Frankfurter Rundschau, 27. August 2007
In Zusammenarbeit mit Anton Landgraf
„Wir woll’n nicht mehr immer dieselbe Arbeit tun, immer die gleichen Gesichter zieh`n“, zitiert Initiator und Buchautor Holm Friebe im Programm des „9to5“-Festivals aus dem Aufruf zum Tunix-Kongress, der vor knapp 30 Jahren stattfand. Damals versammelten sich Tausende in der Technischen Universität in Berlin, um über antikapitalistische Alternativen zu debattieren. Die Studentenbewegung hatte ihre besten Zeiten bereits hinter sich, die verbliebenen linken Gruppen waren von Terroristenhatz und Deutschem Herbst eingeschüchtert. Am Ende von Tunix stand der Beginn der alternativen Bewegungen; die Gründung der Taz, der Grünen Partei und die realpolitischen Einsicht, dass sich zwar nicht das „System“, aber wenigstens der Alltag verändern lässt.
In einer ähnlichen Situation sehen sich auch die „9to5“-Organisatoren. Wie Friebe im Vorwort stellvertretend erklärt, läßt sich eine „wachsende Gruppe gut ausgebildeter und produktiver Zeitgenossen“ erkennen, die keine revolutionären Ambitionen mehr hat, sondern die Marktwirtschaft mit den neuen Möglichkeiten, die das Internet bietet, nach ihrem Sinn nutzen will.
Die Thesen, die auf dem Kongress debattiert wurden, hatte Holm Friebe bereits im vergangenen Jahr im mit Co-Autor Sascha Lobo verfaßten Buch „Wir nennen es Arbeit. Die digitale Bohème oder Intelligentes Leben jenseits der Festanstellung“ vorgestellt. Voller Optimismus und mit viel griffigem Vokabular aus der Phantasie der beiden ehemaligen Werbetexter wurde ein kreatives, freies Leben, eine Arbeit, die Spaß macht, beschrieben. Über die Sorgen der jungen, oftmals im Künstlermilieu angesiedelten Freiberufler war weniger zu lesen.
Auch überraschte das „Feindbild Festanstellung“ ein wenig. Denn längst ist die Angestelltenkultur ist nicht mehr die alte; viele Konzepte der neuen Arbeitsphilosophie wie flache Hierarchien, flexible Arbeitszeiten, psychologische statt despotische Führung und das „Bottom up Modell“ (Prozesse der Selbstorganisation, Förderung von Eigeninitiativen etc.) sind derweil vom Management übernommen worden. Angestellte und Freiberufler haben mehr miteinander gemein als sowohl im Buch als auch auf dem Kongress deutlich wird. „Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps“ gilt schon lange nicht mehr bei den Festangestellten. Außerdem ist bei vielen jungen Kreativen eine Koexistenz von Angestellten-Dasein und Freiberuflertum zu verzeichnen: „Brotjob“ und freie künstlerische Arbeit. Oft wechseln die beiden Arbeitsformen einander auch ab.
Im stylischen „Radialsystem“ in Berlin-Friedrichshain haben die Festivalveranstalter immerhin schon einen idealen Ort für ihre Debatten gefunden. Das moderne Kulturzentrum am Spreeufer, symbolhaft gegenüber der Verdi.Bundeszentrale und alten Industrieanlagen gelegen, verkörpert mit seiner Mischung aus kühlem Design und loungehaftem Ambiente perfekt den Anspruch des „Wir nennen es Arbeit“-Festivals. Der Umgang ist entspannt und erinnert tatsächlich, wie von den Organisatoren erhofft, ein wenig an ein Ferienlager.
Doch auch die lockere Wohlfühl-Atmosphäre kann kaum über eine gewisse inhaltliche Beliebigkeit des Festivals hinwegtäuschen. Am Eröffnungsabend erklärt der britische Lebenskünstler und Bestsellerautor Tom Hodgkinson seine „Anleitung zum Müßiggang“, die in einer neohippiesken Verklärung des einfachen Landlebens endete. Die Idee zu Vorträgen wie „Arbeit 2.0“ oder „Creative Industries – Berlin, London, Toronto“ könnten wiederum von einem noch zu gründenden Jugendverband der Deutschen Industrie stammen.
In einer Veranstaltung verweigert man sich kokett der kapitalistischen Arbeitsethik, in der nächsten wird parallel der Geist von „New Work“ propagiert. Dort plädiert die ehemalige Berliner Wissenschaftssenatorin Adrienne Göhler für eine „Verflüssigung“ des Verhältnisses von Kultur und Ökonomie – eine Idee, die sehr an das Konzept der „Creative Industries“ erinnert, das in den neunziger Jahren in Großbritannien von der Blair-Regierung entwickelt wurde. Damit wollte sie den Übergang von der alten Industriegesellschaft in eine wissensbasierte Ökonomie beschleunigen.
Die „Kreativindustrie“ ist seit einigen Jahren auch in Deutschland ein Zauberwort, mit dem strukturschwachen Städten wie Berlin neues Leben eingehaucht werden soll. Künstler, Kreative oder eben die „Digitale Bohème“ übernehmen in der postindustriellen Stadt nach und nach die Funktion, die früher die Arbeiter- und Angestellten inne hatten. Da sich Kreativität jedoch nicht mehr an den Regeln eines Tarifvertrages orientiert, „verflüssigen“ sich die Formen – zwischen Freizeit und Arbeit, privaten Interessen und ökonomischen Zielen.
Die Gefahr der Selbstausbeutung der Freiberufler wird in der schönen neuen 9to5-Welt nicht reflektiert. Bei den neuen Selbstständigen sitzt der Chef 24 Stunden am Tag im eigenen Hinterstübchen; Freunde sind oft zugleich auch Konkurrenten. In den freiberuflichen Netzwerken hat jeder freundschaftliche Smalltalk immer auch den unausgesprochene Charakter eines Geschäftsgesprächs – ist dieser Kontakt für mich nützlich, welche Verbindungen kann ich knüpfen?
Auf dem „Schwarzmarkt des Wissens“, im November 2006 im Berliner HAU, kritisierte die Dramaturgin und Kulturwissenschaftlerin Peggy Mädler, „dass diese Form der Freiberuflichkeit stark von der Familie, Erbe und Ehepartner mitfinanziert wird.“ Als Leitbild diene das bindungslosen Individuum, „bei dem die Arbeit im Mittelpunkt steht. So bestand auch die New Economie aus jungen, meist männlichen Unternehmern ohne Kinder“.
Dabei wäre es tatsächlich an der Zeit, über die Arbeitsbedingungen der prekär Kulturbeschäftigten zu reden, die in der Regel alles andere als entspannt sind. Nach Angaben der Künstlersozialkasse verdienen ihre freischaffenden Mitglieder durchschnittlich 10.814 Euro brutto im Jahr – soweit sie überhaupt versichert sind. Viele Künstler verfügen über keine oder nur äußerst mangelhafte soziale Absicherungen, können sich keine Krankheitszeiten leisten und denken bei „Renten“ höchsten an ihre Großeltern. Und natürlich haben Friebe und Co recht, wenn sie kritisieren, daß das Sozial- und Steuersystem der Zeit völlig hinterherhinkt. Unter Freiberuflern versteht man in Deutschland anachronistischerweise immer noch in erster Linie Rechtsanwälte und Zahnärzte – und nicht die unzähligen prekären Existenzen, oft aus dem Künstler- und Medienbereich.
Die Festivalmacher haben den Finger auf eine Wunde gelegt, nämlich das Problem einer grundlegend notwendigen Umstrukturierung unserer Arbeitswelt. Auf viele überholte Formen der Arbeit haben auch schon andere Initiativen wie „Die glücklichen Arbeitslosen“ von Guillaume Paoli, der „Tauschring“ Anfang der Neunziger im noch wilden Prenzlauer Berg (in dem kurzfristig eine „D-Mark“-freie Zone etabliert wurde) oder jetzt auch die Debatten über das Grundeinkommen hingewiesen.
Die Festivalveranstalter versuchen nun, als Sprachrohr der wachsenden Schar von Freiberuflern aufzutreten. Und Sprache ist ihre Sache. Die Organisatoren verstehen es gut, alte Begriffe lediglich mit neuen, hippen Namen zu belegen. Aus Freiberuflern wird die „digitale Bohème“, ein Kongreß nennt sich lässigerweise „Festival-Camp“ und das, was man zu Zeiten des Tunix-Kongress ganz dröge, aber treffend „Realpolitik“ genannt hat, nennt sich nun „linker Neoliberalismus“.
So lange auf dem Festival konkrete Projekte angeboten werden wie z. B. Informationen über Copy-Right, Überlegungen zur Vereinfachung der Steuererklärung oder wenn vorgeführt wird, wie ein Song an einem einzigen Tag geschrieben, umgesetzt, vermarktet und abends im Radio gespielt werden kann, funktioniert das Festival als Ort der Vernetzung von Menschen und Informationen.
So bald man sich aber am großen Überbau versucht, kommt nicht viel Neues oder Kluges dabei heraus wie etwa bei dem Workshop „Was wäre ein linker Neoliberalismus?“. Die öffentlichen Einrichtungen soll nach Holm Friebe „in etwa so sein wie das Web 2.0“. In die erwartungsvolle Stille im Publikum sagt er dann: „Was ich genau damit meine, weiß ich auch nicht.“
Wenn Mercedes Bunz, Journalistin und Kulturwissenschaftlerin, versucht, zu definieren, was sie unter „Links Sein“ versteht, wird es ebenso vage: „Jede Menge Ideale, die überall herumpurzeln“.
Zur näheren Erklärung, was sie darunter versteht, werden nur Substantive aneinandergereiht wie „Freiheit“, „Gerechtigkeit“, „Utopie“, „Rebellion“, und – „warum auch nicht: Wahrheit“.
Aber mit diesen Begriffen schmücken sich Parteien aller Coleur. „Recht und Gerechtigkeit“ heißt die Partei von Polens Kartoffelkönigen. Und wer nimmt nicht für sich in Anspruch, nach „Wahrheit“ zu suchen?
Vielleicht waren die Podiumsteilnehmer am dritten und letzten Tag des Kongresses einfach ein wenig ermattet – es scheint aber eher so, dass mit viel Tam Tam, angesagten DJs, coolem Ambiente und viel Medienneusprech eine alte Geschichte daherkommt:
Die Zahl der Festanstellungsverträge sinkt. Damit steigt die Zahl Freiberufler. Das wird den Arbeitsmarkt nicht nur in Deutschland grundlegend ändern. Wie, das fragen sich viele zur Zeit. Nicht nur die Leute mit den richtigen Turnschuhen.