Mobbing-Websites auf den Index zu setzen, führt nicht weit. Denn das Denunzieren ist eine beliebte Freizeitbeschäftigung vieler Deutscher geworden.
Wieder einmal ist das Internet schuld – und nicht der Mensch. Ende vergangener Woche ist ein Mobbing-Portal für anonyme Beschimpfungen und Beleidigungen vom Gremium der Bundesprüfungsstelle für jugendgefährdende Schriften auf den Index gesetzt worden. Die Indizierung wurde vom Familienministerium veranlasst, nachdem ein Schüler, der seine Freundin vor dem Mobbing schützen wollte, im realen Leben brutal angegriffen wurde.
Entsprechend gut gelaunt ist Kristina Schröder nun. Als sei das Problem aus der Welt geschafft. In Wirklichkeit ist die Seite lediglich nicht mehr über hiesige Suchmaschinen zu finden. Die Betreiber sitzen im Ausland, man kann die Webseiten nicht einfach abschalten. Vor allem aber unterbleibt die profunde Suche nach der Ursache für den unglaublichen Erfolg und Verbreitungsgrad solcher Internet-Angebote.
Natürlich ist dieser konkrete Fall von Internet-Mobbing besonders abstoßend. Allein schon die Idee, eine solche Plattform für Schüler aufzubauen, ist schwer nachzuvollziehen. Allerdings ist unsere Wirklichkeit durchsetzt von solchen Ideen und von einer großen Zahl moralisch nicht integerer Bürger. Sie schaffen es bis in die höchsten Ämter.
Das öffentlich zur Schau gestellte Mobbing ist auch kein gesellschaftlich isoliertes Phänomen. So furchtbar und folgenreich solche Mobbing-Portale sind: Wundern braucht man sich nicht über ihre Existenz. Seit einigen Jahren nimmt die Denunzierung anderer Personen im öffentlichen Raum einen hohen Stellenwert in der Freizeitgestaltung vieler Deutscher ein, zumindest ergötzen sich viele daran. Sendungen wie Dschungel Camp und zuvor Big Brother rekurrieren auf die Schadenfreude und den Voyeurismus ihrer Zuschauer.
Natürlich ist es ein Unterschied, ob jemand freiwillig oder unfreiwillig zum Gegenstand öffentlichen Gespötts wird, aber: Ist Deutschland sucht den Superstar nicht auch erbärmlich? Wie viele junge Menschen hat diese Sendung nicht schon kaputt gemacht? Das Problem an all diesen höchst erfolgreichen Sendungen ist, dass jungen Leuten (von den älteren) vermittelt wird: Nur, wer sich in solchen – manchmal als Spiel getarnten – Konfliktsituationen durchsetzen kann, bringt es im Leben zu etwas. Es geht darum: Wer hat die stärksten Nerven im Zickenkrieg? Wer ist am gemeinsten und damit am coolsten?
Die Konkurrenz aller gegen alle wird gesellschaftlich in diesen Formaten vorgelebt. Letztendlich wird die absolute Ökonomisierung des Privatlebens demonstriert. Nirgendwo ist man unbeobachtet, allerorts muss man sich behaupten, überall lauert ein potenzieller Konkurrent oder Feind. Kein Wunder, dass Kinder und Jugendliche sehr schnell begriffen haben, wie wunderbar sich das Internet zur Denunzierung eignet: Neulich wurde der achtjährigen Tochter einer Freundin von einer Klassenkameradin mitgeteilt, man werde sie im Sportraum einschließen, ausziehen, ihre Scheide fotografieren und das Bild ins Internet stellen. Solche Ideen entwickeln Kinder nicht von ungefähr.
Zudem erleben Jugendliche heute, dass sich privater und öffentlicher Raum kaum mehr trennen lassen. Das beginnt schon mit den Berufen der Eltern: Immer öfter arbeiten diese nicht zu festen Zeiten in einem Büro, sondern mit Handy und Laptop auf dem Spielplatz und im Wohnzimmer – das Privatleben läuft dann nebenher. Viel schneller als früher kann eine nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Äußerung publik werden.
Aber es hilft nicht, das Internet zu verteufeln anstelle einer sensationslüsternen, keine Intimsphäre mehr achtenden Gesellschaft, die dieses Medium auch von seiner schlechtesten Seite für sich zu instrumentalisieren weiß. Wer die widerliche Webseite nur verbieten will, kann sich sicher sein, dass es in kürzester Zeit das nächste menschenverachtende Portal gibt.
Was wir also brauchen, ist keine ausufernde Verbotskultur, die doch nur den Erfindergeist potentiell sadistisch veranlagter Mitmenschen anstachelt. Um mit dem französischen Philosophen und Gesellschaftskritiker Michel Foucault zu sprechen: Jedes Verbot ist ein heimliches Gebot.
Stattdessen muss leider ein mühseliger, aber langfristig viel erfolgreicherer Weg beschritten werden. Die Medienkompetenz und soziale Verantwortung von Jugendlichen (und von Erwachsenen) muss gestärkt werden. Junge Leute müssen nicht nur lernen, was es mit den technischen Tools auf sich hat, sondern auch, dass virtuelle Foren ein unsichtbares Riesenpublikum haben. Sie müssen lernen, sich mit verschiedenen Realitätsebenen auseinanderzusetzen. Das sind Themen, die durchaus philosophische Dimensionen haben und mit dem langweilig-bürokratischen Begriff Medienkompetenz nicht hinreichend beschrieben sind. Es muss deutlich werden, dass der Raum, den das Internet eröffnet, einer subjektiven Wirklichkeit angehört, ad libitum geschaffen und ständig verwandelt wird, also fiktional ist.
Wie es gehen könnte, macht derzeit Großbritannien vor. Dort wird in diesem Jahr Interneterziehung zum Pflichtfach in der Schule. Unter dem Motto “ Click clever, click safe“ sollen schon fünfjährige Schulanfänger ab September Unterrichtseinheiten zum Umgang mit dem Internet verpflichtend besuchen. Am Beispiel ihrer alltäglichen Erfahrungen sollen Kinder unter anderem lernen, welche Bedeutung der Datenschutz im Internet hat, wie sie sich gegen Belästigung und Mobbing wehren und wie sie illegale Inhalte melden können. Auch konkrete Maßnahmen, wie ein so genannter Panikknopf auf Webseiten, mit dem sich anstößige Inhalte sofort anzeigen lassen, sind in Planung.
In Deutschland fordern Bildungsexperten immer wieder die Einführung eines solchen Schulfaches. Entsprechende Initiativen gibt es zwar schon, wie etwa das Programm der Landesregierung Rheinland-Pfalz „Medienkompetenz macht Schule“. Von einer bundesweiten Einführung einer verbindlichen Medienerziehung ist man hierzulande aber noch weit entfernt. Warum eigentlich?