Statt sich im Gedränge am Badesee oder im Freibad zu verlustieren, kann man dieser Tage seinen Wunsch nach dem kühlen Nass auf angenehmste Weise sublimieren: Das Kupferstichkabinett lockt mit einer wunderbaren Ausstellung in seine Hallen: „Wir gehen Baden! Eine Sommerausstellung im Kupferstichkabinett“. 100 Werke von der Renaissance bis zur Gegenwart widmen sich dem Bade. Mal stehen heilend-hygienische Motive, mal sinnlich-erotische, mythologische oder auch beängstigend-dämonische Motive im Vordergrund. Ob das Bad in der Gruppe oder in selbstvergessener Intimität genossen wird, ob in urtümlicher Natur oder im engen Boudoir mit Waschzuber, ob altdeutsches oder orientalisches Bad, ob Greise im „Jungbrunnen“ oder Kinder beim ersten Schwimmversuch: die Ausstellung beleuchtet das Thema in allen erdenklichen Facetten.
Tatsächlich gehören das Bad und das Baden zu den beliebtesten Motiven in der Kunstgeschichte. Das suggerierte Nass, die Aufgabe, wogende Wellen und vom Wasser bedeckte Körper auf dem trockenen Papier zum Leben zu erwecken, hat Künstler immer wieder gereizt: Die Verbindung aus Wasser, Horizont und nackten – oder raffiniert bedeckten – Körpern bietet eine große Bandbreite graphischer und bildformaler Möglichkeiten.
Die Werke werden in fünf Themenkomplexen vorgestellt: „Baden im Wandel“, „Das Baden in der Kunst“, „Begehrliche Blicke“, „Baden in der Natur“ und „Melancholie und Drama des Badens“.
Die Ausstellung beginnt mit dem Holzschnitt „Männerbad“ (1496/97) von Dürer. Auch wenn die gezeigte Szene das Leben vor über 500 Jahren einfängt, kommt sie dem Betrachter vertraut vor: Knapp geschürzte Herren, zum Teil mit Hauben versehen, rubbeln sich mit Bürsten ab. Daneben wird musiziert, getrunken, parliert. Schon damals wurde das Baden nicht nur als rein hygienische Maßnahme der Körpersäuberung verstanden. Kontrastiert wird Dürers „Männerbad“ mit Max Beckmanns Kaltnadelradierung „Frauenbad“ aus dem Jahr 1922. Mit der aufkommenden Freikörper- und Gesundheitskultur zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat das sportliche Element die Badehalle erreicht– selbstbewusst wagt eine der Schwimmerinnen einen kühnen Sprung. Kompetitiv blicken sich die Damen nacheinander um. Ein epochales Werk ist auch Hans Sebald Behams „Jungbrunnen und Badehaus“ (1536, Holzschnitt). Es versinnbildlicht den Traum geriatrischer Genesung. Greise klettern in die unterste Schale eines Brunnens, weiter oben entsteigen verjüngte Astralleiber. Wenn sie nicht gerade über einem brennenden Scheiterhaufen aus Krücken und Gehstöcken tanzen, dann treiben die Rekonvaleszenten Streich und Schabernack oder tauschen Zärtlichkeit aus.
Doch war das Baden nicht immer populär. Während noch zu Dürers Zeiten das Bad Gesundheit und Heilung versprach, vertraten Mediziner später die – berechtigte – Meinung, dass über den Kontakt mit dem oft verunreinigten Wasser Krankheiten übertragen werden würden – beispielsweise Typhus, eine Infektionskrankheit. Der Neffe der berühmtesten amerikanischen Dichterin, Emily Dickinson, starb, trotz begüterter Verhältnisse, noch Ende des 19. Jahrhunderts nach einem sommerlichen Erfrischungsbad in einem Dorfteich in Massachusetts an Typhus. So mieden die Adeligen und Bürger eine Weile lang das Wasser und hielten es eher mit Puder und Parfüm.
„Das Baden in der Kunst“ weist auf verschiedene formale Annäherungsweisen an das Thema hin – (semi-)abstrakt arbeitende Künstler wie Francis Bacon oder Josef Albers betrieben die Auflösung der Elemente hin zu einfachen klaren Flächen oder symbolhaften Formen. Der us-amerikanische Künstler Jim Dine hat über Jahre hinweg nichts anderes zu Papier gebracht als Bademäntel. In ihnen sah er „sich selbst“.
In der Ausstellungsstation „Begehrliche Blicke“ kann der Betrachter über Titel wie „Badeszene mit Spanner“ staunen: Die Federzeichnung von Johann Michael Volz aus dem Jahr 1820 zeigt einen mit dem Fernglas durchs Fenster hineinlinsenden Mann, nach dem sich eine Handvoll erschrockener Damen vom heimischen Waschbecken her umschaut. Der Kupferstich „Die beiden Alten beobachten Susanna beim Bade“ von Lucas van Leyden aus dem Jahr 1508 macht erst recht deutlich, welch lange Tradition das Phänomen hat. Und selbst die Götter beobachteten einander beim Bade genau wie Antonio Tempesta in „Das Bad der Diana (Diana entdeckt Kallistos Schwangerschaft)“ auf seiner um 1600 entstandenen Radierung verdeutlicht.
Andere Werke veranschaulichen, dass der Voyeur sich meist vor dem Bild – in Gestalt des Künstlers selber – und nicht auf ihm befindet: Ein Beispiel hierfür wäre Ernst Ludwig Kirchners „Brüste waschendes Mädchen“ (1909, Kreidelithographie). Den Abschluss bilden die lasziven und selbstbewussten Pop-Art-Ikonen der 60er und 70er Jahre wie Tom Wesselmanns „Cut Out Nude“ (1965, Farbsiebdruck auf Kunststofffolie) oder Dieter Asmus’ „Mädchen am Meer“ (1973, Farbsiebdruck).
Im Ausstellungsteil „Baden in der Natur“ kann man den schwedischen Maler Anders Zorn entdecken: Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorherrschende Bewunderung für die natürlich-freizügige Badekultur Skandinaviens gründete maßgeblich auf seinem bildnerischem Werk. Er malte nackte Frauen, die mit der heimischen Schärenlandschaft geradezu mythisch verschmelzen. Momente der Abstraktion werden hier vorweggenommen.
Am Eindrucksvollsten ist die letzte Station der Ausstellung „Melancholie und Drama des Badens“: Hier finden sich herausragende Werke von Edvard Munch, Gerhard Richter, Philip Pearlstein und Anderen. Manchmal ist das Grauen zum Greifen nahe wie in Joseph Wagners Radierung „Das Bad in der Ruine“ (1779), manchmal rätselhaft: So sitzt bei Philip Pearlstein eine große, stolze Schöne am Ufer – nur ihr Gesicht ist von tiefen Sorgen durchfurcht, von denen der Betrachter nichts weiß. Ergreifend auch eine weniger bekannte Arbeit von Munch, die Kaltnadelradierung „Badende Kinder“ (1903). Munch zeigt kein klischeehaft-fröhliches Kinderspiel. Vereinzelt stehen Kinder an einem weiten leeren Strand, jedes scheint für sich seinen trüben oder auch aggressiven Gedanken nachzuhängen. Bei Paul Gauguin („Badende in der Bretagne“, 1889, Kreidelithographie) starrt ein kleines Kind mit großen verängstigten Augen ins Wasser, vielleicht traut es sich nicht hinein. Bedrückend auch Fang Lijuns Schwimmer, der sich durch die Wassermassen krault und dem Betrachter mit der bangen Frage zurücklässt: Schafft er es?
Nach dem Durchgang der Ausstellung lässt sich ihr imperativer Titel „Wir gehen Baden!“ durchaus zweideutig verstehen – als Ausflug ins Blaue und möglicherweise ins Verderben.
Wir gehen Baden!
Eine Sommerausstellung im Kupferstichkabinett
Kupferstichkabinett, Kulturforum, Matthäikirchplatz, 10785 Berlin
4. Juli – 26. Oktober 2014
© Tanja Dückers, Berlin, im Juli 2014