ZEIT Online, 21. Mai 2008
Die Frauenbewegung hat sich in Lager gespalten – ein sicherer Weg, den Einsatz für mehr Gleichberechtigung zu unterminieren
Er wird immer wieder gern bemüht, der sogenannte Generationskonflikt zwischen Alt-Achtundsechzigern und jungen Spaßgesellschaftsanhängern. Zurzeit wird er zwischen den Frauenrechtlerinnen der „ersten“ Generation und denen der „dritten Welle“ heraufbeschworen.
Tatsächlich haben sich die Autorinnen Meredith Haaf – Jahrgang 1983 -, Susanne Klinger (1978) und Barbara Streidl (1972) in ihrem unlängst erschienenen Buch Wir Alphamädchen mit dem für die Älteren durchaus provozierenden Untertitel „Warum Feminismus das Leben schöner macht“ von der 1942 geborenen Alice Schwarzer abgegrenzt. Auch Jana Hensel – Jahrgang 1976 – und Elisabeth Raether (1979) äußern sich in ihrem Werk Neue deutschen Mädchen skeptisch über Schwarzer. Während die „Alphamädchen“ ihre Omnipräsenz beklagen, sind Hensel und Raether von der thematischen Ausrichtung Schwarzers abgeschreckt. Ihrer Meinung nach kapriziere sie sich nur noch auf die Dauerbrenner Pornografie und Prostitution sowie auf die Unterdrückung der Frau im Islam.
Die beiden finden viele böse Worte für Schwarzer, die ihrer Meinung die Belange von Frauen der jüngeren Generation nicht mehr vertritt: „Die Zeit hat sie eingeholt, ihre Rhetorik ist oll, Alice Schwarzer und ihre Frauen sind Historie geworden.“ Schwarzer auf der anderen Seite wehrte sich nicht weniger scharf in ihrer Rede zum Erhalt des Ludwig-Börne-Preises in der Frankfurter Paulskirche. Bei den Jüngeren sieht sie einen „Wellness-Feminismus“ am Werk; die Protagonistinnen dieser „Post-Girlie-Welle“ nimmt sie nicht ernst.
Die „Alphamädchen“ gaben zurück: „Wenn Wellness-Feminismus bedeuten soll, dass wir uns eine Gesellschaft wünschen, in der wir uns wohlfühlen, dann trifft diese Bezeichnung durchaus zu.“ Auch wenn Schwarzer angegriffen wurde, überrascht ihre kategorische Ablehnung der Jüngeren: Denn sie selbst spricht seit Jahr und Tag davon, dass die Spaltung von Frauen in verschiedene Lager schon immer die effektivste Strategie gewesen sei, den Einsatz für mehr Gleichberechtigung zu unterminieren.
Mit gutem Grund hätte Schwarzer den „Mädchen“, die fast alle über 30 Jahre alt sind, antworten können, dass diese ihre Bücher offenbar nicht kennen. Denn Schwarzer hat sich auch und gerade in jüngster Zeit mitnichten „nur“ mit den Themen Prostitution, Pornografie und der Stellung der Frau im Islam befasst.
In jeder Emma steht die wirtschaftliche Situation von Frauen ganz oben, Themen wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf werden verhandelt; viele Autorinnen, die für Emma schreiben, sind sehr jung aus der gleichen Generation wie die „neuen deutschen Mädchen“. Auch wird Alice Schwarzer grundsätzlich missverstanden, wenn es um Pornografie geht: Sie ist nicht gegen jede Form von Pornografie, sondern lediglich gegen bestimmte Gewaltfilme.
Schwarzer hat viele Essays über den Themenkomplex Liebe und Sexualität geschrieben. In ihrem eher theorieabstinenten Buch Neue deutsche Mädchen haben Hensel und Raether viel über private Erfahrungen mit Männern berichtet. Doch Schwarzer unterschätzt die Post-Girlies, wenn sie diese Art von Bekenntnisliteratur nicht ernst nimmt, denn hinter der Haltung, erst einmal das eigene Leben zu befragen, ohne daraus weltumspannende ideologische Konzepte zu generieren, kann Bescheidenheit und Realitätssinn stecken. Es ist zumindest die Ausdrucksform einer Generation, die sich in einer sehr komplex gewordenen Wirklichkeit mit Handlungsanweisungen und schnellen Deutungen zurückhält. Der Blick wird aufs Partikulare gerichtet, ist aber durch die Naheinstellung nicht unbedingt weniger scharf.
Wenn Hensel über den Alltag in einer männlich dominierten Redaktion berichtet, liest sich das, auch wenn öfter vom „ich“ die Rede ist, unwesentlich anders als bei Schwarzer. Tatsächlich schreiben die „neuen deutschen Mädchen“ und die „Alphamädchen“ sowie die „Emmas“ oft über sehr ähnliche Erfahrungen was auch nicht weiter Wunder nimmt, denn von einer wirklichen Gleichberechtigung sind Frauen auch hierzulande weit entfernt: Noch immer erhalten Frauen in Deutschland für die gleiche Tätigkeit ein Viertel weniger Gehalt. Ganz zu schweigen von der „Arbeitsteilung“ zwischen Mann und Frau, wenn Nachwuchs da ist.
Manches ist auch nicht besser, sondern schlimmer geworden: Noch nie ist Dünnsein derart aggressiv vermarktet worden wie heute. Ergebnis: Jedes zweite Mädchen im Alter von zwölf Jahren hat in Deutschland schon eine Diät hinter sich. Tendenz steigend bei sinkendem Alter. Also Schluss mit diesen Grabenkämpfen. Alice Schwarzer mag nicht in allem recht haben – ganz bestimmt nicht mit ihrem Vergleich zwischen Frauen und Juden als Opfer. Dass aber Lagerdenken und künstlich errichtete Fronten einer aktiven gesellschaftlichen Veränderung im Weg stehen, damit schon.