Unsere Körper sind Dienstleister für die Leistungsgesellschaft geworden. Das Power-Yoga am Mittag ist nicht Ausdruck einer neuen Lebenshaltung, sondern von Kontrolle.
In Prenzlauer Berg, einem Berliner Bezirk, dem nachgesagt wird, gesellschaftliche Veränderungen vorwegzunehmen, öffnet derzeit an jeder zweiten Straßenecke ein Yoga-Studio. Da in diesem Bezirk Feind und Feind dicht an dicht hausen – meist Gentrifizierer und Gentrifizierungsgegner – prangt nun ebenfalls an jeder zweiten Straßenecke das Graffito „Fuck Yoga“. Denn die neuen Yoga-Fans sind nicht selten diejenigen mit den dickeren Brieftaschen.
Gesundheitsbewusstsein steht hoch im Kurs, die jüngste Shell-Jugendstudie (2010) belegt den konstanten Rückgang des Rauchens, brav werden von den Krankenkassenmitgliedern Vorsorgeheftchen ausgefüllt und Bonuspunkte gesammelt. Der Körper steht heute unter strenger Bewachung. Von vermeintlichen körperlichen Defiziten wird schnell auf den Charakter geschlossen: Wer fettleibig ist, gilt schon fast als verwahrlost, das trifft besonders die dicken Kinder. Wer keine Lust auf Sport hat oder ungesund isst, wird, ob in Kita, Schule oder Kantine, schnell als mehr oder minder verhaltensgestört oder gleich als depressiv gebrandmarkt.
Wellnesskultur und Gesundheitskult gehen trotz vordergründigem Gemütlichkeitsschick (Duftlampe, Kuschelkissen, lässige Outfits) Hand in Hand mit Effizienzdenken und Leistungsethos: Auftanken mit Stechuhr, Yoga gegen Burnout und Fertilitätsschwierigkeiten, Bio-Nussriegel in der Schulpause für „geistige Fitness“ und die gute Mathenote. Nicht mal Altwerden darf man noch in Ruhe ohne irgendein Goodie fürs Gedächtnis.
Der Körper wird banalisiert
Unser Verständnis vom Körper war noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhundert quasi religiös besetzt. Er wurde entweder als Hemmnis angesehen, das mit seinen Gelüsten der höheren Erkenntnis im Wege stand, oder als Mittel zur Ekstase. In jedem Fall war er geheimnisvoll. Seit den späten sechziger Jahren verschob sich das Verständnis in Richtung Ekstase. Der Leib wurde zum Experimentierfeld für Selbstverausgabungen aller Art erklärt – für Drogen, Sex und Kunst: Man denke an die Wiener Aktionisten. Sinnlich und exzessiv wurde das Körperliche an sich gefeiert.
Im 21. Jahrhundert hat nun eine enorme, natürlich auch befreiende Banalisierung und Entdramatisierung stattgefunden. Der Körper ist zum Dienstleister geworden, er soll fit sein für die Arbeitswelt. Die Zeit der kettenrauchenden, dicken Firmenchefs ist vorbei, der trainierte Body verrät den erfolgreichen Unternehmer. Ein Blick auf die Riege der wichtigsten Vorstandsvorsitzenden in Deutschland der letzten dreißig Jahre zeigt: Sie sind größer und dünner geworden. Dicke werden jetzt bestenfalls noch Pförtner. Nicht Schönheit, sondern Fitness – „Power haben“ – ist zum Statussymbol geworden. In den neunziger Jahren war Schönsein noch romantisch. Grenzfälle waren populär, auch das Spiel mit dem Morbiden. Kate Moss und Johnny Depp standen dafür.
Der (Kerzen-)Schein der Yoga-Welt und des vermeintlich endlos-ozeanischen Ooohms trügt: Denn hier versuchen sich die Vertreter der Leistungsgesellschaft nur bei Stange zu halten. Meditation ist nicht Ausdruck einer umfassenden Geistes- oder gar Lebenshaltung, sondern eine Sache von zwanzig Minuten: ein Mittel zur Selbstbeherrschung, zum Runterkommen statt zum Ausflippen. Nach dem Power-Yoga am Mittag lässt sich der Druck in der Firma wieder aushalten. So beschwert sich eine Yoga-Lehrerin aus dem Prenzlauer Berg, dass die Teilnehmer ihrer Schule nicht wegen der speziellen Ausrichtung (es gibt fast so viele Yoga- wie Apfelsorten) auswählen, sondern fast ausschließlich deshalb, „weil’s halt nah an der Arbeit liegt“.
Work-Life-Balance statt Lebensfreude
Mittlerweile haben wir selbst den Sex versachlicht und entemotionalisiert: Vorangetrieben haben diesen Trend nicht nur die gegenwärtig wie Götter gefeierten Hirnforscher, sondern auch das Gros der Frauenzeitschriften: Da wird allen Ernstes ausgerechnet, wie viele Kalorien man durchschnittlich beim Sex verlieren würde und welche Botenstoffe beim Orgasmus ausgeschüttet werden. Früher, in den Sechzigern, wurden Menschen mit sexuellen Problemen damit gedemütigt, nicht frei oder befreit genug zu sein, heute damit, nicht genug für ihren Hirnstoffwechsel, Kalorienhaushalt oder doch gleich für ihre Work-Life-Balance zu tun. Allein der Begriff Work-Life-Balance verrät, dass es nicht um Lebensfreude geht, sondern um Kontrolle: Nur nicht die richtige Balance aus dem Auge verlieren! Immer die richtige Dosis! Bloß keine Übertreibungen!
Schon Kleinkinder können sich kaum noch frei bewegen, ohne dass irgendein Pädagoge oder Hirnforscher eilfertig erklärt, wie wichtig diese oder jene Bewegung für die kognitive Entwicklung sei, was dadurch verschaltet und vernetzt wird und womit die Auge-Hand-Koordination sinnvoll und im richtigen Zeitfenster gefördert werden kann. Kein Tun (geschweige denn wildes Treiben) mehr ohne nachgereichte Begründung, Analyse und Kommentar. Was man bei all den neuen Power-Yoga-Kursen, den Bewegungsangeboten für die Kleinsten und dem Wassertreten und Nordic Walken für die Alten schwer vermisst: Bewegung macht einfach Freude. Ohne zuvörderst zweckdienlich zu sein. Der Weg, entlang getanzt, ist das Ziel. Hirnforscher und Co: Dreht euch doch bitte alle mal im Kreis. Einfach so.