Nach der Mordserie durch die Zwickauer Zelle ist der rechtsextremistische Terrorismus zum neuralgischen Thema geworden. Zum Einen stellt sich die dringende Frage, wie der Staat, respektive die Justiz, mit Rechtsextremen umgehen soll. Die andere Frage lautet: Wie kann man versuchen zu verhindern, dass Menschen sich zu Rechtsextremisten entwickeln? Mit Präventionsmaßnahmen. Doch diese scheinen der schwarzgelben Regierung, allen voran der Familienministerin Kristina Schröder, in deren Ressort erin auch die Programme gegen Extremismus fallen, nicht besonders wichtig zu sein: Das Bundesfamilienministerium stutzt die Programme gegen Extremismus zusammen. Zwei Millionen weniger soll es im Haushalt für das Jahr 2012 für geben. Auch die Bundeszentrale für politische Bildung, die einen Schwerpunkt auf die Bekämpfung des Rechtsextremismus gelegt hat, muss radikale Kürzungen ihrer Mittel hinnehmen: 1,6 Millionen Euro im Jahr 2011 und dann mehr als die doppelte Summe, 3,4 Millionen Euro im kommenden Jahr – eine politische Fehlentscheidung von geradezu kühner Dummheit. „Man braucht doch infrastrukturelle Projekte von Dauer!“, stöhnt Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Über Jahre hat die Bpb das weltweit umfangreichste Online-Dossier zum Thema Rechtsextremismus mit zahlreichen Fachleuten entwickelt, das unbedingt fortgeführt werden sollte. Sie gibt eine Schriftenreihe zum Thema Rechtsextremismus heraus, finanziert Seminare und Projekte, die sich der „Sekundär- und Tertiär-Prävention“ (Krüger) gerade bei jungen Leuten, verschrieben haben: zum Beispiel der Begleitung von Gefängnisinsassen. Lebenshilfe plus politisch-historische Bildung heißt die Losung, um aktiven Rechtsradikalen und ihren Sympathisanten eine andere Perspektive zu eröffnen. Eine weitere wichtige Säule ist die Online-Beratung zum Thema Rechtsradikalismus, die von Lehrern, Eltern und andere Multiplikatoren in Anspruch genommen wird. Ferner besorgt das von der Bpb unterstützte „Jugendnetzwerk“ das Monitoring rechtextremer Inhalte im Internet. Auch das Projekt „Schule ohne Rassismus“ wird von der Bpb getragen. „Von einem dieser großen Projekte werden wir uns verabschieden müssen“, resümiert Thomas Krüger angesichts der gravierenden Kürzungen.
Auch die sogenannten „Mobilen Beratungsteams“ – lokale, gut greifbare Ansprechpartner für Kommunalpolitiker und für Opfer rechter und rassistischer Gewalt, die Betroffene, Zeugen und Angehörige bei der Bewältigung der Tatfolgen begleiten – sind derzeit mit zum Teil massiven Mittelkürzungen konfrontiert. Es gibt sie ohnehin fast ausschließlich nur in den neuen Bundesländern, obwohl die alten Bundesländer, was rechtsextrem motivierte Gewalttaten angeht (2-3 pro Tag in Deutschland) längst nicht mehr „im Schatten“ der neuen Bundesländer stehen, sondern zum Teil schon höhere Deliktraten (NRW und Bayern) aufweisen. Kürzungen bei den Antidiskriminierungsbüros sind auch geplant.
Ebenfalls als wenig hilfreich empfinden die Initiatoren von Projekten und Vereinen gegen Rechtsextremismus die Auflage des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, eine sogenannte „Demokratieerklärung“ zu unterschreiben – eine alberne bürokratische Zwangsmaßnahme, mit der sich die aufklärerischen Projekte und Vereine verpflichten sollen, ihre weiteren Kooperationspartner auf „Verfassungstreue“ zu prüfen und sie zu bespitzeln. Als Grundlage einer solchen Überprüfung auf „Verfassungstreue“ empfiehlt das Bundesministerium die Lektüre des jährlich erscheinenden Verfassungsschutzberichts und einschlägige Nachfragen bei Behörden. „Eine Zusammenarbeit, die auf Vertrauen basiert wird durch gegenseitige Bespitzelung nicht eben optimiert“, meint Anne Nitschke vom Alternativen Kultur- und Bildungszentrum Pirna. Hinzu kommt die Frage, was von Berichten eines Verfassungsschutzes zu halten ist, dem es über Jahre nicht gelang eine rechte Terrorzelle auszuschalten, die mordend und marodierend durchs Land zog. Man denke nur an Helmut Roewer, den Leiter des thüringischen Verfassungsschutz, der in den neunziger Jahren in Jena vor laufender Kamera – umsäumt von begeisterten Neonazis – kundtat, dass das Dritte Reich keineswegs nur schlechte Seiten gehabt hatte. Einige Jahre später wurde Roewer aufgrund einer Reihe von Affären suspendiert. Inzwischen publiziert er Essays und andere Schriften im als rechtsextrem eingestuften Grazer Ares-Verlag. Und die Arbeit dieser Behörde soll nach Meinung von Kristina Schröder die Grundlage liefern, um die demokratischer Gesinnung zivilgesellschaftlicher Initiativen zu überprüfen? Es ist skandalös, dass die Bundesministerin auch nach den neuen Erkenntnisse über das komplette Versagen des Verfassungsschutzes angesichts des rechtsextremistischen Terrors an ihren Vorgaben festhalten will.
Schon in der Vergangenheit hat Kristina Schröder (damals noch unter ihrem Geburtsnamen Köhler) ihren Kurs deutlich gemacht. Im hessischen Landtagswahlkampf 2008, als Jugendgewalt von der CDU zum Wahlkampfthema hochgespielt wurde, erweckte Schröder mit abenteuerlichen Aussagen Aufmerksamkeit. Sie interpretierte eine Zunahme einer „Deutschfeindlichkeit“ bei Migranten in eine Studie des Kriminologen Christian Pfeiffer. In der ARD kommentierte Pfeiffer dies „als Missbrauch unserer Thesen, unserer wissenschaftlichen Befunde. Hier wird etwas einseitig interpretiert zu politischen Zwecken und dagegen möchten wir uns dann doch verwahren. Es gibt keine aktuelle wissenschaftliche Untersuchung, die belegen würde, dass die Deutschfeindlichkeit zunimmt.“ Im Mai 2009 beschwerte sich ein Autor der Wochenzeitung „Junge Freiheit“ in dieser, Kristina Schröder solle doch auch einmal die Quellen für Ihre Bundestagsreden angeben – seine Artikel. Die „Junge Freiheit“ wird dem Milieu der „Neuen Rechten“ zugerechnet.
Kaum im Amt als Bundesfamilienministerin, kürzte sie dann massiv die „Präventionsprogramme gegen rechts“und förderte dafür Programme gegen „Linksextremismus“ und „Islamismus“. Die größere Bedrohung der Gesellschaft sah sie schon immer von den Linken und den Muslimen ausgehen. Dass das Ausmaß der rechtsextremen Gewalt bei Weiten das der linkextremen übertrifft, schien sie dabei nicht zu stören. Die Fakten sprechen jedoch für sich: Seit der Wende (1990-2010) starben 156 Menschen durch rechtsextrem motivierte Gewalt, wie eine Recherche von Zeit, Zeit-Online und dem Tagesspiegel ergab. Todesopfer durch Linksextremismus gab es nicht.
Mit der gleichen Vehemenz, mit dem Konservative bei jedem sich bietenden Anlass eine neue Gefahr von Links beschwören, wurde von konservativer Seite in den vergangenen Jahren die Existenz eines rechtextremistischen Terrorismus ausgeschlossen. Als in Berlin in diesem Jahr Autos angezündet wurden, wurde sofort gemutmaßt, es müsse sich bei den Tätern notwendigerweise um linksextremistische Terroristen handeln. Verhaftet wurde dann ein Arbeitsloser, der „aus Frust gehandelt hat“, wie er selber sagte. Als dann die Bahnanschläge in der Hauptstadt ein verkehrstechnisches Chaos und hohe Sachschäden verursachten, witterte Bundesinnenminister Friedrich (CDU) wiederum gleich den Beginn einer neuen RAF-Generation.
Bei Rechtsextremen stellte sich bislang vor allem bei den Konservativen schnell der reflexhafte Konsens ein: Das sind nur Einzelfälle, verwirrte Irrläufer mit sozialen Problemen. So wurde lange Hinweise darauf ignoriert, dass der rechtsextreme Attentäter des Oktoberfests im Jahr 1981 (über 20 Tote) Hintermänner gehabt hat. Auch haben die Opfergruppen der Rechtsradikalen einen niedrigen sozialen Status: Die Opfer rechtsextremer Gewalt sind fast immer Obdachlose, Punker, Ausländer (keine prominenten – nur Dönerbesitzer), und all diese Menschen haben keine Lobby. Als die Linksextremen noch – zu Zeiten der RAF – mordeten, waren ihre Opfer Magnaten aus Wirtschaft, Politik und Industrie – hier fand ein Angriff auf die politische Klasse selber statt. Durch die rechtextremen Angriffe heute fühlt sich die politische Klasse jedoch nicht bedroht. Auch genießt das zur Schau gestellte darwinistische, zutiefst antidemokratische und inhumane Law-and-Order-Denken in Teilen der Gesellschaft schlicht Sympathie. Und wer sich aktiv gegen Rechtsextremismus engagiert, steht selbst schnell unter Extremismus-Verdacht. Kein Wunder, dass unter solchen Umstände rechten Terroristen so lange Zeit unbehelligt agieren konnten.
© Tanja Dückers, Berlin, im November 2011