veröffentlicht in Jungle World, 20. August 2015
Man geht nach draußen und ins Freibad. Wirft bei 30 Grad im Schatten den Grill an und holt sich in Brandenburg den Sonnenbrand seines Lebens. Paare in Badeshorts streiten sich, Aggro-Kühe greifen friedliche Radfahrer an und am Ostseestrand wird man zum panierten Schnitzel. Die heißesten Anekdoten und selbsterlebten Geschichten aus dem heißen August von unseren Autorinnen und Autoren.
Arschbomben im Lochow.
Ein Tagebucheintrag aus dem Sommer 1982 erinnert an das wilde Wilmersdorf im alten Westberlin. Von Tanja Dückers
Meine Eltern in Berlin-Wilmersdorf misten gerade bei sich aus. Und entdecken dabei jede Menge alten Krempel, den ich seit 25 Jahren »temporär« bei ihnen gelagert habe. Unter anderem fand sich – das war dann doch sehr interessant – ein altes Tagebuch von mir. Da habe ich mich über den langweiligen Sommer 1982 beklagt. In diesem (überarbeiteten) Eintrag geht es um das berüchtigte Freibad Lochow am Lochowdamm. Damals war Wilmersdorf ein wilder Bezirk.
Meine Mutter war beruhigt, dass ich nicht allein ins Lochow fuhr. Sie sagte immer mit rollenden Augen zu mir: »Du weißt ja, das Lochow ist … naja … eben das Lochow.«
Meine Freundinnen und ich liebten das Lochow. Es war riesig; zum Lochow gehörten hügelige Wiesen, die nie gemäht wurden, sie wurden die Bumshügel genannt, weil sich da öfter mal ein Pärchen vergnügte. Unkraut wuchs überall.
Zwischen den Sträuchern hatten Maria, Nike und ich aber auch schon mal Spritzen gefunden. Ein Fuchs, den alle den »Lochow-Fuchs« nannten, strich besonders gern zwischen den Bumshügeln herum – es war ein Fuchs mit leuchtend rotem Fell, der immer mit der Dämmerung auf die Lochow-Wiesen kam.
Meine Mutter ging auch gern ins Lochow (mein empfindlicher Vater hingegen fand es furchtbar dort), und ich hatte sie schon oft bewundert, wie sie Leuten ihre Meinung sagte, die direkt vor ihr ins Wasser köpperten, arschbombten oder versuchten, ihr Handtuch zu klauen – ein Volkssport im Lochow. Meine Mama konnte jeden Bierbauchfettsack zur Schnecke machen. Es reichte, dass sie ihre Badelatschen hinter dem Dieb her schmiss und »Handtuch – her!« brüllte. Den kleinen Fuchs mochte sie auch sehr, sie brachte ihm gern alte Brötchen und Kekse mit.
»Grüße vom kleinen Fuchs« sagten wir einander zu Hause, wenn einer mal wieder vom Lochow zurückgekommen war. Das Lochow sah so aus, als sei es seit Jahrzehnten nicht mehr renoviert worden. Überall Rost, abgeblätterte Farbe, Verfall.
Im Lochow gab es keine Benimmregeln, man konnte kaum eine Bahn am Stück schwimmen, ohne sich vor Leuten, die von der Seite ins Wasser arschbombten oder köpperten, retten zu müssen. Teenies, Studenten, Großfamilien, Omas mit komischen Bademützen, Opas mit Glatzen, Kinderhorden, gestörte Leute – alle gingen ins Lochow. Viele Typen saßen allein herum und beobachteten junge Mädchen. Wir glotzten aber immer dolle zurück und sagten laut Sachen wie »Boah, ist das ein Fettsack!« oder »Gleich steht er ihm, guck mal«. Die Glotzer glotzten auch Jungs an, besonders die, die vom Fünfer oder vom Zehner sprangen.
So marode, wie die hohen Sprungtürme aussahen, hätte ich mich da nie im Leben raufgetraut, aber im Lochow ist, soweit ich weiß, nie irgendetwas passiert.
© Tanja Dückers