ZEIT Online, 24. April 2008
Die künftige Altersarmut lässt sich nicht mit einer Mindestrente à la Rüttgers beheben. Denn immer weniger Berufstätige können überhaupt noch genügend Beiträge zahlen. Eine Kolumne
Die künftige Altersarmut lässt sich nicht mit einer Mindestrente à la Rüttgers beheben. Denn immer weniger Berufstätige können überhaupt noch genügend Beiträge zahlen. Eine Kolumne
Gestern noch hieß es, die Alten beuten die Jungen aus. Den Alten gehe es besser denn je, ihr gemütliches Leben zwischen Sessellift und Limousine ließen sie sich von überarbeiteten jungen Leuten bezahlen. Die demographische Entwicklung sei eine der wichtigsten Gründe für Jugendarmut und -arbeitslosigkeit, für den schon oft prognostizierten Zusammenbruch des Rentensystems, für nur moderates wirtschaftliches Wachstum, womöglich noch für die Inflation; wofür eigentlich nicht…?
Man hatte mal wieder einen Bösewicht gefunden: „die“ Alten, als sei dies auch nur ansatzweise eine homogene, vor allem eine einkommenshomogene gesellschaftliche Gruppierung. Kaum ein Tag ohne öffentliche Verteuflung der „Altenrepublik“ . Kein Wunder, dass angesichts der medialen Resonanz auf die Daten zur demographischen Entwicklung manche ältere Mitbürger auf einmal sagen: „Entschuldigen Sie, dass ich noch da bin.“
Abgesehen vom insgesamt sehr ruppigen Umgang mit „den“ Alten, von denen ein großer Teil nicht zwischen Liechtenstein und Monte Carlo, sondern zwischen Arztpraxis und Rehaklinik unterwegs ist, wurde bisher zu wenig bedacht, wer denn die – armen – Alten von morgen sein werden.
Denn das viel beschriebene Prekariat besteht in Zukunft nicht in erster Linie aus perspektivlosen jungen Menschen, sondern – aus Gründen der biologischen Zwangläufigkeit – aus armen Alten, deren Perspektive ein Sechsbettzimmer in einem Wohnheim ist. Unbefristet.
Die jüngste Forderung von NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers , wegen der drohenden Altersarmut die Rente zu erhöhen, ist daher zwar verständlich, zielt aber am Kernproblem vorbei. Denn von der geforderten Erhöhung der Rente würde nur eine bestimmte soziale Schicht profitieren, nämlich die, die jahrzehntelang ihre Beiträge geleistet hat.
Rüttgers hilft also denen, die in Berufen arbeiten konnten, in denen ein jahrzehntelanges Abführen von Beiträgen überhaupt möglich war. Er ignoriert jedoch diejenigen, die nicht eine „normale“ Erwerbsbiografie aufweisen können.
Und diese „normale“ Erwerbsbiografie, auf der sein Vorschlag basiert, gehört schon heute der Vergangenheit an. Denn unsere Arbeitswelt verändert sich rasant und wird immer stärker von „gebrochenen“ Lebensläufen geprägt. Seit Anfang der achtziger Jahre hat die Langzeit- und Mehrfacharbeitslosigkeit rasant zugenommen: 2006 wurde mit 1,9 Millionen Langzeitarbeitslosen und einem Anteil von 42 Prozent an allen Arbeitslosen ein Höchststand erreicht.
Wie gravierend sich diese Entwicklung besonders im Osten Deutschlands auswirkt, zeigt eine Längsschnittstudie, die seit 1987 eine Gruppe junger Menschen aus den neuen Bundesländern begleitet hat. Im vergangenen Jahr waren die Teilnehmer im Schnitt 34 Jahre alt. Bis dahin waren mehr als 70 Prozent von ihnen bereits ein- oder mehrmals arbeitslos gewesen.
Und selbst wer einen Job gefunden hat, muss damit rechnen, im Alter arm zu sein. Das zeigt sich unter anderem im Problem der sogenannten working poor . Mehr als eine Million Beschäftigte müssen derzeit ihr Gehalt mit Hilfe von Arbeitslosengeld II aufstocken. Schon jetzt ist abzusehen, dass sie auch im Alter auf staatliche Hilfe angewiesen sein werden.
„Rente, was ist das?“, fragen sich auch die Freiberufler in der Kultur- und Kreativbranche. In den vergangenen 15 Jahren stieg die Zahl dieser Kleinunternehmer von 1,3 auf 2,3 Millionen – und sie wächst weiter. Für eine langfristige Altersvorsorge ist ihre oft wechselhafte Erwerbsbiografie kaum geeignet: Ihr Einkommen ist sehr großen Schwankungen unterworfen. Und selbst in Zeiten, in denen sie überdurchschnittlich gut verdienen, wissen sie oft nicht, ob es im nächsten Jahr ihren Job überhaupt noch gibt.
Zwar existiert mit der Künstlersozialkasse (KSK) die Möglichkeit, frühzeitig Rentenbeiträge zu leisten. Nach einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung liegen die Einkommen dieser Freiberufler allerdings durchschnittlich knapp unter dem zu versteuernden Mindesteinkommen. Entsprechend niedrig sind die Beitragszahlungen, falls überhaupt welche geleistet werden.
Hinzu kommt, dass die KSK erst 1983 eingerichtet wurde. Die Generation der Künstler und Kreativen, die in den nächsten beiden Jahrzehnten das Rentenalter erreicht, hat daher nie die Möglichkeit gehabt, über den vollen Versicherungszeitraum Beiträge einzahlen. Vielen der älteren Selbstständigen aus dem Kreativbereich wird also nicht viel anderes übrig bleiben, als von der Sozialhilfe zu leben, wenn sie nicht bis ins hohe Alter arbeitsfähig sein und vom Erfolg verwöhnt werden sollten.
Das Problem ist also da. Und es lässt sich wohl kaum mit einem Rentensystem beheben, das – wie Ministerpräsident Rüttgers – aus einer anderen Zeit zu stammen scheint. Damals, als die sozialversicherte Vollzeitstelle die Regel und nicht die Ausnahme war.