Rechtspopulistische Überzeugungen haben sich in bürgerlichen Kreisen etabliert. Die Neonazis wiederum treten anders auf als früher – ohne Glatzen und sozial engagiert.
Seit im November die Morde der Zwickauer Terrorzelle bekannt wurden, ist die vorherrschende Frage: Wie konnte so etwas passieren, warum hat man davon nichts mitgekriegt? Ein Anlass, nicht nur über das Versagen des Verfassungsschutzes nachzudenken, sondern auch über die breite Zustimmung, die rechtsextreme Überzeugungen seit Jahren finden.
Lange prägten drei Annahmen den Umgang mit dem Rechtsradikalismus: Er findet sich in erster Linie in den neuen Bundesländern. Es handelt sich um ein randständiges Problem. Und Rechtsradikale finden sich nur unter gesellschaftlichen Außenseitern.
Diese Annahmen haben dazu geführt, das Problem klein zu reden. Nach neuesten Daten zum Wahlverhalten wird die NPD zwar in den neuen Bundesländern häufiger gewählt als in den alten, die Unterschiede sind aber nicht so gravierend wie gern behauptet wird. In den neuen Bundesländern liegt die NPD bei den Landtagswahlen durchschnittlich bei drei bis vier Prozent, und in den alten Bundesländern bei um die zwei Prozent. In Berlin erhielt die NPD mehr Stimmen als die FDP.
Die Gleichung, wer einmal in einem totalitären System gelebt hat, neigt eher dazu, sich anderen totalitären Ideologien zuzuwenden, ist weitestgehend falsch und erklärt nicht den Rückhalt, den die NPD in vielen Gemeinden der alten Bundesländer genießt. Sie erklärt auch nicht, warum die NPD gerade bei jungen Menschen der neuen Bundesländer Widerhall findet.
Jeder zehnte Deutsche wünscht sich einen Führer
Die Zustimmung zu rechtsextremem Gedankengut ist auch kein randständiges Problem. Dies belegt unter anderem die von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegebene und viel beachtete Studie “ Die Mitte in der Krise. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2010 „. Gut jeder vierte Deutsche befürwortet laut Studie eine „starke Partei“, die „die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“. Mehr als jeder Zehnte wünscht sich einen „Führer, der Deutschland zum Wohle aller mit harter Hand regiert“. Jeder zehnte Bundesbürger hält die Diktatur für die bessere Staatsform.
Hinzu kommt, dass Fremdenfeindlichkeit weit verbreitet ist: Mehr als 30 Prozent der Deutschen stimmen den Aussagen zu „Ausländer kommen, um den Sozialstaat auszunutzen“ und: „Bei knappen Arbeitsplätzen sollte man Ausländer wieder in ihre Heimat schicken“. Im Schlusswort der Studie heißt es deshalb: „Der Wunsch nach Diktatur und die Zunahme von Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit und Sozialdarwinismus gefährden die Demokratie.“
Die Resultate der Ebert-Studie stimmen mit den Ergebnissen der Langzeitstudie „Deutsche Zustände“ des Bielefelder Gewaltforschers Wilhelm Heitmeyer überein. Soeben hat der Soziologe den zehnten Band der Studie vorgestellt. Jeder Zehnte pflichtet darin dem Satz „durch Anwendung von Gewalt können klare Verhältnisse geschaffen werden“ zu. Jeder Fünfte meint, „wenn sich andere bei uns breit machen, muss man ihnen unter Umständen unter Anwendung von Gewalt zeigen, wer Herr im Hause ist“. Dem Satz „Um Recht und Ordnung zu bewahren, sollte man härter gegen Außenseiter und Unruhestifter vorgehen“, stimmen 67,3 Prozent der Deutschen zu. Obwohl sich im Jahr 2010 weniger Bürger (9,2 Prozent) den Rechtspopulisten direkt zurechnen lassen als noch im Jahr 2003 (13,6 Prozent), finden rechtspopulistische Einstellungen für sich genommen mehr Rückhalt unter den Menschen ganz unterschiedlicher politischer Couleur.
Natürlich ist ein Bürger mit rassistischen, antisemitischen oder fremdenfeindlichen Ansichten nicht gleich ein Neonazi. Aber er muss nicht die NPD wählen, um sich bereit zu erklären, der NPD seine Gaststätte für eine Veranstaltung zu überlassen, ihr eine Immobilie zu verkaufen oder sich dafür stark zu machen, dass eine ihrer Demonstrationen doch durch die Innenstadt gehen darf. Tagtäglich werden Rechtsextreme in Deutschland implizit oder explizit von normalen Bürgern gefördert. Die Unterstützung reicht von Ignoranz und Wegschauen bis hin zu deutlicher Hilfsbereitschaft und aktivem Einsatz.
Rechtsextreme machen den Bürgern die Unterstützung auch leichter als früher. Die NPD hat beispielsweise geschickt auf die Wirtschaftskrise reagiert, indem sie soziale Parolen in den Vordergrund ihrer politischen Überzeugungsarbeit gerückt hat. Nun weist sie in ihren sozialpolitischen Forderungen Überschneidungen mit linken Parteien auf. Der Kriminalist und Experte für Rechtsextremismus Bernd Wagner sagt, dass Neonazis heute nicht mehr an ihrer Kleidung erkennbar seien. Längst wurde die völkische Ideologie mit einer modernen Ästhetik verbunden.
Nazis haben den Naturschutz entdeckt
Neonazis haben außerdem mit ihren Angeboten längst Kindertagesstätten, Schulen und Jugendzentren, Sportclubs und Vereine gezielt ins Visier genommen. Nazis auf Biomärkten? Auch das. Sie haben den Naturschutz, den ökologischen Landbau, das neue Gesundheitsbewusstsein und den Anti-Atomkraftprotest für sich entdeckt. Der Bayrische Rundfunk (Report München) zeigte neulich wie eine Zeitung mit dem harmlosen Namen Umwelt und Aktiv unter dem Öko-Deckmäntelchen rechtsextremes Gedankengut verbreitet. Unter den Autoren sind führende Neonazis. „Autonome Nationale Sozialisten“ aus dem ländlichen Raum in Schleswig-Holstein starteten in diesem Jahr eine Kampagne, in der die Logos und Symbole der Umweltbewegung dreist imitiert wurden. Der Experte für Rechtsextremismus, Andreas Speit , erklärt das Denkmuster der Rechtsextremen: „Der Grundgedanke ist hier: Umweltschutz ist Heimatschutz ist Volksschutz.“
Längst treten Neonazis also nicht mehr nur als sprachamputierte, kahlgeschorene und angetrunkene Hooligans auf Dorffesten auf. Sie haben sich gewissermaßen professionalisiert und einen bürgerlichen Habitus angenommen. Sie sind in die Amtsstuben, die Polizeireviere, in Schulen und andere Ausbildungsstätten und in die Lebensmittelbranche eingedrungen und haben sich Protestbewegungen angeschlossen. Sie sind im Bürgertum angekommen.