veröffentlicht in Tagesspiegel, Mai 2012
Den Piraten ist es zu verdanken, dass sie die verschlafenen Kreativen endlich auf den Posten geholt haben. Langsam beginnt sich etwas zu regen – so etwas wie Selbstverteidigung. Denn durch die schieren Möglichkeiten des Internets ist es einfacher denn je, Diebstahl geistigen Eigentums zu betreiben. Das Problem ist: ein Klick genügt. Entsprechend scheint es kaum Schuldbewusstsein bei den Profiteuren zu geben, vermutlich auch deshalb nicht, weil sich dieser modus operandi schon seit Jahren etabliert hat. Die Sprache des Netzes rekurriert dabei romantisierend auf „alte Zeiten“, so dass der Diebstahl wie ein Kavaliersdelikt wirkt: Begriffe wie „Tauschbörse“ und „Mit Freunden teilen“ klingen nett. Früher hat man für zwei, drei Freunde eine Mixkassette zusammengestellt, heute aber kann man seine files mit Hunderttausenden von „Freunden“ sharen. Mit den alten Begriffen werden vollkommen neue Sachverhalte bezeichnet. Eigentlich weiß jeder Mensch: weil etwas immateriell ist, ist es weder wertlos noch ein Gratisartikel. Schon seit dem 19. Jahrhundert gibt es daher das Immaterialgüterrecht, die Theorie vom geistigen Eigentum wiederum entstand in Zusammenhang mit dem Nachdruck von Büchern. Die Vorstellung der Piraten, dass Wissen, Kunst und Kultur stets gratis zu haben sein sollte, hat durchaus sympathische Züge, ist aber völlig naiv-kommunistisch in einer bis in die feinsten Kapillaren kapitalistisch ausgerichteten Gesellschaft gedacht. Noch wichtiger als Kunst und Kultur sind Grundnahrungsmittel, ein Dach über den Kopf. Nichts davon gibt in dieser Gesellschaft gratis. Es ist klar: Für die Piraten und ihre Anhänger geht es nicht wirklich um eine Neudefinition der Beziehung von Künstler und Konsument, sondern um das, was man technisch am Einfachsten kostenfrei aquirieren kann. Gäbe es übers Internet Brötchen umsonst, würden sie ein Lobeslied auf die Freiheit der Brötchen singen.
Die Logik der Piraten „Die technischen Gegebenheiten des Internets stehen für uns wie Naturgesetze“, so der Berliner Parteiabgeordnete Christopher Lauer, beruht auf einem Denkfehler: Technische Gegebenheiten sind eben keine Naturgesetze, sondern menschengemacht. Sie können und werden sich, anders als die Schwerkraft, wieder verändern. Die Rechtsprechung muss zwar mit bestimmten technischen Entwicklungen mithalten, wie sie es beispielsweise beim Aufkommen der ersten Kopierer, Videorekorder etc. mit den Speichermediengesetzen getan hat, aber sie darf von ihnen nicht dominiert werden. Ganz schlicht: Der Mensch sollte die Technik beherrschen und nicht die Technik den Menschen.
Die Vorstellung der Piraten, dass ein Künstler doch froh sein sollte, wenn sein Werk im Netz Aufmerksamkeit fände, ist ebenfalls völlig an den Schöpfern vorbeigedacht: Für absolute beginners in der Kunst mag es noch reizvoll sein, nur eine Bühne, aber kein Einkommen zu haben. Doch in keinem Berufsfeld würde man an einen Profi herantreten mit Worten wie: „Hören Sie mal, wenn Sie mir dieses Implantat umsonst einsetzen, sag’ ich das meinen Freunden weiter und vielleicht zahlt irgendwer mal was.“ Wovon, bitte, sollen die Künstler, wenn nicht von ihrer Arbeit, leben? Wünschen sich die Piraten wirklich ein neofeudales Mäzenatentum, also unfreie Künstler, die im Auftrag und abhängig von ihren Gönnern (User, die mit Klicks – Micropayment – Zustimmung verteilen) Kunst produzieren?
Wenig nachvollziehbar ist auch die Vorstellung, die „Verwerter“ (Verlage, Plattenfirmen, Filmproduzenten) seien die schwarzen Schafe im System. Auch wenn man über eine Novellierung der Honorarverteilungen von Künstlern und Verwerten zugunsten der Künstler reden sollte: Offenbar haben die Piraten keine Vorstellung davon, wie viel Arbeit z. B. ein Verlag für einen Autor erledigt. Crowdfunding ist keine Lösung: Was für die ein oder andere Indien-per-Fahrrad-Reise funktioniert haben mag, ist kein Modell für Tausende von Schriftstellern. Statt von einem Verlag einen Vorschuss zu bekommen, müssten sie mühsam in Eigenregie Geld für einen neuen Roman zusammenbetteln. Wenn schon so gegen die Verwerter Front gemacht wird, fragt man sich, warum die Mega-Internetunternehmen, die wirklich im großen Stil absahnen, keine Häme trifft. Facebook, Google und Youtube werden von den Piraten nicht angegriffen. Was haben sie diese neoliberal agierenden Riesenunternehmen bitte mit anarchistischem Gedankengut zu tun? Da ist es doch einfacher, gegen die Kleinen zu Feld zu ziehen.
© Tanja Dückers, Mai 2012