie mit ihren drastisch-grellen Arbeiten wie den mit Smarties oder kuscheligem Fell beklebten Handgranaten und Kalaschnikows oder den an Lippenstifte erinnernden bonbonfarbenen Bomben eine bitterböse Form gefunden. Eindrucksvoll sind auch Legradys Mickey-Mouse-Gasmasken: Tatsächlich hatte das Unternehmen Walt Disney nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour im Dezember 1941 mit dem amerikanischen Militär zusammengearbeitet und „lustige“ Gasmasken für Kinder entworfen, um ihnen den Krieg weniger bedrohlich erscheinen zu lassen. Diese Masken dienten als Vorlage für die großformatigen Fotoarbeiten „Mickey“ und „Minnie“, die nun in der Ausstellung zu sehen sind.
Der Frage „Wer verdient eigentlich an Kriegen Geld?“ geht die Künstlerin in einer Objektreihe nach, in der Pistolen mit Geldscheinen unterschiedlichster Währungen (Dollar, Yen, Rubel und weitere Banknoten) beklebt sind. Sehr eindrucksvoll ist auch ein hölzernes Schaukelpferd, das sich erst auf den zweiten Blick als große Pistole mit Kufen entpuppt.
Beiden Künstlerinnen gemeinsam ist, dass sie Gewalt nicht direkt zeigen. Ursachen und Folgen von Kriegen sind ihre Themen, nicht die Kampfhandlungen selbst. Die letzte Station der Ausstellung zeigt eine verkohlte Kalaschnikow von Legrady und Kollwitz’ berühmte Lithographie „Nie wieder Krieg“ von 1924.
Einmal bezieht sich Kata Legrady direkt auf Käthe Kollwitz: Ihre Arbeit „Hommage an Käthe Kollwitz“ (2013) zeigt eine große Friedenstaube, die – wie bei näherem Herantreten ersichtlich wird – aus vielen einzelnen Patronen zusammengesetzt wurde. Gerade im Kontext mit einer jungen Künstlerin, die ihre Urenkelin sein könnte, wird dem Betrachter deutlich, wie aktuell Käthe Kollwitz’ zeitloses Werk auch heute noch ist.
„Mahnung und Verlockung – Kriegsbildwelten von Käthe Kollwith und Kata Legrady“
Käthe-Kollwitz-Museum Berlin, Fasanenstraße 24, 10719 Berlin.
20. Juni bis 9. November 2014
© Tanja Dückers, Berlin, im Juni 2014